Immer öfter dreht auch der Milchmarkt schneller, als selbst erfahrene Branchenfachleute erwarten. “Vor sechs Wochen”, bekennt Gerhard Woerle, Chef der gleichnamigen Käserei in Salzburg und seit 50 Jahren im Milchgeschäft tätig, “hätten wir noch jedem Milchbauern geraten, er soll bei den Maßnahmen zur Mengenreduktion mitmachen. Jetzt sieht alles ganz anders aus.”
Plötzlich zu wenig Milchfett
In der Tat sind in den vergangenen Wochen Milchbauern in etlichen europäischen Ländern bei Produktion und Anlieferung von Milch aufgrund des Preisverfalls stark “auf die Bremse gestiegen”. Eine Folge davon ist, dass derzeit “viel zu wenig Fett auf dem Markt ist”, berichtete der Präsident der Vereinigung Österreichischer Milchverarbeiter (VÖM), Helmut Petschar, vergangene Woche bei der Österreichischen Milchwirtschaftlichen Tagung in Mondsee (OÖ). Er sprach von einem “Lichtblick am Horizont”, wollte sich aber auf keine Preisprognosen einlassen. Die Notierungen für diverse Standardmilchprodukte, wie Butter, Edamerkäse, Magermilch- und Molkenpulver, zeigen jedenfalls seit Kurzem wieder klar nach oben und lassen auch etliche Molkereivertreter einen Hoffnungsschimmer für die Preisentwicklung in den kommenden Monaten sehen.
Mit Optimismus vorsichtig sein
Bestärkt werden sie durch die Einschätzung von Monika Wohlfahrt, Geschäftsführerin der Zentralen Milchmarkt-Berichterstattung GmbH in Berlin, wonach “die Milchmengen, die aus dem Markt genommen wurden, nicht so schnell wieder zurückkommen werden”. Für die nächsten Monate sei von einer positiven Preisentwicklung auszugehen, gab sich die Kennerin des internationalen Milchmarktes in Mondsee zuversichtlich, allerdings nicht ohne die einschränkende Anmerkung, dass das Milchangebot saisonal bedingt ab November wieder steigen wird, und die Lage der Weltwirtschaft nach wie vor nicht besonders ist. Zu viel Optimismus ist nach Ansicht etlicher Tagungsteilnehmer angesichts zunehmender kurzfristiger Marktschwankungen ohnehin nicht angebracht. So mancher erinnert sich noch daran, dass Andreas Gorn von der Agrarmarkt-Informationsgesellschaft (AMI) in Bonn beim AMA-Milchforum im November 2015 die Meinung vertreten hatte, beim Milchpreis “dürfte die Talsohle erreicht sein”. Bekanntlich war dies im Rückblick – vorsichtig formuliert – nicht wirklich zutreffend. Die von der EU-Kommission heuer nach mühsamen Verhandlungen auf den Weg gebrachten Maßnahmen für eine Verringerung des Mengendrucks auf dem Milchmarkt – z. B. durch einen finanziellen Anreiz zur Reduktion der Anlieferung (14 Cent/kg) – wertet die VÖM als ein durchaus geeignetes Steuerungsinstrument. Aktuell kämen die Maßnahmen aber zu spät. Solche Beschlüsse müssten gewissermaßen auf Vorrat gefasst und bei Bedarf “auf Knopfdruck umgesetzt werden”, lautet ein dringender Wunsch an die Politik. Ähnlich sieht das der Vorsitzende des Milchausschusses in der Landwirtschaftskammer Österreich und Präsident der LK Vorarlberg, Josef Moosbrugger. Er hält es für richtig, “jene zu belohnen, die sich vernünftig verhalten”. Für den Präsidenten der LK Oberösterreich, Franz Reisecker, ist die Mengenreduktion “ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Wertschöpfung in der Milchwirtschaft”.
Höherer Milchpreis als in Deutschland
Österreichs Milchwirtschaft hat im ersten Jahr nach Auslaufen der Milchquotenregelung aus Sicht der Milchverarbeiter den “Härtetest so recht und schlecht bestanden”. Der Preisverfall habe zwar zu einer weiteren Verschärfung der Einkommenssituation bei den Milchbauern geführt. Laut Petschar ist es den österreichischen Molkereien und Käsereien aber wenigstens “gelungen, die Preisrückgänge abzufedern”. Nach VÖM-Angaben kam der Preis in den ersten sieben Monaten 2016 bei netto 28,64 Cent/kg (für konventionell erzeugte Milch mit natürlichen Inhaltsstoffen, ohne Zuschläge) zu liegen – im Vergleichszeitraum zum Vorjahr minus 6,7 Prozent. Der VÖM-Präsident, im Hauptberuf Geschäftsführer der Kärntnermilch-Genossenschaft, weist darauf hin, dass der Bauernmilchpreis trotz struktureller Nachteile in Österreich “EU-weit im Spitzenfeld” gehalten werden konnte. Ein Vergleich mit Deutschland für 2015 und heuer zeige einen “deutlichen Preisabstand von mehreren Cent je kg. Das ergebe für die österreichischen Milchbauern einen Mehrerlös beim Milchgeld von mehr als 100 Mio. Euro im Jahr.
Rolle des Lebensmitteleinzelhandels: Spitzenqualität besser bezahlen
VÖM-Präsident Petschar nimmt bezüglich der künftigen Preisentwicklung vor allem Handel und Gastronomie in die Pflicht. Diese Partner in der Wertschöpfungskette müssten die hohe Qualität, die Österreichs Milchwirtschaft anbiete, durch bessere Preise entsprechend abgelten. Insbesondere der Lebensmitteleinzelhandel spiele eine wichtige Rolle bei der Auswahl jener Produkte, die in die Regalen kommen, z. B. (keine) ausländische Butter “nur, weil die um ein paar Cent billiger ist”.
Franz Gebhart