Das unter dem Erzkommunisten Enver Hoxha (1908-1985) ab 1944 angeführte Balkanland galt weit über den Tod des Diktators hinaus auch nach dem Sturz des Regimes 1990 neben Moldawien bis vor wenigen Jahren als das Armenhaus Europas. Die frühere Volksrepublik wird auch heute wieder von einer sozialistischen Regierung geführt, wiewohl Albanien 2009 seinen Beitrittsantrag beim Europäischen Rat eingereicht hat. Seit 2014 hat das Land der Skipetaren den Kandidaten-Status für einen möglichen EU-Beitritt. Vor fast genau einem Jahr, im Juli 2022, wurden die Verhandlungen dazu eröffnet. 

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Albanien zählt noch 280.000 Kleinstbetriebe. Zwei Drittel haben seit 1990 das Land verlassen. Die Alten leben von 82 Euro Rente/Monat.

Nicht wenige Albaner leben heute längst in der EU, sind nach einem Massenexodus in den 1990er-Jahren emigriert nach Italien, Deutschland, vor dem Brexit nach Großbritannien oder abgehauen in alle Welt. Die Massenauswanderung ist weiterhin ein Problem in Albanien. Nach wie vor will zumindest jeder zweite junge Albaner weg aus seiner Heimat. Das hat in einem Land ohne nennenswerte Industrie, immerhin aber wachsenden Tourismuszahlen, in dem aber vier von zehn Menschen nach wie vor im darniederliegenden Agrarsektor ihr kärgliches Einkommen erwirtschaften, katastrophale Folgen.

In Albanien trägt die Landwirtschaft zu etwa 20 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts bei. Getragen wird sie von der Generation Ü50, also überwiegend von älteren Bäuerinnen und Bauern, die meist für sich und ihre Angehörigen etwas Getreide, Obst und Gemüse oder mit wenigen Tieren Fleisch, Eier oder Milchprodukte erzeugen. 

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Fitim Zaimi im Olivenhain hinter seinem Dorf nahe Berat.

Nennenswerte Exporte schaffen die Albaner nur mit dem Anbau von Kräutern, allen voran Salbei, für die weltweite Pharmaindustrie sowie neuerdings auch mit Oliven oder autochtonen Weinsorten. Und das auf wenig Privatgrund, im Durchschnitt 1,4 Hektar Land. Etwa die Hälfte der 400.000 Hektar Agrarflächen gehört nach wie vor dem Staat, auch in Albanien wurden Landbesitzer ab 1946 enteignet. Betriebe mit mehr als 20 oder gar 50 Hektar Fläche sind rar, Genossenschaften gibt es kaum. Deren Prinzip leidet bis heute unter der Misswirtschaft der marxistisch-leninistischen Hoxha-Ära. 

Kaum 30 Millionen Euro beträgt das Agrarbudget 

Auch vom Staat – seit zehn Jahren regieren erneut die Sozialisten unter Parteichef und Premierminister Edi Rama – haben die Bauern wenig bis nichts zu erwarten. Förderungen? Fehlanzeige. Im umgerechnet 5 Milliarden Euro-Budgettopf des Staates sind für die Landwirtschaft nicht einmal 30 Millionen Euro (oder 0,6 Prozent) vorgesehen, die für etwas günstigeren Agrardiesel, rund 900 Euro Unterstützung für Bio-Betriebe, zur Mitfinanzierung von EU-Programmen oder als Zahlung von 80 Euro je Milchkuh (bis maximal zehn Tiere) oder 10 Euro je Schaf oder Ziege (bis 100 Tiere) vergeben werden. Etwas Geld gab es für manche auch aus China, wenn sie sich für den Kauf von Landmaschinen aus der Volksrepublik entschieden haben.

Landwirte zahlen bis 90.000 Euro Umsatz zwar keine Steuern, für Kooperativen gibt es eine Steuerermäßigung von fünf statt üblichen 15 Prozent, aber nur bis maximal fünf Mitglieder, weiß Eduart Sharka. Der studierte Agrarökonom ist Berater der konservativen Demokratischen Partei, der seit 2017 zweitstärksten Fraktion im Parlament. Von einer bäuerlichen Interessenvertretung, ähnlich wie in Österreich, können Albaniens Bauern indes nur träumen. Versuche, sich politisch zu vernetzen, sind bisher am Denken und den sozialistisch-marxistischen Strukturen auch vieler Kleinstbauern im Land gescheitert. Als größtes Problem sieht Sharka aber das Fehlen der Jugend. Agrarschulen gibt es keine, einzig akademische Bildung an der Universität. Der fleißige Nachwuchs unter 25 Jahren wird von Griechenland mit bis zu 60.000 Euro Niederlassungsprämie ins Ausland gelockt. Oder er flüchtet als Saisonkraft auf Agrarbetriebe in andere Länder, meist ohne je wieder zurückzukehren.

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Eduart Sharka: „Haben keine Agrarschule und keine bäuerliche Vertretung.“

Davon berichtet auch Ferdinant Mimani, Olivenbauer nahe der Weltkulturerbestadt Berat: „Wer bei uns noch Landwirtschaft betreibt, ist vor 1970 geboren. Die Jungen sind weg, erst zur Ausbildung nach Tirana, später in alle Welt.“ Er, sein Kollege Fitim Zaimi und dessen Frau machen sich wenig Illusionen hinsichtlich einer Trendwende. Dabei hatte Albaniens Regierung vor 15 Jahren versucht, gegenzusteuern und speziell den Olivenanbau massiv gefördert. 2008/09 gab es für Hunderte Bauern Fördergelder für die vielerorts vernachlässigte Kultur. Mit mehreren Millionen Bäumen wurden auf 1.500 Hektar neue Haine angelegt und in Verarbeitungstechniken investiert. 

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Ferdinant Mimani: „Die Jugend ist weg in alle Welt.“

Auch die Mimanis bewirtschaften mittlerweile 13 Hektar im Familienverbund. Die Zaimis verarbeiten die Ernte der Mimanis, drei Jahre eingelegt in Salzlake, zu entsteinten Oliven oder kaltgepresstem Öl, für Kunden in Tirana oder in Durres. Wie lange sich das zu Preisen von etwa 4,5 bis 5 Euro je Liter Öl aber noch bezahlt macht, steht trotz zuletzt guter Ernten in den Sternen. Denn die Arbeit im steilen Olivenwald hinter ihrem Dorf erfolgt fast ausschließlich manuell. Nur die Bäume werden allesamt über Schläuche künstlich bewässert. Die vom Staat propagierte Oliven-Offensive war letztlich ein fragwürdiges Unterfangen. Der internationale Markt für Oliven und daraus gepresstes Öl ist mehr als gesättigt. Auch die mittlerweile anonym aus Albanien über die Adria nach Italien verschifften Oliven bringen kaum mehr Erlös.

Zu groß für Förderungen, dafür immerhin 78 Cent Milchpreis

100 Kilometer weiter nördlich bei Kavaja, nahe der Hafenstadt Durres, betreibt Arjon Lecini mit 300 Holstein-Kühen einen der größten Milchviehbetriebe im Land, auf zehn Hektar eigenem Grund. Weitere 180 Hektar hat er von mehr als 50 Eigentümern gepachtet. An Unterstützung bekommt auch er keinen Lek, weil er mit mehr als 5.000 Liter täglich in seinem Freilaufstall unter einem Blechdach zu viel Milch erzeugt. Auch auf diesem Betrieb packt die ganz Familie mit an, wie seine Brüder. Die einen im Futteranbau und bei der Instandhaltung der Maschinen, die anderen im Stall. Mit dem Milchpreis ist der Landwirt nicht unzufrieden, 84 Lek je Liter zahlt ihm der Zwischenhändler an die nächstgelegene Molkerei, umgerechnet 78 Cent. Dafür ging sich heuer auch der Kauf eines alten Claas-Feldhäcksler aus. 

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Arjon Lecini mit Bruder und Sohn Eldi: „Leidenschaft für meinen Betrieb ist höher als die Wirtschaftlichkeit.“

Gebrauchte Traktoren von Same und Fendt, ein Futtermischwagen oder der Fischgräten-Melkstand sind in die Jahre gekommen, leisten aber ihre Dienste. Unumwunden räumt der Milchbauer ein: „Die Leidenschaft für meinen Betrieb ist weit höher als die Wirtschaftlichkeit.“ 

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Gebrauchte Traktoren leisten ihre Dienste.

In den Regalen der Supermärkte konkurriert seine Milch mit Produkten aus Frankreich, Deutschland oder auch mit NÖM-Milchdrinks aus Österreich. Von einer Selbstversorgung – nicht nur mit Milch, auch mit Mehl oder Fleisch – ist Albanien weit entfernt.

Sein Sohn Eldi kümmert sich derweil um die Fütterung und das Melken. Auch er will in zwei Jahren weg, wenn auch nur vorübergehend. Zur Ausbildung an die Veterinärmedizinische Universität Wien. Marxistische Sichtweisen, davon ist auszugehen, erhofft er sich von einem Aufenthalt in Österreich wohl keine.

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AUTORBernhard Weber
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