Gastkommentar von Simon Michel-Berger,
Chefredakteur des Magazins Agrarheute
Stellen wir uns vor, wir würden in einer idealen Welt leben. In einer, in der am Ende zählt, wie das Wohl aller Beteiligten am besten gesteigert werden kann und nicht, wie durch politische Tauschgeschäfte jede Seite sich selbst am meisten Vorteile erkämpft. Dann sollten jetzt überall heiße Diskussionen über die neue Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) ab 2023 geführt werden. Aber Fehlanzeige: In Deutschland haben sich Bund und Länder zwar unter Mühen auf eine nationale Ausgestaltung der GAP geeinigt. Doch dabei bleiben ungefähr so viele Fragen offen wie beantwortet werden. Besonders schwer, irgendetwas zuzustimmen, taten sich die grünen Agrarminister – obwohl sich die grünen Umweltminister schon im Jänner zum Thema geäußert hatten. Träumt da jemand schon von der Regierungsbank?
Die dünne Einigung steht unter zahlreichen Vorbehalten. Allen voran, dass das Paket neu aufgeschnürt wird, falls sich in Brüssel „neue Sachverhalte“ ergeben. Das könnte passieren. Gilt die Zustimmung der deutschen Grünen weiter, wenn weniger Öko-Vorgaben sein müssen? Legen Schwarz/Rot/Gelb etwas drauf, wenn auf EU-Ebene mehr vorgeschrieben wird? Sicher weiß das niemand. Einen Durchbruch hat der Brüsseler „Super-Trilog“ noch nicht gebracht.
Anreize statt Tauschhandel
Statt grundsätzlicher Diskussionen ging es bislang eher um klassische Tauschgeschäfte: Haben kleine süddeutsche Betriebe mehr von der ausgeweiteten Förderung der ersten Hektare? Was geben die ostdeutschen Länder dafür, dass sie die Kröte der Degression nicht schlucken mussten? Dabei könnte man ernsthaft darüber reden, ob die Reform überhaupt ihr hohes Ziel erreichen kann, etwas für den Umwelt- und Klimaschutz zu tun und gleichzeitig die „klassischen“ Aufgaben der GAP zu erfüllen. Wenn die neue Agrarpolitik erfolgreich sein soll, muss sie Anreize setzen, damit die Menschen, die vor Ort die Arbeit haben (sprich: die Bäuerinnen und Bauern), auch gerne mehr tun als bisher.
Eine der wichtigsten Stellschrauben werden die sogenannten „Eco-Schemes“ in der neuen GAP sein. Wenn Landwirte diese zusätzlichen Anforderungen erfüllen, bekommen sie mehr EU-Beihilfen. 25 % der Gelder der Ersten Säule werden dafür reserviert. Die Teilnahme ist freiwillig, und wer nicht mitmacht, bekommt weniger Geld. Das Problem bei den Eco-Schemes ist aber, dass die Förderung laut EU-Kommission nur Kosten ausgleichen und keine Anreize setzen soll. Wenn das so kommt, dann ziehen sich die Öko-Regeln selbst den Boden unter den Füßen weg. Das Ziel, kostendeckend zu arbeiten, ist für einen maroden Hof, der hart am Konkurs segelt, sinnvoll. Für alle Betriebe, die sich mehr als eine schwarze Null erarbeiten wollen, ist es hingegen eine Lachnummer. Warum sollte ein Unternehmer seine wertvolle Zeit in kostendeckende Maßnahmen investieren, wenn sie oder er auch nur eine einzige Alternative zur Verfügung hat, die eine Kapitalrendite größer als null anbietet?
Die Zeit drängt
Zeit also für einen radikalen Schritt – oder gleich für zwei. Zwar könnte man sagen, dass alles egal ist, weil in Brüssel ohnehin noch über die Details der EU-Agrarreform verhandelt wird. Was also soll der Zeitdruck? Ganz einfach: Nicht nur Deutschland muss seine Pläne für die Umsetzung der GAP im Jahr 2023 bis zum Dezember 2021 fertiggestellt und nach Brüssel kommuniziert haben. Geschieht das nicht, ist nicht sicher, ob in zwei Jahren überhaupt irgendwelche EU-Gelder, die über die grundlegende Hektarprämie hinausgehen, fließen werden.
Die Agrarpolitik sollte den Landwirten klare Orientierung bieten. Peter Strohschneider, Chef der deutschen Zukunftskommission Landwirtschaft, wirbt für ein verbales Abrüsten. Nicht immer müsse gleich das Ende der heimischen Landwirtschaft oder der Kollaps des Klimas beschworen werden. Warum dann nicht jetzt gemeinsam zwischen Agrar- und Umweltinteressen einen Kompromiss finden, der sicherstellt, dass Landwirte künftig einen zusätzlichen Anreiz für Ökosystem- und Gemeinwohlleistungen bekommen. Das kann über die Eco-Schemes laufen. Es könnte auch über die Ländliche Entwicklung geschehen. Österreich ist ein leuchtendes Beispiel in der EU, was für gute Projekte man über die Zweite Säule der GAP mit genügend politischem Willen umsetzen kann.
EU-Agrarreform erst 2027?
Sollte das nicht mutig genug sein, noch ein radikalerer Vorschlag: Warum verlängert man die laufende GAP nicht bis 2027 und lässt eine Reform erst ab dann greifen? Die Grünen wollten sich lange nicht zur Agrarreform äußern. Dabei werden auch sie in die Röhre schauen, wenn mangels eines nationalen Strategieplans 2023 keine Gelder für die Maßnahmen ihrer Ländlichen Entwicklung fließen. Der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, möchte die Reformpläne am liebsten neu vorlegen. Nehmen wir sie alle beim Wort, nehmen uns Zeit für die Reformdiskussion und machen etwas Vernünftiges – ab 2028. Oder müssen wir jetzt noch schnell und um jeden Preis eine mäßige Reform zimmern?