Die biblische Arche Noah soll einst am Berg Ararat in der Türkei, nahe der Grenze zu Armenien und dem Iran, gestrandet sein. Mit dieser soll Noah seine Familie und die Tierwelt vor der Sintflut gerettet haben. Heute gilt es nicht nur die Fauna vor dem Klimawandel zu schützen, sondern auch die Vielfalt an Nutzpflanzen, um weiterhin die Ernährung der Menschheit sicherzustellen.

Dafür wurde 2008, in einem ebenfalls schneebedeckten Berg, wenn auch auf Spitzbergen in der Arktis, ein spezieller Saatguttresor eröffnet. Nahe Longyearbyen im hohen Norden Europas schlummert seither ein besonderer Schatz: nicht Gold oder Juwelen, von denen letztlich niemand abbeißen kann, sondern Getreidekörner, Mais, Reis, sonstige Sämereien von Acker-, Obst- und Gemüsekulturen, und das aus aller Herren Länder.

Sicheres Depot für mehr als 6.000 Pflanzenarten

Im „Svalbard Global Seed Vault“, dem globalen Saatguttresor, werden die fernab von Krieg, Zerstörung und Naturkatastrophen und bei Minusgraden gebunkerten, zigtausenden Proben von mehr als 6.000 Pflanzenarten, tiefgefroren bei minus 18 Grad in vakuumverpackten Alu-Päckchen konserviert. Verwaltet und abgesichert vom Crop Trust, der norwegischen Regierung und dem nordischen Agrarforschungsinstitut NordGen, den drei Betreibern des Hochsicherheitstrakts.

Quelle: Crop Trust; Übersetzung Bauernzeitung
Crop Trust; Übersetzung Bauernzeitung

Im Grunde, so wird von diesen betont, können alle meist nationalen Saatgutbanken der Welt Sicherungskopien ihrer Saatgutbestände hinterlegen. Und diese Duplikate zurückfordern, wann immer sie wollen. Insgesamt sind derzeit rund 1,2 Mio. Saatgutproben aus beinahe 100 Genbanken im Tresor gesichert, so die Betreiber. In hunderten Boxen liegen mehr als 200.000 Weizen-, 170.000 Reis- und 90.000 Gerstenproben, von manchen Nahrungspflanzen dagegen nur eine oder zwei. Von einer möglichen Vollauslastung mit 4,5 Mio. Proben sei man in den drei von der Außenwelt abgeschirmten Kühlkammern aber noch weit entfernt. Nur eine Halle ist bislang annähernd belegt.

Quelle: Facebook/Crop Trust
150 Meter tief geht es in den Berg zu den drei Lagerkammern.

 

 

 

 

Aber warum gerade das kalte abgeschiedene Spitzbergen? Die Antwort lautet: Gerade deswegen. Die Inselgruppe liegt etwa auf halbem Weg zwischen dem 1.300 Kilometer entfernten Nordpol und der Nordspitze Norwegens und ist zu 60 Prozent von Gletschern bedeckt. Unweit des kleinen Flugplatzes liegt, etwas oberhalb an einem Berghang, der schmale Eingang in die Saatgutbank. Hinter der dicken Stahltür, 130 Meter über dem Meeresspiegel, geht es in einen nach oben aufsteigenden Tunnel 120 Meter tief hinein in den Platåberget in die Lagerhallen unter 40 bis 60 Meter dickem Gestein. Dort sind die Samen geschützt vor Hitze, Erdbeben, saurem Regen, radioaktiver Strahlung, auch vor Krieg und Terror. Denn laut Schätzung der UN-Ernährungsorganisation FAO sind zwischen den Jahren 1900 bis 2000 etwa 75 Prozent des weltweiten Samenangebotes von Nahrungspflanzen verloren gegangen.

Weltweit gibt es 1.700 nationale und regionale Saatgutbanken

Ziel der Genbank in Fels und Eis ist also die Erhaltung der genetischen Vielfalt für künftige Forschung und Züchtung zur weiteren Ernährung der Menschheit. Zu groß ist mittlerweile die Gefahr der Bedrohung: in der Natur durch den Verlust von Flächen und Arten, auf den Feldern durch die zunehmende Industrialisierung des Anbaus und in den weltweit 1.700 nationalen und regionalen Saatgutbanken durch deren Unterfinanzierung, vor allem in den Entwicklungsländern. Eine nachhaltige Landwirtschaft verlangt nach Anpassung an das lokale Klima, die jeweiligen Böden und – immer wichtiger – an die Wasserverfügbarkeit angepasste Nutzpflanzen, lautet das Credo der Saatguthüter. „Svalbard“ sei also dank der vielen Sicherungskopien „eine Lebensversicherung für die Ernährung der Welt im 21. Jahrhundert“, auch wenn man diese vielleicht nie in Anspruch nehmen werde oder besser hoffentlich nie müsse, betont man seitens Crop Trust.

Erst einmal, 2017, sei es zu einem Zwischenfall gekommen. Nach unerwartet hohen Temperaturen im Herbst und Winter gelangte Schmelzwasser in den Eingangsbereich, aber nicht in die Lagerräume.

CROP Trust:

„Der Global Seed Vault ist eine Lebensversicherung für die Ernährung der Welt im 21. Jahrhundert.“

Quelle: Facebook/Crop Trust
Sämereien aus aller Welt werden in Longyearbyen verwahrt.

Auch Sämereien aus Österreich liegen im Tresorraum

Indianerstämme aus den USA lagern ihr Saatgut ebenso ein wie Kolumbianer ihre Bohnen, Usbeken ihre Hirse, Peruaner Erdäpfel, Inder Kichererbse und Reis oder Deutsche Weizen. Auch Sämereien aus Österreich finden sich im Tresorraum, sogar kaum noch erhältliche Sorten aus der Zwischenkriegszeit. Die tiefe Temperatur und die niedrige Feuchtigkeit im Tresorraum sollen die Samen über sehr lange Zeit hin lebensfähig halten, 80 oder 100 Jahre seien kein Problem, Weizen soll sogar nach 1.000 und mehr Jahren noch keimfähig sein. Dagegen lassen sich Kaffee, Tee, Avocados, Äpfel oder Süßkartoffeln auf Spitzbergen nicht konservieren.

Quelle: Facebook/Crop Trust
Seltene Einblicke in den Tresor: Es gibt kaum Aufnahmen davon.

Die Entscheidung, welche Samen eingelagert werden, treffen die einzelnen Länder und Organisationen. Mit einer Ausnahme: Gentechnisch verändertes Saatgut muss draußen bleiben. Das schreiben die norwegischen Einfuhrgesetze vor.

Dass es sich lohnt, die teure Anlage trotz erforderlicher Renovierungsmaßnahmen zu betreiben – durch das erwähnte Tauwasser entstanden Betonrisse im Boden und ein neues Notfall-Kühlsystem kam dreimal so teuer wie die ursprünglichen Baukosten – davon ist man bei Crop Trust überzeugt. Denn der Verlust einer Kulturpflanze sei schließlich ebenso „unumkehrbar wie das Ende der
Dinosaurier“.

www.seedvault.no

- Bildquellen -

  • Grafik: Crop Trust; Übersetzung Bauernzeitung
  • Bildschirmfoto 2023 05 23 Um 15.41.43: Facebook/Crop Trust
  • Crop Trust: Facebook/Crop Trust
  • Globalcropdiversitytrust: Facebook/Crop Trust
  • Saatgutdepot: Crop Trust
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AUTORBernhard Weber
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