Der Agrarminister der Ukraine, Mykola Solskyj, hat zu diesem Zweck bereits mit Litauens Agrarminister Kestutis Navitskas die Möglichkeiten ausgelotet, Agrarausfuhren via Schiene durch Polen über die Ostseehäfen des baltischen Staates abzuwickeln, berichtet Agra-Europe. Ein solches Abkommen hätte nicht nur den Vorteil, dass die Ukrainer über einen weiteren Absatzkanal für ihre Agrarprodukte verfügen würden. Am Rückweg könnten Züge zudem Treibstoff und Dünger ins Land schaffen.
Auch Polen arbeitet laut dessen Landwirtschaftsminister Henryk Kowalczyk bereits konkret an der Schaffung eines sogenannten „Trockenhafens“ an seiner östlichen Grenze, um die Logistik-Kapazitäten für agrarische Schüttgüter auf der Schiene zu erhöhen. Damit soll zumindest ein Teil der ukrainischen Agrarexporte ermöglicht werden, die wegen der russischen Blockade und Zerstörung der Schwarzmeerhäfen weitgehend am Boden liegen. Voraussetzungen dafür sind ein ausgebautes Eisenbahnnetz und Verladeeinrichtungen in einem Rangierbahnhof, um die entsprechenden Tonnagen bewältigen zu können.
Auch mit Rumänien hat Solskyj gesprochen, um die mögliche Nutzung dortiger Donau- und Meereshäfen auszuloten. Limitierender Faktor dürfte aber hier wie dort die logistische Kapazität des ukrainischen Bahnnetzes sein, die von Fachleuten derzeit auf maximal 600.000 t Getreide und Ölsaaten monatlich geschätzt wird.
Getreiderat verurteilt Krieg
Derweil hat der Internationale Getreiderat (IGC) Russlands Krieg gegen die Ukraine nachdrücklich verurteilt sowie seine Solidarität mit der Ukraine erklärt. Moskau wurde aufgefordert, alle Kriegshandlungen sofort einzustellen und seine Truppen abzuziehen. An alle anderen Länder wurde appelliert, die Agrarmärkte offenzuhalten und keine Exportrestriktionen zu ergreifen. Die klare Positionierung pro Ukraine ist für den Getreiderat auch aus finanzieller Sicht heikel. Russland gehört wegen seines hohen globalen Exportanteils bei Weizen, Gerste oder Sonnenblumen zu den wichtigsten Zahlern des IGC. Ein Ausschluss Russlands hätte wohl deutliche Einnahmeausfälle für das zwischenstaatliche Gremium zur Folge. Dessen Ernte- und Versorgungsbilanzen gelten als wichtige Entscheidungsgrundlage für Politiker und Märkte.
Indes hat Agrarminister Mykola Solskyi die absehbaren Ernteausfälle der Ukraine konkretisiert. Ihm zufolge sind wegen der Kampfhandlungen die Feldarbeiten auf rund 3,5 Millionen Hektar unmöglich. Diese Flächen dürften damit für die Ernte 2022 keine Rolle spielen. Zum Vergleich: Die gesamte Ackerfläche Österreichs beträgt etwa 1,3 Millionen Hektar. In Friedenszeiten hat die Ukraine 98 Prozent ihrer Agrarausfuhren über die Schwarzmeerhäfen abgewickelt.
Bernhard Weber