Ein intensives Landwirtschaftsmodell, das auf chemischem Pflanzenschutz basiert, stellt „wahrscheinlich eine Bedrohung für die Ernährungssicherheit“ dar. Das erklärt die für den Kommissionsvorschlag zur nachhaltigen Nutzung von Pflanzenschutzmitteln (SUR) zuständige EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides in ihrer Antwort auf eine Anfrage von drei polnischen EVP-Abgeordneten. Die Parlamentarier hatten von der Brüsseler Behörde unter anderem wissen wollen, ob die Folgen der geplanten Halbierung der Pflanzenschutzeinsatzmengen bis 2030 für die Ernährungssicherheit ausreichend untersucht wurden.
Die Kommissarin entgegnete, dass ein Jahr vor der Präsentation der SUR-Vorlage eine Folgenabschätzung erstellt worden sei. Aktuell werde auf Verlangen des Agrarrates eine weitere Studie erstellt, welche ebendiese Folgenabschätzung ergänze. Darin werden etwa die Verfügbarkeit von Alternativen zu den chemischen Pflanzenschutzmitteln sowie die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine untersucht. Laut Gesundheitskommissarin habe zudem eine Gruppe der wissenschaftlichen Berater der EU festgestellt, dass das Lebensmittelsystem der EU derzeit in „ökologischer, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht nicht nachhaltig“ sei.
Landwirtschaft ist kein “Versuchslabor”
Alexander Bernhuber, Chefverhandler der Europäischen Volkspartei für die SUR-Verordnung, entgegnete: „Die Aussage der EU-Gesundheitskommissarin ist gänzlich unverantwortlich. Gerade in Zeiten von Verunsicherung brauchen wir stabile Rahmenbedingungen. Die EU-Landwirtschaft darf nicht zum Versuchslabor werden.“ Auch die Agrarsprecherin der ÖVP im Europaparlament, widerspricht der Kommissarin mit einem Beispiel. „Jeder Landwirt kann sich die Frage selbst beantworten, ob unsere Felder noch gleich produktiv wären, wenn wir plötzlich auf 50 Prozent oder mehr unserer Pflanzenschutzmittel verzichten müssten“, so Simone Schmiedtbauer. Die zitierte Studie grenze ihrer Ansicht nach an Realitätsverweigerung.
Wiederholt hat die grüne Europaabgeordnete Sarah Wiener der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) eine Gefährdung der Ernährungssicherheit vorgeworfen. Nicht die Reduzierung, sondern das Ausbleiben einer radikalen Reduktion von Pflanzenschutzmitteln würde die Ernährungssicherheit gefährden. Der übermäßige Einsatz von chemischen Mitteln bedrohe nach Einschätzung der ehemaligen Fernsehköchin Wiener die Ressourcen, die zur Versorgung mit Lebensmitteln benötigt werden. Sie sehe viele Alternativen, wie etwa agrarökologische Maßnahmen oder den Integrierten Pflanzenschutz.
“Grottenschlechter” Vorschlag
Die politischen Meinungsunterschiede hinsichtlich des chemischen Pflanzenschutzes zwischen der EVP und den Grünen/EFA sind offenbar groß. Einig sind sich die agrarpolitischen Sprecher der beiden Fraktionen im Europaparlament, Herbert Dorfmann und Martin Häusling, allerdings darin, dass der Kommissionsvorschlag zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln „grottenschlecht“ sei. Im gemeinsamen Interview mit Agra-Europe betonen beide, dass deutliches Verbesserungspotenzial bestehe.
Ende März ist die Frist für die Einreichung von Änderungsanträgen zum SUR-Entwurf im federführenden Umweltausschuss abgelaufen. Offenbar haben sich neben Abgeordneten der rechtsextremen Fraktion Identität und Demokratie (ID) sowie der EU-skeptischen Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) auch viele EVP-Abgeordnete für einen neuen Vorschlag der EU-Kommission ausgesprochen.
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- Pflanzenschutzmitteleinsatz am Acker: Michael-Fritzen_Stock.adobe_.com