„Da sind viele Versäumnisse passiert“

Der Krieg ist nach Europa zurückgekehrt. Und eine konventionelle Kriegsführung nach wie vor Realität. In Österreich wurde dem Bundesheer budgetär nicht jener Stellenwert eingeräumt, den es verdient hat, meint Verteidigungsministerin Klaudia Tanner.

„Der Krieg in der Ukraine zeigt deutlich, wie wichtig ein modernes und handlungsfähiges Bundesheer ist“, ist Klaudia Tanner überzeugt. Foto: APA-Picturedesk

BauernZeitung: Der Krieg in der Ukraine ist seit Wochen das alles bestimmende Thema. Wie sehr hat sich Österreichs sicherheitspolitische Lage verändert?
Tanner: Wir erleben gerade eine Zeitenwende. Der 24. Februar 2022 mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist eine Zäsur in der europäischen Geschichte. Der Krieg ist wieder nach Europa zurückgekehrt! Frieden ist in Europa leider keine Selbstverständlichkeit mehr. Die Bilder, die uns täglich erreichen, machen besonders betroffen.

Noch vor wenigen Jahren ging nicht nur einer Ihrer Amtsvorgänger davon aus, eine Panzerschlacht im Marchfeld sei kein Bedrohungsszenario mehr. Gilt das heute auch noch?
Die klassische Landesverteidigung war stets das Kerngeschäft unseres Bundesheeres. Und als Lehre spätestens aus der Ukrainekrise heraus wissen wir: Die konventionelle Kriegsführung ist nach wie vor Realität. Das bedingt auch eine militärische Landesverteidigung, die gut aufgestellt ist.

Wie neutral muss, kann und soll Österreich sein, wenn in Europa vor seiner Haustüre Krieg geführt wird?
Österreich ist militärisch gesehen ein neutraler Staat. Aber politisch gesehen sind wir niemals neutral, wenn es um die Einhaltung des Völkerrechts geht. Dessen Einhaltung – besonders der Bestimmungen des humanitären Völkerrechts – ist unsere rote Linie.

Die EU müsse sicherheits- und verteidigungspolitisch „mit einer Stimme sprechen, sich robuster aufstellen“, lautet eine Ihrer Forderungen. Wo sehen Sie dabei die Rolle Österreichs?
Vor wenigen Wochen haben im EU-Rat alle Staats- und Regierungschefs den „Strategischen Kompass“ angenommen. Das ist ein wichtiges Grundlagendokument, um allen ein gemeinsames Vorgehen in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu ermöglichen. Man hat sich auch auf eine schnell wirkende EU- Eingreiftruppe geeinigt, die je nach Bedarfsfall aus bis zu 5.000 Soldatinnen und Soldaten zusammengestellt wird. Das geht von humanitärer Hilfe bis hin zur Konfliktverhütung und Evakuierungsoperationen. Mit unserer Neutralität ist die Beteiligung Österreichs völlig vereinbar. Sie entspricht den bisherigen Grundsätzen und ist als Beitrag einer aktiven Neutralitätspolitik im Rahmen der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu sehen. Wir machen alles nur im Rahmen unserer gesetzlichen Möglichkeiten!

Glauben Sie, dass uns Nachbarländer wie Tschechien oder Ungarn, auch Deutschland, einmal militärisch beistehen würden?
Ein Angriff auf Österreich wäre gleichzeitig ein Angriff auf die Europäische Union. Und da greift die Beistandspflicht, wie immer die dann im konkreten Fall von den einzelnen Mitgliedsstaaten ausgestaltet wird.

Wo und wie hilft das Bundesheer der Ukraine, aber auch den eigenen Bürgern derzeit konkret?
Unserer eigenen Bevölkerung helfen wir ständig. Schon allein durch unseren Grundauftrag, mit dem wir für die Sicherheit und Verteidigung unseres Landes zu Land und in der Luft sorgen. Aber auch durch Assistenzeinsätze und Unterstützungsleistungen wie bei der Pandemie oder bei Naturkatastrophen. Was die Hilfe für die Ukraine angeht, so hat das Bundesheer Transportaufgaben übernommen. Wir bringen Flüchtlinge in sichere Unterkünfte und haben Helme und Schutzwesten für die zivilen Bürger in die Ukraine geschickt.

Es gibt lautstark Kritik, in Ihrem Ressort sei vieles kaputtgespart worden. Woran mangelt es konkret? Und wie gut ist unser Heer nun wirklich für seine Aufgaben gerüstet?
Man hat in den vergangenen Jahrzehnten dem Heer budgetär nicht den entsprechenden Stellenwert eingeräumt, den es verdient hat. Da sind viele Versäumnisse passiert. Aber der derzeitige Krieg in der Ukraine zeigt eben deutlich, wie wichtig ein modernes und handlungsfähiges Bundesheer ist! Es gilt nun, den massiven Investitionsrückstau zu beseitigen und die militärischen Kernkompetenzen und Fähigkeiten weiter zu stärken und auszubauen. Somit ist es notwendig, jetzt die budgetären Mittel aufzustocken. Ich bin froh, dass dies parteiübergreifend gesehen und auch unterstützt wird.

Sie fordern eine mehr als Verdoppelung des Verteidigungsbudgets auf 1,5 % des Bruttoinlandsprodukts oder 6 statt 3 Milliarden Euro pro Jahr. Was soll damit angeschafft werden?
Wir sind dabei, das Bundesheer zu einem starken und leistungsfähigen Heer aufzubauen, um alle an uns gestellten Aufgaben erfüllen zu können und es fit für die Bewältigung der aktuellen und zukünftigen Bedrohungen zu machen. Denn solche kommen immer näher! Wir müssen die Mannesausstattung, geschützte Mobilität, Waffen und Gerät verbessern, in die Luft- und Drohnenabwehr und in die Infrastruktur investieren. Deshalb brauchen wir auch mehr Geld. Außerdem müssen dafür notwendige Strukturen und Abläufe angepasst werden. Aber ich kann eines versichern: Wir kaufen nichts, was wir nicht dringend brauchen!

Österreich ist bei vielen Rohstoffen vom Ausland abhängig, nicht nur bei fossilen Energieträgern, teils von autokratisch regierten Ländern. Auch bei Dünger sind wir längst nicht autark. Muss Österreich seine Versorgungssicherheit rasch überdenken? Lagerhaltungspolitik gehört ja auch zur Landesverteidigung.
Das ist eigentlich eine Angelegenheit der zivilen Institutionen. Wenn es um eine Lagerhaltung, wie beim „COVID-19-Lager“ um den Notvorrat an Schutzausrüstungen und sonstigen notwendigen medizinischen Geräten während der Pandemie geht, so geschieht dies in Form eines eigenen Gesetzes als Unterstützung für das Gesundheitsministerium. Ähnlich wäre es auch bei der Lagerung von Agrarprodukten oder Düngemittel als Unterstützung für andere Ressorts. Auch hier würden wir ein eigenes Gesetz dazu brauchen. Auf jeden Fall werden wir den Großteil unserer Kasernen bis zum Jahr 2025 autark machen, um etwa im Fall eines Blackouts rasch und effizient reagieren und die zivilen Einsatzorganisationen in ihrer Tätigkeit unterstützen zu können.

Zur Person
Mag. Klaudia Tanner (49) ist seit
Jänner 2020 Österreichs Verteidigungs-ministerin.
Davor war war sie seit 2011 die Direktorin des NÖ. Bauernbundes.
FOTO: APA Picturedesk

Wo sind Sie als Ministerin derzeit noch besonders gefordert?
Ich stehe an der Spitze eines riesigen Unternehmens mit viele Tausenden Mitarbeitern. Wir haben zahlreiche Assistenzeinsätze und Unterstützungsleistungen im In- und Ausland zu leisten. Zusätzlich hat natürlich auch uns in den vergangenen zwei Jahren die Pandemie gefordert. Jeder Tag ist anders. Aber ich liebe meinen Job!

Gibt es in den Heereskantinen mittlerweile neben dem „Klimateller“ weitere Empfehlungen mit regionalen Produkten?
Schon vor der Einführung des Klimatellers wurde das Tageskostgeld für unsere Soldatinnen und Soldaten in Kasernen und Dienststellen von 4 auf 5 Euro angehoben. Wir gehen hier nach dem Motto „Unser Heer isst regional“ mit positivem Beispiel voran und setzen bei der Verpflegung mehr und mehr auf regionale Lebensmittel. Die schmecken einfach besser, kommen von unseren Bäuerinnen und Bauern, und das alles schützt gleichzeitig das Klima, weil die Transportwege kürzer sind. Und das aktuelle Beispiel Ukrainekrise zeigt ja, wie wichtig eine eigene Versorgung im Land ist.

Interview: Bernhard Weber

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AUTORRed. SN
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