Die Landwirtschaft hat in unserem östlichen Nachbarland Ungarn einen hohen Stellenwert. Gut 58 Prozent der Landesfläche werden agrarisch genutzt. Die regierende rechtskonservative Fidesz-Partei unter Ministerpräsident Viktor Orban will die Produktivität ihrer Agrarbranche weiter steigern. Konkret soll sie bis 2030 um das Eineinhalbfache wachsen und einen Exportwert von 15 Mrd. Euro einbringen (+50 %). Das lässt man sich in Budapest auch einiges kosten, wie Agrarminister István Nagy im Frühjahr erklärte: 2023 wurden umgerechnet 3,4 Mrd. Euro an Subventionen an Ungarns Landwirte ausbezahlt.
Wenig verwunderlich, dass Ungarn eine „bäuerlich orientierte Landwirtschaft“ (neben Eindämmung der Migration und einer „leistungsorientierten Erweiterungspolitik“) als eine ihrer sieben Schwerpunkte für ihre derzeitige EU-Ratspräsidentschaft formulierte. Den noch bis zum Jahreswechsel andauernden EU-Vorsitz nahm Ungarns Botschafterin in Österreich, Edit Szilágyiné Bátorfi, nun zum Anlass, um zu einer Podiumsdiskussion in die Ungarische Botschaft in der Bankgasse in Wien zu laden. Dort debattierten LK Burgenland- Präsident Nikolaus Berlakovich und Johannes Fankhauser, Sektionschef Landwirtschaft im Agrarministerium, mit Oszkár Ökrös, Ungarns Vize-Staatssekretär für internationale Beziehungen im Landwirtschaftsressort, über die Wettbewerbsfähigkeit und die Perspektiven der EU-Landwirtschaft.
Belastung der Bauern „von außen und innen“
„Unsere Ratspräsidentschaft fällt in eine schwere Zeit, speziell was den Agrarsektor betrifft“, meinte Ökrös eingangs. Er betonte weiters, dass sich seine Regierung auf nationaler Ebene schon seit Jahren um die Bauern bemühe: „Seit 2010 sind wir in der Regierung. Seit damals ist das Bruttoeinkommen unserer Landwirte um zwölf Prozent gestiegen.“
Oszkár Ökrös: „Bauern müssen Auflagen erfüllen und zugleich mit Drittstaaten konkurrieren, die solche nicht haben.“
Derzeit aber sehen sich Ungarns Bauern in der EU mit „Gefahren von außen und innen“ konfrontiert, die es „auszugleichen“ gelte, so Ökrös: „Sie müssen Produktionsauflagen erfüllen und zugleich mit Drittstaaten konkurrieren, die solche nicht haben.“ Hier stimmte auch Nikolaus Berlakovich zu. Der Burgenländer ist seit Kurzem Vizepräsident der EU-Dachorganisation der Bauernverbände COPA. „Ungarn hat eine besondere Position in der EU, aber hier werden wir gerne unterstützen.“ Die massiven Bauernproteste heuer hätten gezeigt, dass es eine „bauernorientierte Agrarpolitik“ brauche.
EU-Erweiterung ohne Ukraine
Einen möglichen Lösungsansatz macht Oszkár Ökrös in einer zeitnahen EU-Erweiterung am Westbalkan aus. „Das ist eine Priorität unserer beiden Länder“, hielt er fest. Damit wäre dem Ungarn zufolge nämlich auch den Bauern geholfen. Noch seien die Staaten am Westbalkan zwar Drittländer, aber faktisch schon Teil des europäischen Marktes, ohne aber die strengen Auflagen einhalten zu müssen. Gefragt, ob all dies auch für die Ukraine gelte, die seit heuer ebenso einen offiziellen Beitrittskandidatenstatus habe, meinte Nikolaus Berlakovich: „Aus Sicht der COPA ist ein Beitritt der Ukraine in die EU schwer vorstellbar, zumal die Finanzierungsfrage noch völlig offen ist.“ Eine Annäherung könne demnach nur schrittweise erfolgen. Bis dahin bestehe noch „Diskussionsbedarf“.
Gelebte Renaturierung
Allen Diskutanten in der Botschaft ein Dorn im Auge schien das im August in Kraft getretene Renaturierungsgesetz. Den übergeordneten Green Deal wollen die Ungarn ebenfalls noch unter ihrer Präsidentschaft zum Thema machen. Dabei habe man nichts gegen Naturschutz einzuwenden, im Gegenteil. „Der grenzüberschreitende Nationalpark Neusiedler See- Seewinkel zeigt: Wir renaturieren seit Jahrzehnten“, erklärte etwa Berlakovich. Tatsächlich besteht das 300 Quadratkilometer große Naturschutzgebiet in seiner jetzigen Form schon seit 30 Jahren, nämlich seit 1994. Ungarn stellte gut zwei Drittel der Fläche auf seinem Staatsgebiet sogar schon drei Jahre davor unter Schutz. Seither werden grenzüberschreitende Monitoring- Maßnahmen organisiert. Seit dem Jahr 2001 darf sich das Areal auch UNESCO-Weltnaturerbe nennen.
Auch Sektionschef Johannes Fankhauser goutiert derartige Projekte, merkte im Hinblick auf die Brüsseler Renaturierungspläne jedoch an: „Zuletzt hatte man den Eindruck, manche Politiker wollen aus ganz Europa einen Nationalpark machen.“ Und Ungarns Agrarvertreter ergänzte: „Ja, der Klimawandel stellt uns vor große Herausforderungen. Eine Anpassung daran darf aber nicht auf Kosten der Wirtschaftlichkeit erfolgen.“
Zahlreiche Forderungen für die neue GAP
Unisono einer Meinung waren alle Diskutanten, dass es für zunehmende Auflagen für Bauern auch entsprechend mehr Geld in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) brauche. Daher plant Ungarn auch noch in dieser Periode, die GAP-Pläne für die Zeit nach 2027 aufs Tapet zu bringen. „Es geht uns nicht um Revolution, sondern um Evolution der GAP“, formulierte es Ökrös salopp. Fankhauser pflichtete ihm bei und nannte Stabilität als „Schlüssel für eine funktionierende Agrarpolitik“. Dennoch werde es etwa ein praxisorientiertes Kontrollwesen brauchen. „Bauern müssen mit am Verhandlungstisch sitzen“, brachte es der Agrarbeamte auf den Punkt.
Diesbezüglich scheinen Ungarns Landwirtschaftsvertreter wohl Wort zu halten, wie eine Recherche des Online- Mediums „Table-Briefings“ zeigt. Der Redaktion liegt ein Erklärungsentwurf des EU-Agrarministerrats vor, der bei dessen nächstem Treffen schon kommende Woche beschlossen werden könnte. Darin bekennen sich die Agrarminister zu den zwei Säulen der bestehenden GAP als unabhängiges Förderinstrument der EU. Zugleich fordern sie „mehr Flexibilität und weniger bürokratische Hürden“ ein.
- Bildquellen -
- Podiumsdiskussion: BZ/Wieltsch
- Ungarische Graurinder: FOTO: SALPARADIS - STOCK.ADOBE.COM