Eine EU-Erweiterung um Europas Kornkammer, die Ukraine, wird wohl noch sehr viele Jahre ausbleiben.

Lediglich vier Tage nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine, am 28. Februar 2022, unterzeichnete der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ein Beitrittsgesuch zur Europäischen Union und ließ dieses dem Rat übermitteln. Heute, fast zwei Jahre später, hat die kriegsgebeutelte Nation ihren offiziellen Beitrittskandidatenstatus. „Der Fortschritt, den wir in der Ukraine sehen, ist beeindruckend“, meinte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Hinblick auf eine zeitnahe Aufnahme der Ukraine. Das Land arbeite täglich hart an den nötigen Reformen für einen EU-Beitritt und habe „über 90 Prozent der nötigen Schritte erfüllt“, so von der Leyen. Und auch die EU selbst will sämtliche „politischen Felder“ einer Prüfung unterziehen und so Medienberichten zufolge bis zum Jahr 2030 fit für den Ukraine-Beitritt sein.

Ende der GAP “wie wir sie heute kennen”

Als größter Hemmschuh wird sich dabei die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) erweisen, wie alle Beteiligten längst wissen. So nannte auch der Außenminister der Ukraine in einem Forbes- Interview die Landwirtschaft „das schwierigste Kapitel in Beitrittsverhandlungen“. Sie werde aber kein Hindernis auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft, sein, gab sich Dmytro Kuleba überzeugt.

Die Bringschuld sieht Kiew hier allerdings in Brüssel. Es werde „ein Umdenken bei der GAP, wie wir sie heute kennen, erforderlich machen“, wurde auch der ukrainische Vize- Wirtschaftsminister Taras Kachka von Euractiv zitiert. Dies schließt auch die Kommissionspräsidentin nicht aus. „Notfalls“ wäre auch ein Europäischer Konvent samt Änderung der Verträge möglich, verlautete dazu in Brüssel.

190 Mrd. Agrarfördergelder nötig

Von dieser Notwendigkeit ist die Wissenschaft bereits überzeugt und veranschaulicht dies anhand verschiedener Kalkulationen. Denn die Integration der Ukraine mit ihren gut 41 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche würde die Nation mit einem Schlag zum größten Nettoempfänger der EU werden lassen. So hat im Herbst das Institut der deutschen Wirtschaft eine Studie zu den „fiskalischen Aspekten einer EU-Erweiterung“ vorgelegt und darin die Kosten einer Vollmitgliedschaft der Ukraine auf das laufende EU-Budget umgelegt. Wäre die Ukraine, wie sie vor dem Krieg bestand, heute EU-Mitglied, würden ihr demnach von 2021 bis 2027 satte 130 bis 190 Mrd. Euro an Fördergeldern zustehen, was 17 Prozent des Haushaltsbudgets entspräche. Davon würden allein 70 bis 90 Mrd. Euro auf Agrarsubventionen entfallen. Zum Vergleich: Alle EU-Agrarausgaben beliefen sich inklusive jener für ländliche Entwicklung im Vorjahr auf 58,3 Mrd. Euro. „Angesichts dieses Volumens müsste die Union bereit sein, sich zu reformieren“, folgerten die deutschen Studienautoren.

„Angesichts dieses Volumens müsste die Union bereit sein, sich zu reformieren.“

Ähnliche Zahlen beinhaltet auch eine vom Rat der Europäischen Union in Auftrag gegebene Studie, über die die britische Tageszeitung Financial Times im Herbst erstmals berichtete. Bei gleichbleibendem Fördersystem kamen die Mitarbeiter des Rates gar auf einen ukrainischen Finanzbedarf von 96,5 Mrd. Euro an Agrarhilfen im Zeitraum 2021 bis 2027. Für die bisherigen Mitglieder der EU-27 würde ein Beitritt der Länder Ukraine, Moldawien, Georgien und der sechs westlichen Balkanstaaten aber auch faktische Auswirkungen auf ihre EU-Agrarfördergelder haben, schrieb die Financial Times. Demnach rechnet der Rat mit einem Rückgang der Mittel um gut ein Fünftel, was „Übergangsfristen und Schutzmaßnahmen“ zwingend notwendig machen würde. Den Zahlen des Rates zufolge würden jedenfalls „zahlreiche Mitgliedstaaten von Nettoempfängern zu Nettozahlern“ werden.

Lins: Kein Beitritt in der nächsten Förderperiode

Dem widerspricht das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche zumindest teilweise. In seinen Untersuchungen stellte es fest, dass der ukrainische Agrarsektor nicht zum “Fass ohne Boden” für die GAP würde, weil dieser auch ohne massive Subventionen wettbewerbsfähig sei. Immerhin sei die Ukraine einer der größten Exporteure für Agrargüter. Gleichzeitig hielten die Autoren jedoch fest, dass das Land im Vergleich zu anderen EU-Ländern „zu wettbewerbsfähig” sei, was nicht zuletzt an den nicht enden wollenden Protesten in den angrenzenden Mitgliedstaaten deutlich würde. Kalmierend gab sich unterdessen der Vorsitzende des Landwirtschaftsausschusses im EU-Parlamen, Norbert Lins, gegenüber Agra- Europe. Er rechne perspektivisch mit einem Beitritt der Ukraine „nicht vor der übernächsten GAP-Periode, also 2034“. Was die angekündigte Förderflut betrifft, verwies der CDU-Abgeordnete auf „bereits erprobte Mittel“ aus vorherigen Erweiterungsrunden, die etwa niedrigere Direktzahlungen vorsehen. Ebenso wäre eine Deckelung nach Betriebsgrößen möglich, um eine Überforderung des GAPHaushaltes zu vermeiden, sagte Lins. Eine Kürzung der Prämien der bestehenden Mitglieder bezeichnete der deutsche EU-Agrarpolitiker im Gespräch mit dem Pressedienst als „schwieriges Signal an die Branche“ und lehnte dies daher entschieden ab. 

Über Abschläge bei den potenziellen Fördergeldern will Kiew vorerst übrigens nicht sprechen. Aus dem Wirtschaftsministerium heißt es: Man gehe „beizeiten“ von einem neuen System der Gemeinsamen Agrarpolitik aus, „bei dem die Frage bestimmter Rabatte nicht mehr von Bedeutung ist“.

- Bildquellen -

  • Ackerbau in der Ukraine: OLEKSII - STOCK.ADOBE.COM
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AUTORClemens Wieltsch
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