„Wir sollten die Flächenstilllegung und den Fruchtwechsel nur kurzzeitig aufheben“

Zdenek Nekula gibt bis Jahresende im EU-Agrarrat den Takt vor.

Tschechiens Landwirtschaftsminister Zdenek Nekula über seine Ziele als amtierender EU­-Agrarratspräsident bis Jahresende. Er verspricht im Gespräch mit Agra-Europe weitere Hilfe für die ukrainische Landwirtschaft und ortet mögliche Anpassungen bei der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP).

Als tschechischer Agrarminister haben Sie bis Jahresende den Vorsitz des Agrarrates in schwierigen Zeiten übernommen. Was sind Ihre wichtigsten Ziele, die Sie sich gesetzt haben?
NEKULA: Wegen des Krieges in der Ukraine und seiner Folgen sehe ich es derzeit als wichtigste Aufgabe, eine ausreichende Lebensmittelversorgung nicht nur für Europa sicherzustellen. Der Krieg hat bekanntlich enorme Auswirkungen auf den Agrarsektor.

Welchen Themen wollen Sie sich außerdem widmen?
Priorität hat auch die Förderung nachhaltiger Lebensmittelketten, insbesondere durch die Verringerung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes, was ein Ziel für die gesamte EU sein muss. Es gilt, sowohl ausreichend qualitativ hochwertige und erschwingliche Lebensmittel für die Konsumenten zu erzeugen als auch die Gesundheit aller Bürger sowie die Umwelt zu schützen. Die tschechische Präsidentschaft wird sich weiters mit der Verhinderung der Entwaldung befassen, also dass die Produktion von Soja, Kaffee, Kakao, Rindfleisch, Holz oder Palmöl nicht zu einer Degradierung von Waldgebieten führt. Ein eigenes Thema wird die Förderung der nachhaltigen Forstwirtschaft sein, was angesichts von Dürre besonders wichtig ist.

Die EU, insbesondere die östlichen Mitgliedstaaten unterstützen die Ukraine auf verschiedene Weise. Was sollte Brüssel noch unternehmen, um gerade ukrainischen Landwirten zu helfen?
Es geht hier ja auch um die Ernährungssicherheit in der Welt. So ist zu gewährleisten, dass die Ukraine weiter produzieren. Die Abschaffung der EU-Zölle auf die Einfuhr ukrainischer Produkte dürfte dabei hilfreich sein. So sollten die Waren auch für afrikanische Länder erschwinglicher sein. Zudem haben die EU-Mitgliedstaaten ihre Lagerkapazitäten geprüft, um aus der Ukraine Getreide, Mais oder Soja aus dem Vorjahr aufzunehmen, damit in dem kriegsgebeutelten Land Platz für die neue Ernte geschaffen wird.

Welche konkrete Hilfe leistet Tschechien?
Unsere Regierung arbeitet eng mit der ukrainischen Botschaft in Prag zusammen. Im Zuge der humanitären Nahrungsmittelhilfe haben wir aus unserer staatlichen Reserve Lebensmittel im Wert von mehr als einer halben Million Euro für die Menschen in der Ukraine freigegeben. Zudem bereiten wir die Lieferung landwirtschaftlicher Geräte vor. Und es gibt es eine enge Zusammenarbeit, um den Transport ukrainischer Agrarprodukte über die Schiene zu den Häfen zu organisieren. Auch die Bewältigung der Flüchtlingskrise und die Vorbereitung des Wiederaufbaus der Ukraine sind prioritär für unsere EU-Ratspräsidentschaft.

Der russische Angriff auf die Ukraine hat zu einer Verknappung von Weizen am Weltmarkt geführt, was vor allem Länder in Nordafrika sowie dem Nahen Osten trifft. Sollte die EU nun ihre Agrarproduktion erhöhen?
Ich mache mir keine größeren Sorgen über eine mögliche Getreideknappheit, aber ich unterstütze die Bemühungen der Union, die Getreideproduktion in diesem und im nächsten Jahr zu steigern. Wobei es 2023 paradoxerweise sogar zu Überschüssen an Getreide kommen könnte. Tschechien hat bei Getreide einen Selbstversorgungsgrad von mehr als 150 Prozent, bei Weizen sogar 200 Prozent. Unsere Landwirte haben zuletzt 10 Prozent mehr Getreide angebaut als in früheren Jahren.

Teilen Sie die Sorgen vieler, dass die Ziele der Farm-to-Fork-Strategie, nämlich die angestrebte Reduzierung des Handelsdünger- und Spritzmitteleinsatzes, die Ernährungssicherheit bedrohen könnten?
Anstrengungen zur Aufrechterhaltung einer nachhaltigen Agrarproduktion bei gleichzeitiger Sicherung der Versorgung der Konsumenten mit besten Lebensmitteln sind unerlässlich. Dazu gehört auch ein nachhaltigerer Pflanzenschutz. Ich denke nicht, dass die Ziele als solche eine Bedrohung für die Ernährungssicherheit darstellen. Aber wir müssen uns vernünftig verhalten.

Gerade östliche Mitgliedstaaten, die oftmals weniger Pflanzenschutzmittel einsetzen, befürchten künftig eine Benachteiligung durch das geplante Gesetz, das ja eine Halbierung der Einsatzmengen von Agrarchemie bis 2030 vorsieht. Wie bewerten Sie als tschechischer Agrarminister den betreffenden Kommissionsvorschlag?
Wir sollten sicherstellen, dass jene Mitgliedstaaten, die hier bereits große Anstrengungen unternommen und den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln reduziert haben, nicht gezwungen werden, diesen nochmals so zu reduzieren wie jene Mitgliedsländer, die immer noch viele einsetzen.

Angesichts der Folgen des Ukraine­-Krieges wurden Forderungen nach Aussetzung der Fruchtfolge- und Flächenstilllegungsregeln in der neuen GAP-Periode laut. EVP-Vertreter im EU-Parlament fordern eine zweijährige Aussetzung. Und Sie?
Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass es auf der ganzen Welt genügend Nahrungsmittel gibt. Das kann bedeuten, dass wir einige der umweltfreundlichen Maßnahmen aufschieben müssen, aber nur für eine kurze, zwingend notwendige Zeit. Also auch eine Verschiebung der Fruchtfolgeregelung oder die Nutzung von Brachland für die Agrarproduktion. Aber alle Entscheidungen müssen durch eindeutige Expertenmeinungen gestützt werden. Ich betone noch einmal, dass wir das nur für einen absolut notwendigen Zeitraum bezogen auf den Krieg in der Ukraine und auf die Entwicklungen auf dem globalen Lebens-und Futtermittelmarkt fordern sollten.

Die französische Ratspräsidentschaft hat das Thema Spiegelklauseln zu Importstandards auf die Tagesordnung gesetzt. Sie haben diese Idee im Juni unterstützt. Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass es hier unter Ihrem Ratsvorsitz zu einer Einigung kommt?
Die EU-Agrarminister haben die Schlüsse aus dem Kommissionsbericht im Wesentlichen mitgetragen. Was konkrete Maßnahmen betrifft, wurde sowohl von den Mitgliedstaaten als auch von der Kommission die Notwendigkeit einer gründlichen Einzelfallprüfung betont, was ihrer Vereinbarkeit mit den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) und hinsichtlich ihrer praktischen Durchführbarkeit betrifft. Ich bin der festen Überzeugung, dass letztlich alle die EU-Standards in allen relevanten multinationalen Foren bekräftigen und rechtfertigen werden, damit sich diese schrittweise global durchsetzen.

Tschechien ist mit Polen, der Slowakei und Ungarn Teil der Visegrad-Gruppe, kurz V4. Diese hat mehrfach mit landwirtschaftlichen Erklärungen und Initiativen aufhorchen lassen. In jüngster Zeit scheinen die Ambitionen und Initiativen nachgelassen zu haben. Ist dieser Eindruck richtig?
Die Zusammenarbeit innerhalb der V4 ist nach wie vor recht intensiv, auch was die Landwirtschaft angeht. Obwohl die beteiligten Länder geografisch und historisch nahe beieinander liegen, gibt es aber natürlich auch Unterschiede, etwa bei den Agrarstrukturen. Bei den Verhandlungen über die GAP-Reform haben wir gemeinsame Standpunkte zum Abbau des Verwaltungsaufwandes, zur Stärkung des Subsidiaritätsprinzips sowie für eine ausreichende Flexibilität vertreten. Erst im März haben die Agrarminister der V 4 sowie einiger anderer östlicher Länder eine gemeinsame Erklärung über den Beitrag ihrer GAP-Strategiepläne für eine gerechtere, ökologischere Landwirtschaft verabschiedet.

Der frühere tschechische Premierminister Andrej Babis wurde von der EU­Kommission und dem EU_Parlament wiederholt wegen zahlreicher Interessenkonflikte kritisiert. Ihm wurde vorgeworfen, einen zu großen Einfluss auf die von ihm aufgebaute Agrarholding Agrofert zu haben, während das Firmenkonglomerat gleichzeitig beträchtliche Summen an EU-Mitteln erhielt. Wie geht die neue Regierung in Prag mit diesen Anschuldigungen um?
Wir haben erst kürzlich die Schlussfolgerungen der EU-Kommission zu dieser Thematik erhalten und bereiten derzeit eine rechtliche Analyse vor, auf deren Grundlage die Regierung dann über weitere Schritte entscheiden wird.


Hintergrund

Ukraine-Krieg bestimmt EU-Agenda der Tschechen

Tschechien hat am 1. Juli turnusgemäß für sechs Monate den Vorsitz im Rat der EU übernommen. Bislang hatte das Land, das seit 2004 ist, diese Funktion erst einmal im Jahr 2009 inne. Damit auch längerfristige Projekte umgesetzt werden können, hat die EU 2007 die sogenannte „Triopräsidentschaft“ eingeführt: Jene drei Staaten, welche die Präsidentschaft nacheinander ausüben, stimmen ihre Programme aufeinander ab und legen gemeinsam Prioritäten fest. Vor Tschechien hatte Frankreich den Ratsvorsitz, ab dem 1. Jänner 2023 folgt Schweden.

Die Ratspräsidentschaft der Tschechen fällt in unruhige Zeiten. Zur Überwindung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Krise kommt nun der Ukraine-Krieg mit weltweiten Auswirkungen auch auf die Agrarmärkte. Der russische Angriff auf die Ukraine bestimmt auch die Agenda der tschechischen Ratspräsidentschaft auf vielen Ebenen.
Indes gilt die seit Dezember 2021 amtierende tschechische Regierung als EU-freundlich. Mitte Juni verkündete Ministerpräsident Petr Fiala das Vorsitz-Motto seines Landes: „Europa als Aufgabe“, in Anlehnung an den frühere tschechischen Präsident Václav Havel und eine seiner Reden, die er 1996 in Aachen hielt. Geplant sind 14 informelle Ministertreffen und ein EU-Gipfel unter der Ägide Prags.

Schon im Vorfeld der Übernahme des EU-Ratsvorsitzes erklärte Agrarminister Zdenek Nekula gegenüber „Euractive“, der Green Deal müsse trotz des Krieges in der Ukraine „eine der wichtigsten Prioritäten des Agrarsektors“ bleiben. „Wir können uns nicht die ganze Zeit auf die Steigerung der Produktion konzentrieren, sondern müssen auch andere Aspekte, die Umwelt und sonstige Bereiche mit einbeziehen. Im Grunde genommen können wir den Green Deal nicht aufgeben“, betonte er, und: „Wenn wir uns gesund ernähren und sauberes Wasser trinken wollen, müssen wir unsere Einstellung, wie wir unsere Natur und Landschaft wahrnehmen, ändern. “Der Minister, der auch Imker ist, sagt von sich, er sei ein starker Befürworter des EU-Ziels, bis 2030 ein Viertel der Agrarflächen ökologisch zu bewirtschaften. Die Lebensmittelversorgung in der EU steht trotz des Krieges in der Ukraine nicht auf dem Spiel. Doch könnten die steigenden Lebensmittelpreise dazu führen, dass sich einkommensschwache Haushalte diese kaum noch leisten können. Bisherige EU-Maßnahmen für weniger Antibiotika in der Tierhaltung hält er für „unzureichend“.
Nekula ist seit Jänner Landwirtschaftsminister im Kabinett des Mitte-Rechts-Ministerpräsidenten Petr Fiala.

Die Vorgängerregierung wurde vom umstrittenen Andrej Babiš geführt, einem Agrar- und Lebensmittelmagnaten, dessen „Agrofert Holding“ zu Tschechiens Hauptempfängern von Agrargeldern aus dem EU-Fördertöpfen gehört. Der Agrofert-Konzern sorgte zuletzt in Österreich für Schlagzeilen: Als potentieller Käufer der Stickstoff- und Düngerfabriken des heimischen Chemiekonzerns Boralis.

- Bildquellen -

  • Zdenek Nekula: Europäische Union
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AUTORBernhard Weber
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