Für das Interview haben wir Bundesminister Norbert Totschnig in seinem Büro am Stubenring besucht. Seit seiner Angelobung im Mai dieses Jahres hat sich viel getan. Überrascht hat der gebürtige Tiroler mit bisher ungewohnt offensiven Schritten in der Wolfspolitik.
Bauernzeitung: Haben Sie damit gerechnet, dass Ihre erste Initiative im EU-Agrarrat ein Erfolg wird?
Totschnig: Mein Ansatz ist, die Dinge anzupacken. Der Schutzstatus des Wolfs wird über eine EU-Richtlinie geregelt, die 30 Jahre alt ist. Damals gab es in Österreich keine Wölfe. Also habe ich die Kommission aufgefordert, die Richtlinie zu überarbeiten. 16 Mitgliedstaaten haben dieses Anliegen unterstützt. Das war auch ein wichtiges Signal in Richtung EU-Parlament, das nun eine Resolution zur Evaluierung der Richtlinie verabschiedet hat. Wir brauchen Naturschutz mit Hausverstand. Die Populationen der Wölfe haben stark zugenommen, wir sprechen von einer jährlichen Reproduktionsrate von 30 Prozent. Wir brauchen jetzt ein EU-weites Monitoring, um zu wissen, wie viele Wölfe es tatsächlich in Europa gibt, und praxisnahe Regelungen, die es uns ermöglichen, Problemwölfe zu entnehmen. Wir müssen unsere Alm-, Weide-, Land- und Tourismuswirtschaft schützen.
Wer sind da die Sparringspartner in Brüssel und wie geht es weiter?
Neben Kroatien, Finnland, Ungarn, Lettland, Rumänien und der Slowakei haben darüber hinaus auch Frankreich, Spanien, Italien, Slowenien, Griechenland, Dänemark, Portugal, Estland, Litauen und Belgien die österreichische Forderung in der Ratssitzung unterstützt.
Aus welchen Gründen?
Weil auch andere Mitgliedstaaten ein Problem haben mit dem Wolf. Der Wolf ist kein österreichisches Thema, sondern ein europäisches. Speziell für die Erfassung der Populationen benötigen wir grenzüberschreitende Ansätze im Monitoring. Wir nehmen auch aus Ländern Unterstützung wahr, die sich nicht dazu geäußert haben.
Was kann passieren, wenn die Richtlinie zum Schutz von Tieren neu diskutiert wird?
Angst ist immer ein schlechter Ratgeber. Wir müssen zukunftsorientiert arbeiten. Derzeit ist vieles in Bewegung. Wir stehen vor einer Transformation in der Wirtschaft und in der Landwirtschaft. Das verlangt auch das große politische Programm Green Deal der Europäischen Kommission. Unsere Aufgabe ist es, für realistische Regelungen im Sinne der Bäuerinnen und Bauern wie auch im Sinne einer nachhaltigen ökosozialen Land- und Forstwirtschaft zu kämpfen.
Quelle: Paul GruberWas waren die Topthemen bei Ihrer Versorgungssicherheits-Tour?
Die Tour hat gezeigt, dass die Situation in den Bundesländern sehr unterschiedlich ist. Angesichts der Inflationsrate war das EU-Landwirtschaftsbudget oft Thema. Viele Bauern fragen sich auch, warum sie im neuen Umweltagrarprogramm ÖPUL mitmachen sollen. Auch Bürokratie und Entlastungsmaßnahmen waren Thema. Die Diskussionen sind vielfältig und werden ernst genommen. Es kommen aus allen Sparten und Sektoren interessierte Land- und Forstwirte. Für mich ist das extrem wertvoll, weil ich viele Rückmeldungen zur Situation und Stimmungslage bekomme.
Ist der präsentierte Stromkostenzuschuss für die Landwirtschaft ausreichend?
Die Bundesregierung hat zahlreiche Maßnahmen auf den Weg gebracht, um die Menschen zu entlasten und die Energiepreise abzufedern. Dazu gehört auch der Stromkostenzuschuss für die Landwirtschaft. Die Stromkosten haben sich teilweise verfünffacht. Darum
unterstützen wir speziell die Betriebe, die stromintensive Betriebszweige oder Tätigkeitsfelder haben. Die Umsetzung erfolgt in zwei Stufen. Stufe eins sieht einen Pauschalzuschuss mit Flächen- und Tierbezug vor. Diesen Zuschuss bekommen alle, die einen Mehrfachantrag stellen. Jene, die keinen gestellt haben, gewerbliche Tierhalter beispielsweise, müssen einen Antrag nachreichen. In einer zweiten Stufe wird für definierte Bereiche ein verbrauchsabhängiger Zuschuss ausgezahlt. Dieser berechnet sich am durchschnittlichen Verbrauch der vergangenen zwei Jahre. Der Verbrauch wird dann mit 10,4 Cent bezuschusst.
“Eine Reform der AMA-Beiträge war notwendig.”
Auf die Landwirte kommt mit der neuen GAP und dem Green Deal eine ganze Welle an neuen Regeln zu. Ist das zumutbar?
Tatsache ist: Es findet statt. Eine Positionierung des Ablehnens bringt daher nichts, denn dann diskutiert und verhandelt man nicht mehr mit. Wir wollen mitgestalten und das funktioniert auf EU-Ebene dadurch, dass man Allianzen im Sinne unserer ökosozialen Ausrichtung bildet. Auf nationaler Ebene geht es darum, mit dem Koalitionspartner und den Ländern gute Lösungen wie beispielsweise bei der GAP zu erzielen. Die ökosoziale Landwirtschaft ist und bleibt dabei unser Kompass.
Was ist der Mehrwert für einen Ackerbauern, der ab 2023 einen Beitrag für das AMA-Gütesiegel zahlen muss?
Die AMA-Marketing bewirbt seit Jahrzehnten sehr bewährt die regionalen Produkte unserer Bäuerinnen und Bauern. Basis dafür ist ein Marketingbeitragssystem, das seit 1995 praktisch unverändert war. Um auch weiterhin ein starkes Marketing für alle bäuerlichen Produkte zu haben, war also eine Reform notwendig. Die AMA-Novelle wurde in Abstimmung mit der Branche, Interessenvertretungen, Verbänden und Experten vorbereitet. Und genau die Frage des Mehrwerts wurde intensiv diskutiert. Künftig können auch Marktfruchtbetriebe in das Marketing aufgenommen werden. In einer Zeit, wo die Regionalisierung und die Herkunft für Konsumenten wichtiger wird, erwarten wir dadurch eine deutliche Verbesserung der Wertschöpfung für die österreichischen Betriebe beispielsweise bei Getreide, Brot und Backwaren. Indem wir das Beitragssystem breit aufstellen und so für die Zukunft rüsten, setzen wir auch eine Empfehlung des Rechnungshofes um.
Das heißt konkret mehr Marketingausgaben für Brot- und Backwaren?
Genau, und zusätzlich haben wir noch vereinbart, dass es für die ersten zwei Jahre zusätzliche Mittel aus meinem Ressort zur Unterstützung des AMA-Gütesiegels für Getreide und Backwaren geben wird. Das soll den Start erleichtern, um in diesem Bereich Werbung zu betreiben.
Wird es 2025 in Österreich eine Haltungskennzeichnung geben?
Es gibt 2024 einmal eine Nationalratswahl, und die wird sehr entscheidend sein, was danach ist.
Welche Strategien verfolgen Sie, um die Bodenversiegelung in den Griff zu bekommen?
Unser Ziel muss sein, den Flächenfraß zu reduzieren. Im Regierungsprogramm ist das ehrgeizige Ziel gesetzt, den Bodenverbrauch auf 2,5 Hektar pro Tag zu verringern. Dazu wird derzeit in einem umfassenden Prozess mit Bund, Ländern und Gemeinden eine Bodenstrategie erarbeitet. Zudem hat mein Ressort eine neue Regionenstrategie erarbeitet, in der das Thema Boden zu den Schwerpunkten gehört. Da geht es um lebendige Ortskerne, Bewusstseinsbildung bei der Baukultur oder auch um die Wichtigkeit landwirtschaftlicher Flächen für die Versorgungssicherheit.
Konkurrenz zwischen Lebensmittelproduktion und Energieproduktion. Wie geht man etwa mit Photovoltaik auf Ackerböden um?
Gesunde Böden sind die Voraussetzung für die Lebensmittelproduktion. Als Vorzeigebeispiel gilt das Land Tirol, wo knapp ein Viertel des Dauersiedlungsraumes vor Widmungen für nicht landwirtschaftliche Nutzungen geschützt ist. Was Photovoltaik betrifft, haben wir eine klare Linie: zuerst Dachflächen, dann versiegelte Flächen und als dritte Option Agrophotovoltaik mit einer echten Doppelnutzung. Das heißt 75% der Fläche müssen bewirtschaftet werden, 2 m hohe Ständer, maximal 7% dürften für die Anlage an Fläche verbraucht werden und am Ende muss das so aufgestellt sein, dass das vollkommen rückstandsfrei wieder abgebaut werden kann.
Gericht für den Weihnachtsabend?
Zu Weihnachten sind wir daheim in Tirol und da gibt es zu Mittag die traditionelle Brennsuppe und am Abend gibt’s gebratene Würstel mit Sauerkraut – selbstgemacht natürlich. Also klassisches, bäuerliches, traditionelles Essen.
- Bildquellen -
- PGP 3197b: Paul Gruber
- PGP 2932b: Paul Gruber