„Unsere Bauern genießen höchstes Ansehen. Zu Recht“

Bundeskanzler und ÖVP-Parteiobmann Karl Nehammer wendet sich via BauernZeitung gezielt an die Landwirte: „Wir haben stets auf sie geschaut und werden das auch in Zukunft tun.“

Karl Nehammer: „Man muss nur aus dem Fenster schauen, um sich der Bedeutung der Landwirtschaft in unserem Land bewusst zu werden.“

BauernZeitung: Sie sind seit Dezember 2021 Bundeskanzler. Nun geht die Legislaturperiode zu Ende. Worauf sind Sie im Rückblick als Chef der Bundesregierung stolz?

NEHAMMER: Trotz der notwendigen Krisenbewältigung ist uns in der Bundesregierung viel gelungen. Die Abschaffung der schleichenden Steuererhöhung, Stichwort Kalte Progression, und die Ökosoziale Steuerreform sind nur zwei wesentliche Meilensteine, die ich herausstreichen möchte. Auch im landwirtschaftlichen Bereich ist viel passiert. Wir haben mit Norbert Totschnig einen hervorragenden Landwirtschaftsminister. Kaum jemand kennt sich besser in diesem Bereich aus und weiß, wo den Bäuerinnen und Bauern der Schuh drückt. Die GAP wurde umgesetzt, es wurden neue Förderprogramme für die Landwirtschaft geschaffen und spürbare Entlastungsmaßnahmen gesetzt. Wir waren auch die einzigen in der EU, die das Agrarbudget aufgestockt haben. Und mit unserem 360-Millionen-Euro-Impulsprogramm haben wir auf die Inflation reagiert.

Was sind für Sie die drei wichtigsten Themen für die nächste Regierung?

Leistung, Familie und Sicherheit. Das sind auch die drei Säulen meines Österreichplans. Leistung ist uns wichtig, weil sie unser Land groß gemacht hat. Ohne Leistungsgerechtigkeit gibt es keinen Wohlstand und auch keinen Sozialstaat. Verteilt werden kann nur, was zuvor erwirtschaftet wurde. Familie sehe ich als das Fundament unserer Gesellschaft, sie schafft Zusammenhalt und gibt Geborgenheit. Innere und äußere Sicherheit sind wichtig, weil wir nur so unsere Demokratie und unsere Freiheit schützen können.

Bäuerinnen und Bauern, eine Kernwählgruppe der ÖVP. Sie fordern Planungssicherheit und faire Bedingungen für ihre Produktion. Können Sie den Landwirten das als ÖVP-Chef versichern?

Absolut! Darauf haben wir in der Vergangenheit stets geschaut und werden das auch in Zukunft tun. Bei uns sitzt ein Bauer in der Regierung. Mit ihm haben wir es geschafft, dem Nationalen Klimaplan die Giftzähne zu ziehen. Es wird mit uns von der ÖVP auch keine Abschaffung des Dieselprivilegs geben. Auf EU-Ebene setzen wir uns für die Sicherstellung der GAP-Mittel für Österreich im Mehrjährigen Finanzrahmen der EU ab 2028 mit Abgeltung der Inflation und nationaler Kofinanzierung ein. Wichtig sind uns in der Agrarpolitik der EU auch die Berücksichtigung von unterschiedlichen Produktionsstandards zwischen EU- und Nicht-EU-Staaten bei Einfuhrzöllen sowie die Einrichtung einer Marktbeobachtungsstelle auf EU-Ebene für Lebensmittelimporte, um faire Rahmenbedingungen sicherzustellen.

Welchen Stellenwert hat generell Österreichs Landwirtschaft für Sie persönlich?

Unsere Bäuerinnen und Bauern genießen höchstes Ansehen in der Bevölkerung. Und das zu Recht! Unsere Landwirtschaft hat uns durch die Krise gebracht und mit Lebensmitteln versorgt. Die Einzigartigkeit und Vielfalt unserer Landwirtschaft mit Fokus auf Tierwohl, Umwelt, Bio-, Berg- und Almwirtschaft sowie Gentechnikfreiheit soll von starken Familienbetrieben weitergeführt werden, um die hohe Qualität in der Produktion nachhaltig abzusichern. Man muss nur aus dem Fenster schauen, um sich der Bedeutung der Landwirtschaft in unserem Land bewusst zu werden. Klar ist auch: Eine eigenständige Lebensmittelversorgung stärkt unsere Unabhängigkeit und trägt zur Sicherung von Arbeitsplätzen und zur Entwicklung des ländlichen Raumes bei.

Konkret fordern Landwirte eine klare, umfangreiche Herkunftskennzeichnung von Lebensmitteln auch in der Gastronomie. Werden Sie sich dafür einsetzen?

Unsere Bäuerinnen und Bauern brauchen wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen, damit ganz Österreich von regionaler Lebensmittelqualität profitieren kann und Versorgungssicherheit gewährleistet ist. Wir wollen die Wettbewerbsfähigkeit unserer qualitativ hochwertigen Lebensmittel gegenüber Billigimporten aus dem Ausland erhöhen: durch eine Stärkung der bestehenden Gütesiegel und mehr Transparenz hinsichtlich Regionalität, Qualität sowie einfachere Direktvermarktung. In allen öffentlichen Einrichtungen sollen so weit als möglich regionale Produkte gemäß dem Plan zur Nachhaltigen Beschaffung zum Einsatz kommen. Wir wollen den Bäuerinnen und Bauern und den heimischen Lebensmittelbetrieben neue Chancen eröffnen.

Nehammer: „Es wird mit uns von der ÖVP auch keine Abschaffung des Dieselprivilegs geben.“

Keine weiteren Benachteiligungen beim Pflanzenschutz sind für die Bauern essenziell, um mit ihrer Arbeit die Ernährungsgrundlagen im Land zu sichern. Für Sie und die ÖVP auch?

Auch beim Pflanzenschutz stehen wir fest an der Seite der Landwirte. Es waren die Abgeordneten der Volkspartei, die sich im EU-Parlament konsequent für die Bauerninteressen eingesetzt haben, etwa mit der Ablehnung der SUR-Verordnung. Wir treten weiterhin für eine Harmonisierung der Pflanzenschutzbestimmungen ein. Das ist auch eine Frage der Fairness. Die Wettbewerbsfähigkeit bei Betriebsmitteln wie Agrardiesel oder Agrarstrom muss gestärkt werden. Wir sind stolz auf die nachhaltige Produktion von Lebensmitteln in Österreich und werden es nicht zulassen, dass diese durch gut gemeinte, aber undurchdachte Verordnungen in Gefahr gebracht wird.

Wie kann und soll man Bürger und Bauern in Sachen Bürokratie entlasten?

Durch konsequente Reduktion von überbordender Regulierung. Bürokratie belastet Menschen und Betriebe. Sie hat höchst widersprüchliche, oft absurde Formen angenommen. So wird Fleischverarbeitern vorgeschrieben, in Arbeitsräumen aus hygienischen Gründen glatte Fliesen zu verwenden. Gleichzeitig schreibt ein anderes Gesetz raue Fliesen für den Arbeitsschutz vor. Lassen wir die Bäuerinnen und Bauern wieder Bäuerinnen und Bauern sein. Mit klaren, aber auch weniger Auflagen.

Wie stehen Sie zur Forderung, die EU-Agrargelder jährlich an die Inflation anzupassen? Das müsste ja auch national kofinanziert werden.

Es geht nicht nur darum, die Gelder anzupassen, sondern die Rahmenbedingungen für unsere Familienbetriebe weiter zu verbessern. Deshalb haben wir im Juni in Brüssel eine umfangreiche Änderung des GAP-Strategieplans eingebracht. Unser Ziel ist es, das erfolgreiche Agrarumweltprogramm noch attraktiver zu gestalten, es zu vereinfachen und selbstverständlich auch der Inflation – wie bereits mit unserem Impulsprogramm für die Landwirtschaft – Rechnung zu tragen. Wir setzen uns für weniger Kontrollen und mehr Flexibilität bei bestimmten Auflagen ein.

Reizworte für die Landwirtschaft kommen aus dem Umweltbereich, Stichwort Renaturierung. Klimaschutz und Biodiversität spielen für Bauern längst eine enorme Rolle, sie befürchten aber weitere Auflagen und Einschränkungen. Wird den Bauern genügend Gehör geschenkt?

Als Bundeskanzler ist es mir ein besonderes Anliegen, dass die Bäuerinnen und Bauern genügend Gehör finden, in Österreich wie auch in der EU. Was die Renaturierung betrifft, ist festzuhalten, dass Bundesministerin Gewessler mit ihrem Alleingang nicht nur einen mutmaßlichen Rechtsbruch begangen hat. Entgegen einer klaren Stellungnahme der Länder hat sie einem praxisfremden und unausgereiften Gesetz zugestimmt, das weitreichende Folgen auch für unsere Landwirtschaft haben wird. Im nationalen Wiederherstellungsplan müssen nun die umfangreichen Vorleistungen der Land- und Forstwirtschaft berücksichtigt werden, die bereits jetzt für Natur- und Artenschutz erbracht werden. So nehmen 80 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe am ÖPUL teil. Und die Biodiversitätsflächen sind binnen zwei Jahren um 80.000 auf 230.000 Hektar gestiegen, das sind mehr als zehn Prozent der gesamten Agrarfläche. Solche Leistungen zeigen das klare Bekenntnis der Bauern zu unserer Umwelt und müssen auch entsprechend honoriert werden.

Nehammer: „Mir ist es ein besonderes Anliegen, dass die Bauern Gehör finden.“

Viele Österreicher haben Vorbehalte gegen zu viel Migration. Wie kann man Ängste nehmen, ohne dass Österreich zu einer Festung wird?

Wir haben die Zahlen der Asylanträge massiv gesenkt und werden das weiterhin tun. Die illegale Migration muss gestoppt werden. Dafür brauchen wir endlich Asylverfahren an den europäischen Außengrenzen. Nur wenn die Außengrenzen vollumfänglich geschützt sind, können auch alle Grenzen innerhalb der EU offen bleiben. Auch sollen sich Asylwerber ihr Zielland in der Union nicht aussuchen können. Und wir wollen Abschiebungen in Herkunftsländer umsetzen, insbesondere nach Syrien und Afghanistan. Dazu ist der Asyl- und Migrationspakt der EU ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Als Parteichef haben Sie angekündigt: Keine ÖVP-Koalition mit Herbert Kickl von den Blauen. Es gibt auch Stimmen, die fordern: Keine Koalition mit Leonore Gewessler von den Grünen. Gilt nach dem 29. September für Sie beides?

Kickl hat einmal gesagt, das Recht hat der Politik zu folgen. Das hat Gewessler in die Tat umgesetzt. Sie hat aus unserer Sicht mit ihrer eindimensionalen Entscheidung im EU-Rat gegen die Verfassung verstoßen und sich damit über das Einstimmigkeitsprinzip in der Bundesregierung hinweggesetzt. Das war ein Vertrauensbruch.

Zur Person

Mag. Karl Nehammer, 51, ist seit Dezember 2021 Bundeskanzler der Republik Österreich und seit Mai 2022 auch Bundesparteiobmann der ÖVP.

- Bildquellen -

  • Bundeskanzler Karl Nehammer: Georg Hochmuth / APA / picturedesk.com
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AUTORRed. BW
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