Der Kampf gegen das „Totschweigen“

Als Mediatorin hilft Martina Haunholter Bauernfamilien in schwierigen Situationen. Die Kommunikation ist eine der größten „Baustellen“ des privaten und betrieblichen Alltags.

Martina Haunholter aus Schwendt ist eingetragene Mediatorin mit Masterabschluss u. a. in Mediation und Konfliktmanagement.

Frau Haunholter, in welcher Situation ist eine Mediation am Hof gefragt?

HAUNHOLTER: Landwirtschaftliche Betriebe sind aufgrund der steten Vermischung und Verwobenheit von Betrieb und Familie sehr komplex. Es gilt die unterschiedlichen Interessen der stetig zusammen am Hof lebenden und arbeitenden Generationen unter einen Hut zu bringen. Eine Trennung zwischen Arbeit und Privatem ist kaum möglich. Dies führt oftmals zu unklaren Rollen- und Kompetenzzuweisungen und erschwert sohin das Zusammenleben und Zusammenarbeiten am Hof. 

Mediation wird eingesetzt, wenn Spannungen und Konflikte bereits das Alltagsleben erschweren. Hier hilft Mediation den Beteiligten durch Einbeziehung eines neutralen Dritten, eingefahrene Streitmuster zu durchbrechen und nicht im Konflikt stecken zu bleiben. Die strukturierte Gesprächsführung in der Mediation wirkt deeskalierend. Ebenso werden Gefühle und Bedürfnisse, welche in Konflikten immer eine Rolle spielen, berücksichtigt. Mediatoren helfen Ängste ab- und Vertrauen aufzubauen und unterstützen, dass Familienmitglieder den Zugang zueinander wieder finden. 

Mediation kann aber auch präventiv als „Deal“-Mediation angewendet werden, um Konflikte bereits vorab zu vermeiden. Bei betrieblichen (Hofübergabe, Betriebsumstellung, Pacht, …)  oder privaten (Einheirat, Pflege, Tod, …) Veränderungen ermöglicht eine „Deal“-Mediation, dass Familienmitglieder von vornherein klare und geregelte Rollen- und Kompetenzzuweisungen eruieren. 

Die „Deal“-Mediation bietet eine gute Chance, Erwartungshaltungen der Beteiligten zu klären, aber vor allem generationsübergreifende Perspektiven zu diskutieren, neu zu entwickeln und ungeahnte Fähigkeiten und Potenziale des Betriebes als auch der Familienmitglieder zu finden und in zukünftiges Zusammenleben und Zusammenarbeiten gewinnbringend miteinfließen zu lassen.

 Welche Vorteile bietet eine Mediation?

HAUNHOLTER: Mediation unterstützt, Bedürfnisse und Interesse jedes einzelnen Familienmitgliedes zu erfahren – sie schafft sowohl Klarheit als auch eine tiefere Verbindung untereinander.

Eine Aussprache mit allen Beteiligten sorgt dafür, dass  alle gehört und miteinbezogen werden, statt vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Auch sensible, heikle Themen kommen auf den Tisch und werden nicht totgeschwiegen.

Und durch den Blick hinter Positionen auf die Bedürfnisse der Beteiligen können wahre Konflikt-ursachen hervorgehoben und berücksichtigt werden, ebenso werden Wünsche sichtbar gemacht.

Bei der gemeinsamen Lösungssuche werden Entscheidungen eigenverantwortlich und selbstbestimmt ausverhandelt, was ein besseres Verständnis für nachhaltige Vereinbarungen schafft.

Wir streben die Kooperation anstelle der Konfrontation an und suchen nach Win-Win-Lösungen für alle Beteiligten.

Die Hofübergabe ist leider eines der gängigsten Streitthemen.

HAUNHOLTER: Im Grunde sind Hofübergaben überall meist mit denselben Problemen konfrontiert.

Für Übergebende bedeutet es, das eigene Lebenswerk an die nächste Generation abzugeben. In Tirol haben wir das Glück, dass es noch viele Junge gibt, die Interesse an der Übernahme eines Hofes haben, jedoch wird es zum Problem, wenn mehrere Kinder sich die Übernahme des Hofes vorstellen können und hier eine Entscheidung getroffen werden muss, da ein Hof nicht aufgeteilt werden kann. 

Weiters bedeutet eine Übergabe immer ein Loslassen von Verantwortung und Entscheidungsgewalt. So fordert eine Hofübergabe betriebliche, zukünftige Entscheidungen der nachfolgenden Generation zu überlassen und nur mehr in einer Rat gebenden, unterstützenden Funktion am Betrieb tatkräftig mitarbeiten zu können.  

Übernehmende sind oftmals hin- und hergerissen. Als zukünftige Eigentümer gilt es Rechte und Verpflichtungen, sowie die gesamte Verantwortung für den Fortbestand des Betriebes zu tragen. Den Erwartungen der Übergebenden, der weichenden Geschwister und der Partnerin oder des Partners gerecht werden zu wollen und gleichzeitig eigene Wege der Betriebsführung anstreben zu können, erzeugt oftmals immensen Druck.  

Weichende „verlieren“ durch die Übergabe ihr Elternhaus, welches dem Rauswurf aus dem Nest gleichkommt. Als Ausgleich für den Verzicht wünschen sie sich eine gerecht empfundene Gegenleistung. 

Vor allem in Tirol stellt die Abfindungsregelung vermehrt Konfliktpotenziale dar. Eine materiell gerechte Übergabe ist aufgrund des enormen Unterschiedes zwischen Ertrags- und Verkehrswert kaum mehr möglich, Bauplätze für Weichende sind kaum mehr realisierbar; so passiert es, dass die Übergabe gar nicht oder lange hinausgezögert wird oder nur teilweise geregelt stattfindet, indem Pflichtteilsverzichte nicht unterschrieben werden, was oftmals zu fatalen Folgen aufgrund von Erbstreitereien nach Ableben des Erblassers führt. 

Für Weichende bedeutet die Hofübergabe oftmals eine emotionale Zurückweisung, da vielfach erwartet wird, den Verzicht des Hofes widerspruchslos hinzunehmen. Auch wenn die Diskussion oft um Vermögenswerte kreist, geht es häufig tatsächlich um die Wertschätzung der Eltern. Kinder wollen gesehen, gehört und als „gleichwertiges Kind“ akzeptiert werden. Ihre Mithilfe am Betrieb bedarf einer Würdigung. Werden Weichende frühzeitig in Nachfolgegespräche miteinbezogen, kann das Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt  und das Gefühl der Benachteiligung zurückgewiesen werden. 

Gerecht ist immer, was als fair empfunden wird – und das ist verhandelbar.

Wie lässt sich offen kommunizieren, wenn die Fronten schon verhärtet scheinen?

HAUNHOLTER: Bauernfamilien neigen dazu, familiäre Schwierigkeiten nach außen zu beschwichtigen. Aus Angst vor Konflikten werden heikle Themen totgeschwiegen, man geht sich oftmals gezielt aus dem Weg oder zögert wichtige Entscheidungen hinaus. Diese vom Schweigen geprägten Konflikte bedrohen die Existenz eines jeden Betriebes und belasten das familiäre Zusammenleben.  

Konflikte sind Krise und Chance zugleich: Es geht darum, auftretende Probleme und Herausforderungen anzunehmen, sie zu bearbeiten, um danach gestärkt und mit Nutzen für jeden Beteiligten herausgehen zu können. 

Ein professioneller Umgang mit diesen Auseinanderstrebungen ist für die Familie und für den Betrieb gewinnbringend. Deshalb ist Mediation, vor allem bei verhärteten Fronten, die geeignete Methode. 

Wie funktioniert die Mediation in der Praxis?

HAUNHOLTER: Die Mediation ist ein ganz strukturiertes Verfahren und verläuft in der Regel in fünf Phasen. Als Mediatorin ist es in erster Linie meine Aufgabe, die Dynamik des Konfliktes zu verlangsamen. Durch die gezielte und strukturierte Gesprächsführung, als auch gezielt gesetzte Interventionen werden Streitmuster durchbrochen, alle Beteiligten kommen zu Wort und werden gehört. Es geht nicht darum, zu urteilen und zu bewerten, was richtig und falsch ist. 

Die Mediation zielt darauf ab, Sichtweisen und Emotionen des anderen nachvollziehen und verstehen zu können, Bedürfnisse zu verdeutlichen und gemeinsam einen zukünftigen Weg zu erarbeiten, der von allen Beteiligten akzeptiert und umgesetzt wird.  Eingetragene Mediatoren unterliegen der Verschwiegenheitspflicht, als auch der Allparteilichkeit. Wir sind keine Berater, keine Richter und auch keine Therapeuten. Ziel ist es, eine Gesprächsbasis herzustellen, das gegenseitige Verständnis zu verbessern und Parteien zu unterstützen, eigenverantwortlich eine Lösung ihres Problems zu finden. 

Wem der Fortbestand des Betriebes und der Zusammenhalt der Familie wert genug sind, wird das Gespräch suchen. Unter Einbeziehung eines Mediators verlaufen diese Gespräche professionell, zukunfts- und lösungsorientiert. 

Welchen Rat würden sie Bauernfamilien, die vor einer schwierigen Situation stehen, geben?

Das Totschweigen von Bedürfnissen, und Familienmitglieder vor vollendete Tatsachen zu stellen hat fatale Auswirkungen auf die Zukunft des Betriebes und auf das Zusammenleben der Familie. 

Ein landwirtschaftlicher Betrieb ist ein komplexes Familiensystem – damit dieser langlebig und nachhaltig existieren kann, braucht es den Zusammenhalt der gesamten Familie, eine geregelte Übergabe, gute generationsübergreifende Zusammenarbeit von Übergebenden und Übernehmenden sowie das Netzwerk von Weichenden, die auch nach der Übergabe zu Fürsprechern für die Landwirtschaft werden. Jeder Einzelne hat seinen Beitrag zu leisten. 

Vor allem bei Nachfolgeregelungen obliegt es der Verantwortung und Verpflichtung des Eigentümers, für eine geregelte Übergabe zu sorgen, damit der Fortbestand des Hofes gesichert ist. Und dafür sind Gespräche mit allen Beteiligten  unabdingbar. 

Ich rate Bauernfamilien deshalb, Konflikte als ganz natürlich und überall vorkommend anzusehen, sie anzunehmen und die Chance dieser Krise bestmöglich zu nutzen. Keine Scheu zu haben, sich mittels einer Mediation das Know-how von qualifizierten Fachkundigen einzuholen, um aus schwierigen Situationen und bei wichtigen Entscheidungen das Beste für Betrieb und Familie herauszuholen.  

Vielen Dank für das Gespräch!

Vorstellung: Martina Haunholter

Mein Name ist Martina Haunholter, ich bin 42 Jahre alt, bin mit meinem Mann Klaus verheiratet, wir haben zwei Kinder, Maximilian (18 Jahre) und Johanna (16 Jahre) und bewirtschaften einen Mutterkuhbetrieb mit Almwirtschaft im Bezirk Kitzbühel. Aufgewachsen als drittes Kind auf einen Milchviehbetrieb in Kössen führte die Einheirat 2005 auf den Niederhauserhof in Schwendt. Nach der Geburt meiner beiden Kinder habe ich 13 Jahre lang, bis 2022, in der Landwirtschaftskammer Kitzbühel gearbeitet. Eigene Erfahrungen, als auch die vielen Einblicke in das Alltagsleben der Bauern und Bäuerinnen haben mich bewegt, die Ausbildung zur dipl. Mentaltrainerin, als auch das Masterstudium für Mediation und Konfliktmanagement zu absolvieren.
Seit 2022 bin ich selbständig, als zertifizierte Mediatorin eingetragen in die Liste des Bundesministeriums für Justiz, weiters Mitglied beim Österreichischen Bund für Mediation und Sprecher für Tirol im österreichweiten Netzwerk Hofkonflikt. Das Netzwerk Hofkonflikt wurde bereits vor über 20 Jahren gebildet und war vorwiegend im Osten Österreichs präsent. Nun konnte Tirol miterschlossen werden. Alle Mediatoren des Netzwerkes sind zertifiziert und verfügen über einen bäuerlichen Hintergrund.

Kontakt: Tel.: 0664/88 70 58 51 | E-Mail: martina.haunholter@kufnet.at
www.mehrwert-dialog.at oder www.hofkonflikt.at

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