Deutschlands neuer Agrarminister Cem Özdemir ist derzeit der einzige grüne EU-Agrarminister. Auch Österreichs Bauern können und werden ihn demnächst kennenlernen. Das Ökosoziale Forum Österreich hat Özdemir Ende Jänner zu seiner Wintertagung 2022 eingeladen. Özdemir soll die Vorhaben der in den kommenden Jahren von Berlin verfolgten Agrarpolitik vorstellen. Indes könnten dem gegenwärtig einzigen Agrarminister mit grünem Parteibuch in der EU in Brüssel vorerst etablierte Parteinetzwerke fehlen und Startschwierigkeiten am Beginn seiner Amtszeit bedeuten, mutmaßen laut Agra-Europe verschiedene Brüsseler Akteure.
So kommt es in der Regel vor den offiziellen Zusammenkünften der Minister in Brüssel oder Luxemburg jeweils zu eigenen Vortreffen der Ressortchefs der Europäischen Volkspartei (EVP), der Sozialdemokraten und Sozialisten sowie der liberalen Parteien, an der auch die agrarpolitischen Sprecher der jeweiligen Fraktionen teilnehmen. Andere Beobachter wiederum meinen, dass die unterschiedlichen Trennlinien im Agrarrat eher geographisch oder auch kulturell begründet sein dürften. Je nach Thema gebe es also vor allem innerhalb der östlichen Mitgliedstaaten wie in der aus Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn bestehenden Visegrad-Gruppe, den Mittelmeerländern sowie den teilweise progressiveren westlichen oder skandinavischen Mitgliedstaaten eine parteiübergreifende Zusammenarbeit.
Deutschland im Reformlager
Erste Kritik an Özdemir vor dessen erster Teilnahme am Agrarrat übte der Vorsitzende des Landwirtschaftsausschusses im EU-Parlament, Norbert Lins: Özdemirs Aussage, dass Deutschland im Agrarrat jetzt in das Reformlager der EU-Staaten wechseln werde, sei „objektiv unzutreffend“, so Lins. Vielmehr sei Deutschland dort schon immer, auch unter Özdemirs Amtsvorgängerin Julia Klöckner vertreten gewesen, so der CDU-Politiker. Erwartungsgemäß Lob für seien Parteifreund Cem gab es vom grünen Agrarsprecher Martin Häusling. Laut dem langjährigen EU-Agrarpolitiker habe Özdemir „die entscheidenden Personen aus der Kommission“, also Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, deren Vize und Klimakommissar Frans Timmermans sowie EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevicius auf seiner Seite. Auch werde „die länderübergreifende Panikmache vor der Farm-to-Fork-Strategie“ durch Özdemir keine Unterstützung finden, meint Häusling.
Özdemirs Amtsverständnis
Özdemir selbst betonte nach seiner Amtseinführung, er verstehe sich als „oberster Anwalt der Landwirtinnen und Landwirte, also derjenigen, die für das Essen auf unserem Tisch sorgen“. Zudem sieht er seine Aufgabe in der des „obersten Tierschützers dieses Landes“ und wolle als Minister unterschiedliche Interessen zusammenführen. Den Bauern versprach er Hilfe bei der Transformation „hin zu mehr Tierwohl sowie Umwelt-und Klimaschutz“. ,,Zwischen Landwirtschaft und Umwelt gehört kein ,oder“‘, so der neue Ressortchef. Die größten Herausforderungen unserer Zeit seien die Bewältigung der Klimakrise und der Erhalt des Artenreichtums“. Diese Ziele erreiche man aber nur gemeinsam mit der Landwirtschaft. Und diese sei vielerorts der Garant dafür, „dass Dörfer lebendig und ländliche Räume lebenswert sind“.