Noch geht es meist um gerissenes Wild, selten auch Schafe oder ein gejagtes Kalb in einem Tal in Kärnten. Doch schon bald beginnt die Weide- und Almsaison und die Emotionen vieler Bauern nach vermehrt von Wölfen zerfleischten Nutztieren werden hochkochen. Experten über den Umgang damit.
Ob man es gerne hört oder nicht: Der Wolf genießt einen hohen Schutzstatus. Geregelt ist dieser in der FFH-Richtlinie der Europäischen Union. Sie besagt, dass Wölfe nur dann bejagt werden dürfen, wenn sie bereits „einen günstigen Erhaltungszustand“ in einem Land erreicht haben. Was für Österreich eine Populationsgröße von 39 Rudeln bedeuten würde. So interpretieren dies anerkannte Wolfs-Experten aus Österreich. Andere Studien kommen auf eine noch weitaus größere Anzahl an Rudeln, die in der Alpenrepublik Platz hätten.
Aktuell drei Rudel im Land
Seit 2017 hat sich die Wolfspopulation in Österreich vervielfacht. Waren es vor sechs Jahren nicht einmal zehn bestätigte Wölfe, so waren es im Jahr 2021 schon rund 35 bestätigte Wölfe, die in Österreich herumstreifen. Deutschland wie auch die Schweiz sind uns hier zehn bis 15 Jahre voraus. In beiden Ländern stellen Experten auch ein exponentielles Wachstum der Populationen fest, in die nicht oder nur äußerst selten eingegriffen werden darf. „Mitteleuropa ist ein Raum mit ausgesprochen wolfsfreundlichen Bedingungen, Österreich ist davon der allerbeste. Hier wird Wölfen alles geboten, was ihnen das Leben leicht macht. In 15 Jahren wird es in Österreich zwischen 50 und 500 territoriale Wölfe geben“, schätzt Professor Klaus Hackländer, Leiter des Instituts für Wildbiologie und Jagdwirtschaft an der Universität für Bodenkultur.
Immer mehr Wölfe in Österreich
Quelle: Daten: Dr. Rauer, VetmedUni, 12/2021; Grafik: BZ/Merl; Illustartion: nurofina - stock.adobe.comIn Artikel 16 Abs. 1 der erwähnten FFH-Richtlinie sind die Ausnahmen vom strengen Schutz der großen Beutegreifer geregelt. Österreich geht hier als eines von wenigen EU-Ländern einen Sonderweg. Vier Bundesländer, darunter Niederösterreich, Salzburg, Kärnten und Tirol, haben oder hatten mit befristeten Genehmigungen zur Entnahme von Problemwölfen bereits erste Erfahrungen gemacht. Diese gibt es nur unter bestimmten, äußerst strengen Bedingungen.
Bisher wurde hierzulande noch kein Wolf im Zuge dieser Ausnahmeregelungen entnommen. Dazu zwei Beispiele:
• In Salzburg ist ein Entnahmegebiet für einen bestimmten Wolf durch einen Sachverständigen zu beurteilen und durch eine Verordnung festzulegen. Binnen vier Wochen ist dann die Entnahme des Problemwolfes im Umkreis von zehn Kilometern im Maßnahmengebiet möglich. Die im August 2021 in Kraft getretene Verordnung zum Abschuss ist seit Ende 2021, also nach wenigen Monaten, aber bereits wieder außer Kraft.
• In Kärnten trat im Jänner dieses Jahres eine Verordnung in Kraft, die für zwei Jahre gelten soll. Die Entnahme von Schadwölfen, denen mindestens 20 Risse binnen einem Monat nachgewiesen werden, ist möglich.
Wie geht man in Schweden vor?
Schweden wird in vielen Diskussionen genannt, da die Regierung in Stockholm es erlaubt, Wölfe zu entnehmen. Warum aber dürfen die Schweden Problemwölfe entnehmen und wir in Österreich nicht?
In Schweden zählt man jedes Jahr zwischen 20.000 und 70.000 gerissene Rentiere. Zwar ist die rechtliche Ausgangslage dieselbe wie in Österreich, nur bekennt sich Schweden zum Wolf und dessen guten Erhaltungszustand. Das Land betreibt darüber hinaus, gemeinsam mit Norwegen und Finnland, ein umfangreiches wissenschaftliches Monitoring (mit DNA-Proben, Kamerafallen, Kotproben, Besenderungen, Schneespurenabgleich etc.). Es gibt jährlich einen Bericht über den Wolfsbestand durch Universitäten und man hat eine Zahl von 300 Wölfen für den guten Erhaltungszustand festgelegt. Der große Unterschied zu Österreich ist aber die Bestandskontrolle darüber hinaus durch Lizenzjagd nach Schutzinteressen. Dieses Modell ist europarechtlich umstritten, trotzdem entnimmt Schweden jährlich Wölfe nach den gleichen Kriterien – und die EU-Kommission in Brüssel akzeptiert dies seit über zehn Jahren. Ähnlich ist das in Frankreich.
Nicht nur Bauern betroffen
In Österreich kämpfen Bauernbünde und andere Interessenvertreter seit Jahren vehement darum, die Ausnahmebestimmungen im Notfall anwenden zu dürfen. Bei der konstant steigenden Wolfspopulation geht es aber schon lange nicht mehr nur um die Interessen der Land- und Almwirtschaft, sondern auch um die Sicherheit der Mitmenschen, um das Ausleben von Freiheit und Freizeitaktivitäten in der Natur sowie ganz besonders um das Wohl vom Wolf auserkorener Nutztiere.
Betroffenheit: 2 zu 98 Prozent
Bei einem Expertenhearing organisiert vom Bauernbund in Wien wurden die Wolfs-Beobachtungen der vergangenen Jahre und der Umgang mit Wolfsrissen und Sichtungen in Siedlungsnähe diskutiert. Die Erkenntnis daraus: Es gibt nach wie vor wenig Erfahrungswerte, wie sehr der Wolf eine neue Gefahr für uns darstellt. Trotzdem oder gerade deshalb gilt es, Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Und diese betreffen vorrangig die Kommunikation rund um das Thema Wolf. So sind auf den ersten Blick weniger als zwei Prozent der gesamten Bevölkerung im Land direkt von der Rückkehr der Wölfe und damit verbunden Wolfsrissen betroffen, indem sie auch einen messbaren wirtschaftlichen Schaden etwa in der Landwirtschaft nachweisen können. Die restlichen 98 Prozent der Österreicherinnen und Österreich sind wenig oder gar nicht vom Auftauchen eines Wolfes betroffen.
Ein Teil der Bevölkerung hat aber bereits eine gefestigte Meinung über den Wolf. Ein nicht unerheblicher Teil hat sich indes noch keine endgültige Meinung gebildet. Und genau hier gehen die Umfragen und die Meinungen weit auseinander. Das persönliche Gespräch, gerade in Regionen, die direkten Kontakt mit Großraubtieren haben, zeigt ein durchaus anderes Stimmungsbild, als es so manche Befragung oder auch Medienberichte zeichnen. Das könnte am romantisierten Bild, das oft rund um Befragungen zur Rückkehr der Wölfe mit suggeriert wird, liegen. Experten zufolge sei dies aber kein Spiegel der Realität.
Wozu Verhaltensregeln, wenn es keine Gefahr gibt?
Wozu aber braucht es Verhaltensregeln, wenn viele in Wölfen keine Gefahr sehen? Dazu Gregor Grill von der LK Salzburg: „Es darf nicht länger über die von der verstärkten Präsenz des Wolfes Betroffenen gesprochen werden, es muss mit ihnen geredet werden. Großraubtiere wie Wölfe oder Bären verunsichern Eltern, beschneiden die Möglichkeiten von Sportlern und Erholungssuchenden und gefährden das Alleinstellungsmerkmal unserer Berglandwirtschaft, die ja auch qualitativ einzigartige Lebensmittel liefert.“
Grill tritt daher für Gespräche stets auf Augenhöhe ein, „in denen die Sorgen und Bedenken dieser vom Wolf betroffenen Gruppen ernstgenommen werden.“ Aus seiner Sicht sind klare Spielregeln im Umgang mit dem Raubtier unumgänglich. „Den Wolf ohne Regulierungsmöglichkeiten in Österreich leben zu lassen, bedeutet, dass Beispiele aus Deutschland auch bei uns einziehen werden: Hunde immer an die Leine, Kinder stets an der Hand und nur mehr in Gruppen in die Natur gehen. Aber wollen das die Menschen?“
Wolfssichtung in Kärnten
Kühe brüllten so laut, dass Bauer wach wurde: Das Brüllen der Mutterkühe hat einem Kalb wohl das Leben gerettet, als in der Nacht auf Montag zwei Wölfe in Greifenburg in Kärnten einer Viehherde trotz dreifachem Stacheldrahtzaun nahegekommen sind. Die Wölfe hatten das Kalb bereits von der Herde getrennt und in einen Graben getrieben, als der Bauer gegen ein Uhr nachts zur Hilfe kam. Die anderen Rinder verhielten sich völlig hysterisch. Der Rinderhalter alarmierte sofort Polizei und Jägerschaft. Die Wölfe haben sich daraufhin nur wenige Meter vom Hof in eine Tallage entfernt und das Geschehen noch einige Zeit beobachtet. Am nächsten Morgen erklärte der Bauer gegenüber den Medien: „Die Wölfe haben keine Angst vor Menschen. Ich bin mir nicht sicher, ob wir unsere Tiere heuer auf die Alm treiben werden.“ Wenn die Wölfe schon im Tal alle möglichen Tiere töten, „wie sollen wir unser Vieh oben am Berg schützen?“
- Bildquellen -
- Statistiken Wolf: Daten: Dr. Rauer, VetmedUni, 12/2021; Grafik: BZ/Merl; Illustartion: nurofina - stock.adobe.com
- Wolf: in-foto-backgrounds - stock.adobe.com, AB Photography - stock.adobe.com