Meine Vision ist eine zukunftsfähige und friedensfähige menschliche Zivilisation. Mit den 2015 von der UNO beschlossenen „Nachhaltigen Entwicklungszielen“ der „Agenda 2030“ ist eine Leitlinie vorgegeben. Entscheidend wird sein, dass es zur völligen Ächtung von Krieg und Gewalt kommt. Was im „Europäischen Einigungsprojekt“ seit 1950 gelungen ist, müssen wir auch weltweit schaffen. Darauf müssen wir beharrlich hinarbeiten. Um für den richtigen Augenblick, das richtige Zeitfenster gerüstet zu sein.
Dazu eine berührende Schilderung aus dem Kälte- und Hungerwinter 1946 im kriegszerstörten Deutschland. Das Leid der Menschen war unvorstellbar. Damals eilte Alfred Müller-Armack, Wirtschaftsprofessor an der Universität Münster, untergebracht in einem Kloster in Nordrhein-Westfalen, das Treppenhaus hinunter und rief: „Nun weiß ich, wie es heißen muss: Soziale Marktwirtschaft muss es heißen. Sozial mit großem S!“ Es war der „Heureka“-Moment für die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft.
Elf Jahre später präsentierte der kongeniale Umsetzer dieser Idee, BRD-Wirtschaftsminister Ludwig Erhard, unter dem Titel „Wohlstand für alle“ sein politisches Programm. Dahinter stand die Erkenntnis, dass nur breit gestreute Kaufkraft Grundlage für eine erfolgreiche Wirtschaftsentwicklung sein kann. Getreu dem Motto „Geht’s den Menschen gut, geht’s der Wirtschaft gut.“
Riegler: „Heute ist die Menschheit mehrfach in großer Gefahr: durch Kriege, Gewalt und Vertreibung, Unrechtsregime, Ausbeutung und die drohende Klimakatastrophe.“
Auf diesem Fundament baut Ökosoziale Marktwirtschaft auf. Deren Ziel ist die richtige Balance zwischen leistungsfähiger Marktwirtschaft, sozialer Fairness sowie dem Schutz von Lebensraum und Klima bei Respektierung der unterschiedlichen Kulturen und Lebensformen. Als DAS Modell für eine zukunftsfähige und friedensfähige Entwicklung.
Der vom Wirtschaftsforscher Franz Josef Radermacher initiierte „Global Marshall Plan“ für eine weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft ist die logische Weiterentwicklung von Sozialer und Ökosozialer Marktwirtschaft. Im Mai 2003 am Flughafen Frankfurt von etwa 20 Vertretern der Zivilgesellschaft gestartet, folgte alsbald die Konkretisierung. 2004 konnten wir in Brüssel das fertige Projekt präsentieren. Dessen Ziel ist die Verbindung zweier globaler Strategien: faire Entwicklungschancen für alle und ein fairer Ordnungsrahmen für die Weltwirtschaft. Vorrangig geht es dabei um weltweit verbindliche Sozial- und Umweltstandards sowie um ein faires Finanz- und Steuersystem.
Es folgte ein jahrelanger „Kampf gegen Windmühlen“. Wir wurden als Träumer und Exoten belächelt. 2008 kam die Wende. Nach der „Lehman-Pleite“ erklärte der Internationale Währungsfonds: „Ungezügelte Märkte sind nicht die Lösung, sondern das Problem.“ Auch die OECD und andere internationale Institutionen machten sich auf die Suche nach einem neuen Paradigma für die globalisierte Ökonomie. Das Ergebnis lautete „Green and inclusive economy”. Dieses Modell entspricht exakt unserer Ökosozialen Marktwirtschaft. 2015 dann der große Durchbruch: Mit seiner Enzyklika „Laudato si“ richtete Papst Franziskus eine aufrüttelnde Botschaft an die Menschheit. Im September beschloss die UNO ihre „Nachhaltigen Entwicklungsziele“. Im Dezember folgte der „Klimavertrag von Paris“. Seither gab es zwei herbe Rückschläge: 2016 der Ausstieg der USA aus dem Klimavertrag durch Präsident Donald Trump. 2022 der große Tabubruch durch den Überfall Russlands auf die Ukraine. Heute ist die Menschheit polarisiert, zerrissen und mehrfach in großer Gefahr: durch ausufernde Kriege, Gewalt und Vertreibung, Unrechtsregime, Ausbeutung und die drohende Klimakatastrophe. Trotzdem brauchen wir Hoffnung. Denn ohne sie sind wir nicht handlungsfähig. Sechs Gründe, die mich hoffen
lassen:
1. Ökosoziale Landwirtschaft setzt sich weltweit durch
EU-Agrarkommissar Franz Fischler und Landwirtschaftsminister Willi Molterer gelang es 1997, unser ökosoziales Konzept auf EU-Ebene zu verankern. 2008 verkündete die UNO: Weg von riesigen Monokulturen hin zu kleinstrukturierter Familien-Landwirtschaft. 2019 wurde die „UNO-Dekade der landwirtschaftlichen Familienbetriebe“ ausgerufen. Von weltweit 570 Millionen landwirtschaftlichen Betrieben sind 90 Prozent Familienbetriebe. Sie besitzen zwar nur 25 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche, tragen aber 80 Prozent zur weltweiten Ernährung bei. Genossenschaften bilden dabei das Rückgrat.
2. EU-Klimapaket
Die EU-Beschlüsse vom April 2023 sind gewaltig und werden ab 2026 vieles verändern: den verschärften Emissionshandel für Industrie und Energiewirtschaft; neu auch für Verkehr und Haushalte; ein CO2-Grenzausgleichssystem, um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern; einen Klima- und Sozialfonds für Härtefälle. Wir müssen aber dem Markt die richtigen Signale geben: Preise und Kosten müssen die ökologische Wahrheit ausdrücken; es braucht ein striktes Verursacherprinzip, ergänzt durch den intelligenten Umbau von Steuern, Abgaben und Förderungen.
3. Bundesregierung praktiziert Ökosoziale Marktwirtschaft
Keine andere Regierungskonstellation wie die aktuelle hätte die ökosoziale Steuerreform geschafft, mit wichtigen Weichenstellungen für die Zukunft: die Valorisierung von Familien- und Sozialleistungen; die Abschaffung der „Kalten Progression“; die ökosoziale Steuerreform. Das tägliche Eindreschen auf sie von Opposition und manchen Medien ist unerträglich.
4. Sorge um das zarte Pflänzchen Demokratie
Demokratie lebt vom konstruktiven Wettbewerb der besten Ideen und überzeugendsten Persönlichkeiten. Diffamierung, Verächtlichmachung oder gar die Vernichtung des politischen Mitbewerbers treiben die Menschen in die Hände von Demagogen oder in die Schar der Nichtwähler. Ich plädiere heftig für eine neue politische Kultur in unserem Land.
5. Die zentrale Frage: Krieg oder Frieden
Der ungeheure Tabubruch durch den verbrecherischen Überfall auf die Ukraine hat vieles von einem Grundkonsens zerstört, der mühsam seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges aufgebaut wurde. Kriege sind das größte Verbrechen an der Menschheit und an der Menschlichkeit. Ich sage das sehr emotionell. Als Sechsjähriger habe ich 1944 meinen Vater in einem sinnlosen Krieg verloren. Es genügte eine Handvoll an Psychopathen, um die Menschheit in den Zweiten Weltkrieg mit 55 Millionen Toten und einem total zerstörten Europa zu stürzen. Heute sind wieder Psychopathen am Werk. Die gesamte zivilisierte Welt muss jetzt zusammenstehen. Und wir brauchen eine außenpolitisch und sicherheitspolitisch handlungsfähige EU. Die uns nach außen und nach innen schützt; die auf der Welt politisches Gewicht bekommt. Übrigens: Die Väter der europäischen Einigung, des erfolgreichsten Friedensprojektes, Robert Schuman, Alcide de Gasperi und Konrad Adenauer, waren überzeugte Christen und glühende Christdemokraten.
6. Ohne ethisches Fundament geht es nicht
UN-Generalsekretär António Guterres hat es treffend auf den Punkt gebracht: „Wir haben den Wissenschaftstest bestanden, aber in Ethik sind wir durchgefallen.“ Ohne Ethik geht es nicht. Aber Ethik braucht ein geistiges Fundament. Im jüdisch-christlichen Erbe der abendländischen Kultur hätten wir die auch etwa 2.500 Jahre alten „Zehn Gebote“ des Moses als Kompass für menschliches Handeln und ein gedeihliches Miteinander. Wer kennt diese noch? Vor 2.000 Jahren kam als weiteres Gebot dazu: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“ Die zentrale Botschaft des Christentums. Oder: „Was du nicht willst, dass man dir tu – das füg auch keinem andern zu.“ Jeder Mensch guten Willens sollte dazu fähig sein. Eine zukunftsfähige und friedensfähige menschliche Zivilisation ist möglich. Sie muss das gemeinsame Ziel aller gut gesinnten Kräfte sein.
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- Josef Riegler: Georg Hochmuth/APA/picturedesk.com