100 Jahre Österreichischer Bauernbund. Die schwierigen Anfangsjahre bis 1945

Vor genau 100 Jahren, am 25. November 1919, wurde in Wien der Österreichische Bauernbund als „Reichsbauernbund“ gegründet. Ein Anlass zur Rückschau. Teil 1: Von der Monarchie zur 2. Republik.

Die Proklamation der Ersten Republik vor dem Parlament auf der Wiener Ringstraße. Der „Reichsbauernbund“ wurde genau ein Jahr später gegründet. Foto: VGA/AZ-Sacharchiv

Nach dem Zerfall der Habsburger-Monarchie herrschte in Österreichs Hauptstadt Hunger. Der 1. Weltkrieg hatte in Europa Tausende Hektar fruchtbares Land und viele Höfe zerstört. Für die Bewohner Wiens gab es gerade einmal 26 Millionen Liter Milch, weniger als 10 Prozent der Anlieferung von 1914.
Nach dem Verzicht des letzten Kaisers Karl I. auf „ jeglichen Anteil an den Staatsgeschäften“ war ein Jahr davor am 12. November 1918 vor dem Parlament die Erste Republik ausgerufen worden. Am Aufbau des neuen Staates beteiligten sich damals die drei großen Parteien – Sozialdemokraten, Christlichsoziale und Großdeutsche – zusammen mit den Bundesländern. Jodok Fink (1853–1929), Bauer aus Andelsbuch im Bregenzer Wald und 1897 in den Reichstag in Wien gewählt, saß als Vizekanzler und Vertreter der Christlichsozialen ab März 1919 in der ersten österreichischen Regierung. Mit großem Engagement unterstützte Fink auch die Gründung des Reichsbauernbundes.
Als Konsequenz aus der Bauernbefreiung 1848 gab es bereits konservative, christlich-soziale Bauernbünde, etwa seit 1904 in Tirol und seit 1906 in Niederösterreich und Salzburg sowie seit 1919 in Oberösterreich.
Zum ersten Obmann des Reichsbauernbundes wurde Josef Stöckler (1866–1936), Bauer in St. Valentin und Mitbegründer des NÖ-Bauernbundes, gewählt, zu seinen Stellvertretern bestimmt wurden Florian Födermayr (1877–1960), Landwirt in Kronstorf bei Enns, der Tiroler Alois Haueis (1860–1951) aus Zams, der 1920/21 zudem Landwirtschaftsminister war, sowie als Kassier Josef Zwetzbacher (1874–1942) aus St.Pölten-Wagram, der auch erster Präsident der 1922 gegründeten NÖ-Landwirtschaftskammer wurde.

Erster Obmann des “Reichsbauernbundes”war Josef Stöckler aus Niederösterreich.
Foto: www.parlament.gv.at

Beherzter, engagierter erster Obmann: Josef Stöckler
Josef Stöckler führte den Reichsbauernbund bis 1926 und schrieb auch als Leiter des Staatsamts für Landwirtschaft von 1918 bis 1920 Geschichte. Damals wurden im Parlament das Wiederbesiedlungsgesetz und die Pächterschutzverordnung sowie die Einrichtung von Agrarbezirksbehörden beschlossen. Am Gründonnerstag des Jahres 1919 und wenige Wochen später am 15. Juni waren in Wien zwei bewaffnete Putschversuche der Kommunisten von Polizei und Militär niedergeschlagen worden. Am Peter und Paulstag, also am 29. Juni, da waren die kommunistischen Putschversuche schon gescheitert, fand auch unter Mitorganisation Stöcklers im Dreherpark in Wien-Meidling eine Groß-Demonstration von 10.000 Bauern statt. Diese war ein starkes Signal an die Linke, das auch verstanden wurde.
Vergessen ist heute leider Stöcklers Einsatz für den Erhalt der Spanischen Hofreitschule und die Tatsache, dass er übereifrigen Föderalisten seiner eigenen Partei mit den Vorarbeiten für die Bundesverfassung 1920 entschieden gegen die Abschaffung des Ackerbauministerium entgegentrat. Unterstützt wurde er dabei von Vinzenz Schumy (1878–1962) aus Kärnten, später Führer des 1922 gegründeten und bis 1934 bestehenden Landbund für Österreich. Dieser war stark deutschnational und antiklerikal orientiert und bestimmte in der Zwischenkriegszeit in Kärnten, der Steiermark und auch im Burgenland die Politik entscheidend mit. Ein Teil des Landbundes wurde 1945 in den ÖVP-Bauernbund eingegliedert. Nach 1945 war Schumi bis 1962 erster Generalanwalt des Österreichischen Raiffeisenverbandes.
Josef Stöcklers Nachfolger als Obmann des Reichsbauernbundes waren Florian Födermayr und Andreas Thaler (1883–1939). Beide schrieben in der Zwischenkriegszeit auch als Landwirtschaftsminister Agrargeschichte und waren sehr bemüht, die Produktion zu steigern und die bäuerlichen Einkommen bei sinkenden Agrarpreisen zu stabilisieren. Das gelang jedoch nur teilweise. Thaler, Bauer aus der Wildschönau und Obmann des Reichsbauernbundes von 1929 bis 1932, gilt zudem als Vater der modernen Agrarförderung. In seiner Ministerschaft wurden erstmals Förderrichtlinien zur Ankurbelung der tierischen und pflanzlichen Produktion und für die Existenzsicherung der Bergbauern erlassen. In enger Abstimmung mit den Landwirtschaftskammern, die ab 1922 in allen Bundesländern der Ersten Republik errichtet wurden, wurden Fortschritte in der Versorgung mit Lebensmitteln erzielt.
Die Bundesverfassung 1920 schuf die Grundlage für berufsständische Vertretungen und übertrug die Kompetenzen für die Landwirtschaft – bis heute gültig – den Bundesländern. Mit Zollerhöhungen wurde dem Schutz der heimischen Produktion Priorität eingeräumt, und damit wurden die Einkommen der bäuerlichen Betriebe stabilisiert. 1923 wurde die Präsidentenkonferenz der landwirtschaftlichen Hauptkörperschaften (heute LK Österreich) errichtet.
Der Aufschwung in der Landwirtschaft in den 1920er Jahren sowie deren Produktionsleistung war erfreulich und wurde erst durch die Weltwirtschaftskrise 1929 jäh unterbrochen. Die Verschuldung vieler Bauernhöfe führte zu Zwangsversteigerungen. In dieser Zeit wurde Florian Födermayr, der dem Reichsbauernbund seit 1925 vorstand, an die Spitze des Landwirtschaftsministeriums berufen. 1930 wurde das „Notopfergesetz“ beschlossen, mit Anbauprämien im Ackerbau und Fördergeldern für die Bergbauern. Damit wurden tatsächlich große Summen für die Bauern bereitgestellt, die sich allerdings langfristig als ungenügend erwiesen.

Die Ära Dollfuß
Die entscheidenden Schritte zur Marktlenkung sind mit dem Namen Engelbert Dollfuß verbunden. Dollfuß, anerkannter Agrar- und Genossenschaftspolitiker, gründete den Bundesstaat Österreich, war von 1931 bis zu seiner Ermordung 1934 Bundeskanzler und auch Landwirtschaftsminister. Er ging von Zollerhöhungen zu Einfuhr-Kontingentierungen, Abschöpfungen und Subventionierungen über, hat also die Außenhandelspolitik grundlegend geändert. Durch die Gründung von Fonds für Milchwirtschaft und Viehverkehr entstanden neue Institutionen der Marktlenkung. Tatsächlich war der „Ständestaat“ unter Dollfuß und nach dessen Tod unter Kanzler Kurt Schuschnigg bis 1938 kein solcher – aufgrund der durchgebildeten bäuerlichen Interessenvertretung im Reichsbauernbund und in den Bauernkammern war der Berufsstand Land- und Forstwirtschaft neben dem öffentlichen Dienst die einzige funktionierende „ständische“ Vertretung.
Der Reichsbauernbund wurde ab 1933 bis 1935 von Bartholomäus Hasenauer (1892–1980) aus Maishofen im Pinzgau geführt. Er war 1934 kurz auch Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium und nach dem 2. Weltkrieg von 1945 bis 1950 Präsident der LK Salzburg, später auch Vize-Landeshauptmann von Salzburg.

Herausfordernde Zeit in den 1930ern bis zum Anschluss
Bis zum „Anschluss“ Österreichs an Deutschland nach dem Einmarsch der Hitlertruppen am 12. März 1938 stand dem Bauernbund kurz Josef Reither (1880–1950) aus Langenrohr im Tullnerfeld vor, er war im Kabinett Kurt Schuschnigg 1934/1935 auch Minister für Land-und Forstwirtschaft und zählte zu den einflussreichsten Bauernfunktionären der Zwischenkriegszeit. Ab 1945 war Reither erster Vorsitzender der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammer und zudem bis zu seinem Tod Landeshauptmann von Niederösterreich. In den 1930er Jahren schuf er das Milchverkehrsgesetz, der Rinder-und Schweinemarkt wurde stabilisiert und eine Verwertungsabgabe eingeführt, deren Erträgnisse zur Verbilligung von Fleischwaren verwendet wurden. Für die Forstwirtschaft wurde 1934 ein Holzausfuhrgesetz geschaffen. Der letzte Landwirtschaftsminister vor der Machtübernahme der Nazis war von 1936 bis 1938 der Oberösterreicher Peter Mandorfer (1885–1953), Präsident der Landwirtschaftskammer, aus Waldneukirchen. Er hat sich 1937 mit der Schaffung des Bergbauernhilfsfonds, der nach 1945 wieder eingerichtet wurde, bleibende Verdienste für den Bauernstand erworben.
Nach dem „Anschluss“ 1938 wurden Josef Reither, aber auch der damalige Bauernbunddirektor Leopold Figl von den Nazis prompt verhaftet und mit dem ersten Transport ins KZ Dachau bei München verbracht. Die gesundheitlichen Langzeitfolgen der mehrjährigen Haft begleiteten Figl später sein Leben lang. Im Frühjahr 1938 begann auch die konsequente Überführung bäuerlicher Organisationen in das geschlossene System des Reichsnährstands mit deutlichen Merkmalen einer Vorbereitung für die Kriegsernährungswirtschaft. Für zwei Tage, vom 11. bis 13. März 1938, war der Oberösterreicher Anton Reinthaller (1895–1958) im Anschlusskabinett von Arthur Seyß-Inquart Landwirtschaftsminister. Nach dem Krieg gründete er 1956 die FPÖ. Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg mit einer verheerenden Schreckensbilanz: Weltweit waren rund 50 Millionen Tote zu beklagen.

Prof. DI Dr. Gerhard Poschacher, langjähriger Gruppen-und Abteilungsleiter (Agrarpolitik, Ländliche Entwicklung, Statistik und Umweltbeirat) im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft ist heute als Publizist tätig.

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