Vor 30 Jahren, 1994, haben zwei Drittel der Österreicher im Rahmen der Volksabstimmung nach schwierigen und fast gescheiterten Verhandlungen (Landwirtschaft, Transit) in Brüssel für einen Beitritt zur Europäischen Union gestimmt. Die politische und wirtschaftliche Bilanz dieses bedeutendsten politischen Projekts seit dem Staatsvertrag 1955 der damaligen SPÖ/ÖVP-Koalition mit Bundeskanzler Franz Vranitzky, Vizekanzler Erhard Busek, Außenminister Alois Mock und Landwirtschaftsminister Franz Fischler ist ohne Alternative. Die Nationalratswahlen am 29. September 2024 dokumentierten auch, dass die EU-Skepsis im Land sehr ausgeprägt ist. Fest steht jedenfalls, dass die Agrar- und Ernährungswirtschaft vom großen Europäischen Binnenmarkt profitierte und heute immer mehr Ernährungsgüter aus Österreich in ausländischen Regalen der Supermärkte zu finden sind. Die agrarischen Ausfuhren haben sich in den vergangenen 20 Jahren wertmäßig um das Fünffache auf mehr als 13 Milliarden Euro erhöht und sind seit dem EU-Beitritt 1995 um das Zehnfache gestiegen.
Die Kraft der Mitte
Franz Fischler, 1946 geboren und auf dem Bauernhof der Großeltern im Tiroler Absam aufgewachsen, studierte nach der Matura in Hall an der Universität für Bodenkultur (Sponsion 1973, Promotion 1978) und war danach Assistent bei Prof. Friedrich Schmittner am Institut für ländliche Regionalplanung. Seine berufliche Laufbahn begann er 1979 in der LK Tirol und wurde vor seinem Wechsel in die Politik Direktor. In seinem neuen Buch „Die Kraft der Mitte“ (ecoWing-Verrlag, Salzburg 2024, 188 Seiten) plädiert er für neue Impulse und Perspektiven in der Europapolitik. Dazu zählen für den früheren Landwirtschaftsminister (1989 bis 1994) und anschließend EU-Agrarkommissar bis 2004 einige Eckpfeiler: Die EU-Staaten sind die lebenswertesten Regionen in der Welt, die Brüssler Gemeinschaft bleibt eine Weltmacht in der Kultur und Wissenschaft, nur Demokratien können Mitglieder der EU sein, die mit ihrer Politik eine nachhaltige Balance zwischen Ökonomie, Ökologie und sozialer Verantwortung anstrebt. Franz Fischler kann auf beachtliche politische Erfolge zurück blicken. Anzuführen ist der mühsame politische Prozess für die Vorbereitung der österreichischen Agrar- und Ernährungswirtschaft auf den europäischen Markt.
Der notwendige Abschied von den seit den 1950er Jahren bestehenden nationalen Marktordnungen mit geregelten Preisen für Bauern und Verbraucher sowie die Implementierung eines neuen Fördersystems mit dem Integrierten Kontroll- und Verwaltungssystem (INVEKOS) löste einen einschneidenden Strukturwandel im Molkereiwesen, in der Getreidewirtschaft und in der Fleischbranche aus. Nachdem die von Bauernbund und Landwirtschaftskammern geforderten Übergangsregelungen für die Landwirtschaft nach dem EU-Beitritt Österreichs nicht durchzusetzen waren, ist es Franz Fischler gelungen, der EU mehr Fördermittel sowie zeitlich befristete Ausgleichszahlungen als teilweise Kompensation für niedrige Erzeugerpreise im Binnenmarkt abzuringen.
Zukunftsorientierte Agrarreform
Als im Sommer 1994 der Luxemburgische Ministerpräsident Jacques Santer zum Präsidenten der Europäischen Kommission bestellt wurde, wünschte er sich überraschend den österreichischen Landwirtschaftsminister als EU-Agrarkommissar. Im März 1998 beschloss die Brüssler Kommission unter dem Namen „Agenda 2000“ eine grundlegende Reform der EU-Agrar- und Strukturpolitik mit dem Ziel, den ländlichen Raum und die Berggebiete zu stärken, Ökologie und Ökonomie besser im Rahmen einer nachhaltigen Landbewirtschaftung in Einklang zu bringen, den Bio-Landbau zu fördern und auch dem Tierwohl mehr Beachtung zu schenken. Der Schock nach dem Rinderwahnsinn (BSE) 1996 befeuerte das Umdenken in der Agrarpolitik. Franz Fischlers Reformpaket, 2003 in Berlin unter deutschem Vorsitz beschlossen und von den Franzosen verwässert, zählt bis heute zu den Meilensteinen der Europäischen Agrarpolitik und enthielt auch Maßnahmen, die 1988 Franz Fischlers Vorgänger als Landwirtschaftsminister, Josef Riegler, mit seinem ökosozialen Konzept formulierte. Er holte den Tiroler in die Politik, der auch als Präsident des Ökosozialen Forums nach der Rückkehr aus Brüssel das Lebenswerk von Josef Riegler fortsetzte.
Österreichs Land- und Forstwirtschaft hat von der EU-Agrarpolitik mit der ländlichen Entwicklungsstrategie, zusammen mit der 1992 von Franz Fischler gegründeten Agrarmarkt Austria (AMA) erfolgreich umgesetzt, sehr viel profitiert. Das Umweltprogramm ist heute das Herzstück der heimischen Agrarpolitik und die Ausgleichszulage hat auch die Bergbauernpolitik auf neue Grundlagen gestellt. Die öffentlichen Gelder (ÖPUL, Ausgleichszahlungen) sowie die Marktordnungsprämien (Betriebs- und Flächenzahlungen) als Bestandteil des Ertrags sichern bäuerliche Einkommen. Im Jahre 2023 wurden für 104.200 Betriebe rund 1.366,6 Millionen Euro ausbezahlt. Die Zusammenarbeit zwischen Agrarressort, Landwirtschaftskammern, Landesregierungen und AMA funktioniert. Überprüfungen haben in den fast 30 Jahren nach dem EU-Beitritt Österreichs zu keinen größeren Beanstandungen geführt. Franz Fischlers Buch „Die Kraft der Mitte“ ist ein beeindruckender Einblick in eine beachtliche internationale politische Karriere des streitbaren Tirolers, der mit Zwischenrufen in verschiedenen Fernsehsendern, nicht immer zur Freude der eigenen Partei, die Innenpolitik kommentiert.
Prof. Gerhard Poschacher war langjähriger Abteilungs- und Gruppenleiter im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft.
- Bildquellen -
- IMG 1800: Bauernzeitung