Dem kürzlich unterzeichneten EU-Freihandelsabkommen mit Kanada, CETA, bläst nach wie vor starker Wind entgegen. Die Ängste vor hormonbehandeltem Rindfleisch, gentechnisch veränderten Organismen und Investitionsschutzklagen sind – zumindest im europä-ischen Raum – noch lange nicht zerstreut.
Trotz der Unterzeichnung des Abkommens durch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, den kanadischen Premierminister Justin Trudeau, EU-Ratspräsident Donald Tusk und den slowakischen Regierungschef Robert Fico als amtierender EU-Ratsvorsitzender, erlangt der Vertrag noch lange nicht seine gesamte Gültigkeit. Dafür müssen nun erst das EU-Parlament sowie die nationalen Parlamente der EU-Mitgliedsstaaten dem Abkommen zustimmen. Die Ablehnung aus weiten Teilen der Zivilbevölkerung blieb bislang unbeeindruckt bestehen.
Auch der kanadische Markt bietet Chancen
Dabei könne CETA und der sich dadurch öffnende kanadische Markt, der als sehr kaufkräftig gilt, auch als Alternative zu Russland gesehen werden. Bekanntlich fiel der russische Markt aufgrund des Embargos seit August 2014 für den europäischen Agraraußenhandel weg. Um die weggefallenen Abnehmer von Agrargütern bzw. Lebensmitteln zu ersetzen, startete Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter verschiedene Exportinitiativen, u. a. in China und Japan. Doch nicht nur der aufstrebende, sich immer mehr an westlichen Konsumgewohnheiten orientierende, asiatische Markt scheint von Interesse für die österreichischen Agrarexporteure zu sein. Auch der kanadische Markt bietet Chancen.
Der kanadische Konsument ist kaufkräftig
Auf einer Fläche von fast zehn Mio. Quadratkilometern leben rund 35 Mio. Einwohner. Das kanadische Bruttoinlandsprodukt betrug im Vorjahr 1522 Mrd. US-Dollar (=1425 Mrd. Euro). Demgegenüber steht der russische Markt mit 149 Mio. Einwohnern und einem Bruttoinlandsprodukt von rund 1324 Mrd. US-Dollar (= 1215 Mrd. Euro).
Diese Zahlen verdeutlichen: der russische Markt beherbergt zwar mehr potenzielle Konsumenten, der kanadische Konsument ist aber deutlich kaufkräftiger.
Die österreichischen Agraraußenhandelszahlen mit Kanada sprechen eine ähnliche Sprache. In einigen Sektoren des Agrarbereichs exportiert Österreich bereits mehr Waren nach Kanada, als es importiert. Das gilt beispielsweise für den Bereich “Zubereitungen von Getreide, Mehl, Stärke und Backwaren” sowie weniger überraschend auch für das Kapitel “Getränke, alkoholische Flüssigkeiten und Essig”. Im Zollkapitel “Milch und Molkereierzeugnisse, Eier und Honig” schlagen Exporte im Wert von 456.000 Euro, oder mengenmäßig 108 Tonnen, zu Buche, während Österreich nichts aus Kanada importierte.
Agrarhandelsbilanz fällt für Österreich positiv aus
Auch insgesamt fällt die Agraraußenhandelsbilanz positiv aus: Österreich exportierte im Vorjahr Agrargüter im Wert 15,7 Mio. Euro. Das entspricht einer Menge von 7404 Tonnen. Umgekehrt lieferte Kanada Waren im Wert von knapp 13 Mio. Euro (Menge: 4261 Tonnen) nach Österreich. Die größten Posten entfielen dabei auf die Kapitel “Genießbare Früchte, Schalen von Zitrusfrüchten, Melonen”, “Schellack, Gummen, Harze; Pflanzensäfte”, “Zucker und Zuckerwaren” sowie “Zubereitungen von Gemüsen, Früchten und anderen Pflanzen”. Die wichtigsten kanadischen Importprodukte waren laut Landwirtschaftsministerium Schleime und Verdickungsstoffe von Pflanzen, Preiselbeeren und Moosbeeren sowie Ahornzucker und Ahornsirup.
Zwar sind die exportierten Mengen im Vergleich zum gesamten österreichischen Außenhandel (knapp zehn Mrd. Euro) noch sehr gering, für die heimischen Exporteure könnte der kaufkräftige kanadische Markt aber durchaus Chancen bieten. Diese zusätzlichen Absatzmöglichkeiten spielen auch angesichts der heimischen Struktur des Lebensmittelmarkts eine wichtige Rolle.
Ausfuhren werden wirtschaftlich wichtiger
Wie Marianne Priplata-Hackl aus der Abteilung Betriebswirtschaft der LK Niederösterreich in einem CETA-Faktencheck erklärt, werden in Österreich bei sinkenden Ausgaben für Ernährung und einer hohen Marktkonzentration im Lebensmitteleinzelhandel die Ausfuhren zur wirtschaftlichen Absicherung immer wichtiger.
Bereits zwei von drei Produkten der Lebensmittelindustrie würden heute außerhalb Österreichs verkauft. Den Erfolg dieses Sektors belege auch, dass – anders als in anderen Sektoren – in den der Landwirtschaft vor- und nachgelagerten Bereichen die Beschäftigungszahlen in der letzten Dekade gestiegen seien, erklärte Priplata-Hackl.
Gegenseitige Anerkennung in CETA festgeschrieben
Weitere Argumente, die die Bedenken gegenüber dem Abkommen zerstreuen sollen, sind die Ausnahmen für sensible Produkte und die gegenseitige Anerkennung der Standards. So wurden für sensible Produkte, wie Rind- und Schweinefleisch, Importquoten vereinbart. Geflügelfleisch und Eier sind vom Zollabbau ausgenommen. Was die gemeinsamen Standards betrifft, so stellt der Vertragstext laut EU-Kommission sicher, dass “in den Bereichen Gesundheitsschutz und Sicherheit, soziale Rechte, Verbraucherrechte oder Umweltschutz die EU-Standards nicht abgesenkt oder geändert” würden. Die Einfuhren aus Kanada werden ausnahmslos sämtlichen EU-Produktvorschriften und -Regelungen genügen müssen. CETA werde also nichts an der Art und Weise der EU-Regulierung im Bereich der Lebensmittelsicherheit ändern, etwa in Bezug auf gentechnisch veränderte Organismen oder das Verbot von hormonbehandeltem Rindfleisch. Sämtliche Regeln gelten zudem ausschließlich für kanadische Produkte, nicht aber für von Kanada bereits importierte Waren.
Neben all diesen Fakten macht LK Österreich-Präsident Hermann Schultes auf eine weitere Thematik aufmerksam: “Alle 28 Mitgliedsstaaten haben diese Abkommen gemeinsam beschlossen.” Wer jetzt nicht zu den Beschlüssen stünde, würde die Handlungsfähigkeit der EU und die Glaubwürdigkeit der Politik infrage stellen. Schultes appellierte an die Bundesregierung, insbesondere an Bundeskanzler Christian Kern, die Ergebnisse der Verhandlungen nun gemeinsam zu tragen und in späterer Folge auch umzusetzen, denn “Sicherheit verlangt Ergebnisse”, machte Schultes auch auf die unsicheren Zeiten angesichts des nächsten US-Präsidenten Donald Trump oder des Brexit aufmerksam.
Eva Zitz
Was kann CETA? – Zölle und andere Hemmnisse abbauen
• CETA schafft 99 % der Zölle ab. • Kanada wird Zölle im Umfang von 400 Mio. Euro auf Waren aus der EU aufheben.
• CETA baut auch nicht-tarifäre Handelshemmnisse ab, d. h. Regeln und Standards werden voneinander anerkannt.
• Die EU stellt dazu klar: “CETA wird nichts an der Art und Weise der EU-Regulierung im Bereich Lebensmittelsicherheit ändern.”
Ausblick: Wie es mit CETA weitergeht
Anfang Dezember stimmt der Handelsausschuss des EU-Parlaments über CETA ab. Ende dieses Jahres oder Anfang nächsten Jahres soll dann das EU-Parlament darüber entscheiden. Damit das Abkommen in Kraft treten kann, müssen zusätzlich alle 28 nationalen Parlamente zustimmen. Ein Zeitraum dafür ist nicht vorgesehen. Bis alle notwendigen Zustimmungen vorliegen, könnte es also mindestens noch ein Jahr dauern, wahrscheinlich auch länger.