Der gebürtige Südtiroler aus dem Eisacktal wurde im Juni erneut für seine nunmehr vierte Periode als EU-Abgeordneter wiedergewählt. Er bleibt auch Sprecher der Europäischen Volkspartei (EVP) im Landwirtschaftsausschuss, nachdem er im Juli einstimmig in dieser Funktion bestätigt wurde. Welche wichtigen Weichenstellungen in den kommenden fünf Jahren für die Landwirtschaft anstehen, erläutert er im folgenden Interview:
Nachdem der Vorsitz des Agrarausschusses nicht mehr in den Händen Ihrer Fraktion liegt, haben Sie agrarpolitisch im EU-Parlament unter den EVP-Mitgliedern das höchste Amt inne. Was ist Ihnen in den kommenden Jahren besonders wichtig? Worauf wird es ankommen?
DORFMANN: Natürlich ist die Lage für unsere Fraktion durch den Verlust des Ausschussvorsitzes (dieser wechselte vom Deutschen Norbert Lins von der EVP an die Tschechin Veronika Vrecionová von den Europäischen Konservativen und Reformern, Anm.) nicht mehr ganz so komfortabel wie bisher. Thematisch wird es vor allem um die große Frage des Agrarbudgets und die Reform der GAP gehen. Beide Dinge hängen eng miteinander zusammen. Und dann sind noch einige Themen wie Fragen zur Lebensmittelkennzeichnung und der nachhaltigen Lebensmittelsysteme liegen geblieben. Hier hat die Kommission ja immer noch keine Vorschläge präsentiert. Zudem rechne ich damit, dass zum Thema unlautere Handelspraktiken und der Verteidigung der Wertschöpfungskette Gesetzesinitiativen gestartet werden.
Rechnen Sie bei den unlauteren Handelspraktiken zeitnah mit einem Gesetzesvorschlag der Kommission?
Ich rechne nicht damit, dass sehr schnell ein Vorschlag kommt. Jetzt benötigen wir erst einmal einen neuen zuständigen Kommissar oder eine Kommissarin. Aber ich hoffe natürlich möglichst zeitnah auf einen fertigen Entwurf, mit dem wir starten können. Wir haben bisher gesehen, dass die oft aufgestellte Forderung, dass die Lebensmittel ein bisschen mehr kosten sollten, allein nicht helfen wird. Die Preise sind gestiegen. Zu einer besseren Marktposition der Bauern hat das noch nicht geführt.
Dorfmann: „Es sollte klar sein, dass das EU-Agrargeld nicht immer nur für Extensivierung bereitgestellt werden sollte.“
Was konkret erwarten Sie bei der GAP?
Es sollte klar sein, dass EU-Agrargeld nicht immer nur für Extensivierung bereitgestellt werden sollte. Millionen von Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche außerhalb der EU werden von uns indirekt über Konsum genutzt. Wir können uns diese dauernden Spielereien, dass wir hier und dort ein bisschen stilllegen, nicht mehr leisten. Stattdessen sollten wir nachhaltiger produzieren, aber trotzdem hinreichend. Die Beihilfen müssen noch mehr die nachhaltige landwirtschaftliche Erzeugung fördern, aber nicht belohnen, dass ausgestiegen wird oder Blühstreifen angelegt werden.
Dorfmann: „Wir können uns diese dauernden Spielereien, dass wir hier und dort ein bisschen stilllegen, nicht mehr leisten.“
Eine Idee der Eco-Schemes war ja genau, die Produktion über finanzielle Anreize aus der Ersten Säule nachhaltiger zu machen. Der Landwirt soll sich überlegen, ob sich eine Regelung für seinen Betrieb lohnt oder nicht. Das wäre dann seine unternehmerische Freiheit. Hat die Theorie bisher funktioniert?
Ich bin seit vielen Jahren davon überzeugt, dass wenn man diesen Weg der Anreize geht, dann sollte man in erster Linie weiterhin die Umweltprogramme stärken. Vor allem muss dafür gesorgt werden, dass die Mitgliedstaaten diese auch vernünftig umsetzen. Da haben wir in der Union schon sehr erfolgreiche Dinge auf den Weg gebracht. An den Eco-Schemes kann man kritisieren, dass die finanziellen Anreize für die Bauern oftmals deutlich zu niedrig sind.
Seit Langem wird über die Sinnhaftigkeit der gekoppelten Flächenprämien, sprich der Direktzahlungen, diskutiert. Ist es Zeit für einen neuen Ansatz?
Man muss über die Erste Säule nachdenken. Eine totale Entkoppelung von der Erzeugung hat dazu geführt, dass man im Grunde vielen Leuten Geld gibt, die weder einen positiven Beitrag zur Landwirtschaft leisten noch mit dem Sektor viel am Hut haben. Viele Belohnungen für Extensivierungen spielen diesen Leuten in die Hände.
Wen meinen Sie damit?
Zum Beispiel Unternehmer, die im großen Stil billig Agrarflächen in den östlichen Gebieten der EU gekauft haben, weil die Basisprämien eine prima Rendite sind. Dazu kommt eine Biozertifizierung mit entsprechenden Prämien, obwohl de facto nichts oder fast nicht produziert wird. Gleichzeitig läuft die Kommission herum und freut sich, dass die Biofläche gewachsen ist, ohne überhaupt zu schauen, was da passiert ist. Das ist nicht im Interesse der europäischen Landwirtschaft.
Dorfmann: „An den Eco-Schemes kann man kritisieren, dass die finanziellen Anreize für die Bauern oftmals deutlich zu niedrig sind.“
Diese Probleme sind seit Langem bekannt. Warum ändert sich kaum etwas?
Weil es auch unheimlich schwierig ist. Mit dem aktuellen Modell muss man definieren, was ein aktiver Landwirt ist. Leider ist die Gefahr groß, dass wirklich Berechtigte durch das Raster fallen. Ein Ansatz der Kommission war, dass man einen bestimmten Teil des Einkommens aus der Landwirtschaft haben muss, sonst bekommt man nichts. Dann fallen aber viele Nebenerwerbsbetriebe aus der Förderung. Das wäre auch nicht gerecht. Aus meiner Sicht sollten wir versuchen, mit der GAP mehr für die Landwirte zu erreichen. Das Ziel sollte vor allem sein, die innovativen, jungen Landwirte zu stärken. Jene, die wirklich auch Landwirtschaft machen wollen.
Ein Problem der Landwirtschaft ist die enorme Überalterung. Sonderprämien für Jungbauern haben aber bisher nicht den gewünschten Effekt erzielt.
Es stimmt, die Situation ist dramatisch. Wenn es so weitergeht, wird es bald kaum noch Bauern geben. Die Effekte sehen wir jetzt schon. Wenn man sich heute die Erste Säule ansieht, stellt sich die Frage, für wen das jetzt günstig ist: für einen gut ausgebildeten Jungbauern mit innovativem Geist oder für jemanden, der Fläche hat und für keine oder kaum landwirtschaftliche Tätigkeit Geld bekommt? Leider profitiert vor allem letzterer.
Was schlagen Sie vor?
Wir brauchen ein Modell, mit dem man den innovativen Jungen das Gefühl gibt, dass wir an ihrer Seite stehen. Da muss man wahrscheinlich von diesem reinen Flächendenken wegkommen. Ich habe aber noch keine vollständige Antwort auf das Wie.
Sie haben sich stets für die Kappung ausgesprochen. In Ihrer Fraktion ist diese aber hochumstritten.
Es ist mir völlig bewusst, dass das nicht leicht umzusetzen sein wird. Es gäbe dann die Gefahr von Betriebsteilungen und so weiter. Aber an und für sich, so glaube ich, ergäbe eine Kappung schon Sinn. Wenn man ein bisschen vorausdenkt, könnte bis zur nächsten GAP-Reform auch ein Beitritt der Ukraine passieren. Wie aber soll ein solcher ohne Novelle oder Kappung funktionieren? Daher sollte man zumindest die Möglichkeit einer Mitgliedschaft der Ukraine in zehn oder zwölf Jahren bei der anstehenden Reform der GAP miteinpreisen.
Dorfmann: „Man sollte die Möglichkeit einer Mitgliedschaft der Ukraine in zehn oder zwölf Jahren bei der anstehenden Reform der GAP miteinpreisen.“
Es gibt Experten, die sagen, dass beispielsweise Landwirte in Ländern ohne Beihilfen oftmals sehr viel mehr auf Marktorientierung setzen und weniger auf Förderprogramme. Wie sehen Sie das, ist da wirklich etwas dran?
Die Landwirtschaft hat Sektoren, die nicht subventionsfrei existieren können. Andere funktionieren zumindest nicht mit einer klassischen Hektarhilfe. Der Weinbau wäre ein Beispiel. Jede Beihilfe, nicht nur in der Landwirtschaft, ist irgendwo wettbewerbsverzerrend. Wir haben die ganze Debatte über die De-minimis-Regelung, wo die Mitgliedstaaten sagen, dass sie viel höhere Spielräume bräuchten. Das ist oft nicht zukunftsgerichtet und regt mich schon etwas auf.
Die aktuelle GAP-Reform ist erst seit gut eineinhalb Jahren in Kraft. Wären Sie für eine Verlängerung der aktuellen Regeln nach 2027 um beispielsweise zwei Jahre?
Ob das nötig sein wird, hängt maßgeblich davon ab, wie schnell sich die 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf den Mehrjährigen Finanzrahmen nach 2027 einigen werden können. Sollten sie das rechtzeitig vorher schaffen, spricht aus meiner Sicht auch nichts gegen eine neue GAP.
Zur Person: Herbert Dorfmann, 55, ist Landwirt aus Feldthurns bei Brixen und seit 2009 Abgeordneter des EU-Parlaments. Er gilt als Mitstreiter Österreichs, wenn es um eine vernünftige Ausrichtung der EU-Agrarpolitik geht. Das Interview mit ihm führte der Pressedienst Agra-Europe.
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- Herbert Dorfmann: EU-PARLAMENT