Österreich verbraucht zu viel Boden. Zu dieser Feststellung mag es allgemeinen Konsens in der Bevölkerung und sogar im politischen Spektrum unseres Landes geben. Damit endet aber auch schon wieder die Harmonie. Denn bei der Frage, wer, wann, wo und wie viel weniger Boden „verbrauchen“ soll, gehen die Meinungen und Standpunkte rasch auseinander. Die wirtschaftlichen Interessen sind einfach zu groß, um Übereinstimmung zu ermöglichen.
Fehlerhafte Daten
Ausgangspunkt der Debatte um den „Bodenverbrauch“ in Österreich ist das Ausmaß von rund elf Hektar pro Tag, von denen rund fünf Hektar versiegelt werden. Wie der Bewertungssachverständige Dr. Alois Leidwein in der Österreichischen Zeitschrift für Liegenschaftsbewertung erst Anfang des heurigen Jahres publizierte, sind die genannten Werte aber alles andere als stichhaltig. Die Berechnung beruhe auf einer ungeeigneten Grundlage. Wie groß der Fehler der Berechnungsmethode ist, belegt Leidwein mit den Gletscherflächen in Österreich, denn nach dem Berechnungsmodell würden die Gletscher in Österreich seit 2012 täglich um drei Hektar wachsen (!). Um das Regierungsziel der Reduktion des Bodenverbrauchs auf 2,5 Hektar pro Tag auf eine valide Grundlage zu stellen, arbeitet das Umweltbundesamt derzeit an einem GIS-Modell, in dem das Jahr 2022 als Ausgangspunkt für die Bodenstrategie der Bundesregierung gelten soll.
Der Gipfel der Auseinandersetzung zwischen Entwicklern und Bewahrern der Bodensubstanz wurde erst Anfang Mai erreicht.
Staatshaftungsklage
Die NGO „AllRise“ hat eine Staatshaftungsklage gegen die Republik sowie gegen die Bundesländer Niederösterreich und Oberösterreich eingebracht. Gegen letztere, weil diese mit 2,5 bzw. 2,2 Hektar pro Tag jeweils so viel Boden verbrauchen, wie eigentlich der Zielwert für ganz
Österreich wäre. Gegenstand der Klage ist auch die Zersplitterung der Zuständigkeiten zwischen Bund, Ländern und Gemeinden sowie die bis dato fehlende nationale Bodenschutzstrategie. Seitens der Initiatoren der Klage meint man, dass der Kampf gegen die Klimakrise zu einem Gutteil auf den Gerichtshöfen stattfinden werde. Laut Meldung der Tageszeitung Kurier vom 13. Juni hat der Verfassungsgerichtshof die Klage angenommen und an die beklagten Parteien zur Stellungnahme übermittelt. Diese soll bis Mitte August vorliegen.
Hohe Baulandreserven
Fachlich im Nebel ist allerdings auch das „2,5-Hektar-Ziel“ selbst. Die der Zielsetzung zugrunde liegende EU-Bodenstrategie sei unscharf und teils auch widersprüchlich, meint Leidwein. So werde mit dem Erhalt landwirtschaftlicher Flächen zwecks Ernährungssicherheit argumentiert, während man biodiverse nicht-landwirtschaftlich genutzte Flächen vergrößere. Ginge es rein um die Ernährungssicherheit, dann wäre wegen der geringeren Erträge auch der Biolandbau zu hinterfragen.
Weiters ist zu klären, ob Flächen für Freilandphotovoltaik und Windkraft oder beispielsweise auch Forststraßen auf das 2,5-Hektar-Ziel anzurechnen sind. Allein für die Photovoltaik reichen Bedarfsschätzungen der Wien Energie bis 2030 auf 7.500 bis 10.000 Hektar. Bei voller Anrechnung wäre schon damit das 2,5-Hektar-Limit erschöpft.
In folgerichtiger Konsequenz müsste eine Bodenstrategie auch das Problemfeld Baulandreserve lösen. Bundesweit bestehen etwa 72.000 Hektar ungenutzte Baulandwidmungen. Bei 2,5 Hektar Nutzung pro Tag würde diese Reserve für 79 Jahre reichen. Sämtliche Bemühungen, diese Widmungen tatsächlich in Nutzung zu bringen oder mittels Entschädigung durch noch einzurichtende Bodenfonds rückzuwidmen, sind bisher allerdings gescheitert.
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