„Globalisierung braucht neuen, fairen Rahmen“

Agrarlandesrat Max Hiegelsberger zieht im Gespräch mit der BauernZeitung die Lehren aus der Corona-Krise. Er spricht sich für die Neuregelung der Globalisierung, eine umfassende Herkunftskennzeichnung und die Neuausrichtung des öffentlichen Einkaufs aus.

BauernZeitung: In den vergangenen Wochen hatte uns die Corona-Krise fest im Griff. Aktuell mehren sich aber die positiven Meldungen, es scheint dass wir vorerst über dem Berg sind. Wie haben Sie die Corona-Krise persönlich erlebt?
Hiegelsberger: Zu Beginn war ich ganz einfach überrascht, wie schnell und komplett das Virus unser tägliches Leben und Wirtschaften in die Knie gezwungen hat. Im weiteren Verlauf der Krise hat sich aber gerade in Österreich auch viel Positives gezeigt. Die gute Koordi-nation und rasche Hand­lungsfähigkeit der politisch Verantwortlichen, die Hilfsbereitschaft und Disziplin in der Gesellschaft und natürlich die Leistungsfähigkeit unserer Landwirtschaft und der gesamten Lebensmittelwirtschaft. Die Versorgung war zu jedem Zeitpunkt gesichert. Für mich persönlich war die Krise auch ein bisschen ein Digita-lisierungs-Lehrgang. Relativ schnell haben sich alle Besprechungen vor den Bildschirm verlagert. Davon können wir gerne auch einen Teil bei-behalten.

Auch die Landwirtschaft bekam dadurch mehr Aufmerksamkeit, wie beurteilen Sie das?
Natürlich sehr positiv, da aufgrund der hohen Produktivität der Land-wirtschaft die Lebensmittelsicherheit im Land oft als gegeben hingenommen wird. Corona hat schnell klar gemacht, wie systemrelevant die Landwirtschaft eigentlich ist. Die Krisensituation der letzten Wochen hat uns aufgezeigt, wie verletzlich unsere Versorgungsstrukturen sind und wie wichtig die Eigenversorgung mit den wichtigsten Gütern ist, zuvorderst eben Lebensmittel. Klar ist schließlich auch: Wer nichts zu essen hat, dem ist auch mit Medikamenten nicht geholfen.
Gleichzeitig kam die Landwirtschaft, beispielsweise im Bereich Fremdarbeitskräfte, auch ganz schön in die Kritik. Ich empfinde die Diskussion um Ar­beitskräfte in der Landwirtschaft gar nicht als so negativ, sondern kann dem auch was Gutes abgewinnen. Dass hier keine höheren Löhne gezahlt werden können, ist eine logische Folge der Er­zeugerpreise. Das bezieht auf einmal die ganze Bevölkerung in die Diskussion mit ein.

Müssen Lebensmittel teurer werden?
Nicht unbedingt teurer, aber die Aufteilung entlang der Wertschöpfungskette muss sich ändern. Wir verlieren ja nicht nur landwirtschaftliche Betriebe, sondern auch Bäcker, Metzger und Verarbeitungsbetriebe. Gleichzeitig steigt die Handelsfläche, bei der wir ohnehin schon Europameister sind. Hier passt das Gesamtsystem einfach nicht. Es braucht eine Neuaufteilung zwischen Produktion, Verarbeitung und Handel.

Sie haben die Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft angesprochen, gleichzeitig verlieren wir ständig landwirtschaftliche Betriebe. Welche Maßnahmen braucht es nun, um diese zu erhalten bzw. zu steigern?
Wir brauchen eine Neubewertung und Neuregelung der Globalisierung – sozusagen einen neuen Rahmen. Mir geht es dabei auch gar nicht um die Einzeldiskussionen um Handelsabkommen, sondern um grundlegende Ungleichgewichte zwischen den Regelungen einzelner Staaten und den international geltenden Regeln.
Es kann ja beispielsweise nicht sein, dass wir in Österreich den Agrardiesel besteuern, während der Schiffstransport über die Weltmeere und auch der Transport per Flugzeug keine oder nur sehr geringe Treibstoffsteuern zu entrichten hat. Das meine ich mit einem neuen, einem fairen Rahmen.
Oder ein anderes ganz prominentes Beispiel: die fehlende Besteuerung international agierender Konzerne. Während in Österreich jeder kleine Händler steuerpflichtig ist und so zum Gemeinwohl beiträgt, entziehen sich Amazon, Alibaba und Co. der Besteuerung. In gewisser Weise werden hier Staaten gegeneinander ausgespielt und als Konsument kommt man diesen Konzernen irgendwann auch nicht mehr aus. Das Paradoxe ist, dass unser hoher Wohlstand und die damit verbundenen internationalen Möglichkeiten dazu führen, dass wir die Quelle unseres Wohlstandes, die Wertschöpfung im eigenen Land, schädigen. Auf lange Sicht gefährden wir damit unser Wohlstandsniveau.

Bedeutet das einen Rückbau der Globalisierung und der internationalen Zusammenarbeit?
Nein, die Idee einer geschlossenen Wirtschaft ist angesichts der Größe Österreichs absurd. Wir zählen mit unseren zahlreichen exportorientierten Firmen ja zu den großen Gewinnern einer weltweit vernetzten Wirtschaft. Was sich aber ändern muss, das ist der ständig zunehmende Transport von Massengütern rund um den Globus, nur um kleinste Unterschiede bei Preisen oder Arbeitskosten auszunutzen. Wenn im Innviertel Fleisch aus Bayern jenseits der Grenze gegessen wird, wäre es kleinlich, das zu kritisieren. Dass aber auch in Zeiten eines niedrigen Rindfleischpreises in Österreich immer noch Fleischimporte aus Südamerika bei uns landen, und der Transport über den Atlantik den Verkaufspreis praktisch nicht erhöht – diese Auswüchse sollten wir überwinden. Nicht zuletzt auch zum Schutze des Klimas.

Hat sich der internationale Austausch überholt?
Nein, vor allem die internationale Zusammenarbeit gehört entscheidend gestärkt. Das Corona-Virus hat uns ja auch klar gezeigt, dass die großen Krisen und Herausforderungen die gesamte Staatengemeinschaft betreffen. Mehr Kooperation und Koordination zwischen den Nationalstaaten hätte da entscheidend geholfen.
Eine stärkere EU und eine gute Aufteilung der Verantwortlichkeiten im Sinne der Subsidiarität sind notwendig.
Im Handelsbereich müssen wir aber mehr darauf achten, ab wann der internationale Austausch von Waren zum Abbau regionaler Strukturen führt. Wenn wichtige Versorgungsstrukturen nur mehr von wenigen globalen Playern bestimmt werden und regionale Anbieter, zum Beispiel unsere Lebensmittelhandwerker, unter die Räder kommen, dann läuft etwas falsch. Schlussendlich ist auch unser erfolgreiches Modell der bäuerlichen Familienbetriebe von funktionierenden regionalen Wertschöpfungsketten abhängig. Vom regionalen Schlachthof, Fleischer, Müller, und so weiter. Und gerade die Corona-Krise hat uns vor Augen geführt, dass es diese regional fest verankerten Betriebe sind, die auch in schwierigen Zeiten die Versorgung sichern.
Ich hoffe ganz stark, dass die Krise auch bei den Konsumenten zu einem Umdenken geführt hat, dass nicht der günstigste Preis sondern die regionale Herkunft entscheidend wird.

Wie kann das seitens der Bundes- und Landesregierung unterstützt werden?
Erstens: Ausbau der Herkunftskennzeichnung, sowohl im Handel als auch in der Außer-Haus-Verpflegung. Das ist im Regierungsprogramm fix enthalten, braucht dann aber auch flankierende Maßnahmen zur Information, aber auch zur Unterstützung aller betroffenen Unternehmen.
Zweitens: Klare Neuausrichtung des öffentlichen Einkaufswesens auf regionale oder zumindest heimische Lebensmittel. Das muss schon alleine aus Verantwortungsgefühl geschehen, dazu braucht es aber auch den entsprechenden Rechtsrahmen, dass die Ausschreibungspflichten und das Binnenmarktprinzip gewahrt bleiben. Schlussendlich ist ein strategisches Anliegen, die Lebensmittel-Selbstversorgung im Land hoch zu halten. Dazu müssen die heimischen Lebensmittel aber auch in „normalen“ Zeiten ihren Weg in die öffentlichen Küchen finden.

Welche Lehren können wir als Gesellschaft aus der Krise ziehen?
Klar wurde einmal mehr: Ein funktionierender Föderalismus ist der Garant für ein erfolgreiches Krisenmanagement. Von den Gemeinden über das Land bis hin zur Bundesregierung waren die Aufgaben und Rollen klar verteilt und alle haben ihre Verantwortung übernommen. Dadurch ist auch die Bevölkerung entsprechend mitgezogen.

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