„Es gibt kein Problem, das zu klein ist, um sich Hilfe und Unterstützung zu holen“

Seit 2022 gibt es in Oberösterreich die Beratungsstelle „Lebensqualität Bauernhof“. Dort bekommen Bäuerinnen und Bauern Hilfe bei psychosozialen Konflikten. 280 Beratungen waren es im Vorjahr. Im Interview erzählen die Beraterinnen Karoline Hinterreither und Maria Mühlböck über die Konflikte und wie sie sich bewältigen oder bestenfalls vermeiden lassen.

Die Beraterinnen von Lebensqualität Bauernhof hören zu, verstehen und helfen zu strukturieren und Lösungen für Konflikte zu finden. Karoline Hinterreither (l.) und Maria Mühlböck sind zwei der oberösterreichischen Beraterinnen.

Wenn Menschen bei Ihnen anrufen, ist die größte Hürde schon geschafft, oder?

HINTERREITHER: Ja, wenn der Griff zum Hörer getan ist, wurde von den Betroffenen schon ganz viel Mut aufgebracht. Hilfe in Anspruch zu nehmen ist für viele nicht leicht.

Was bewegt Menschen, bei Ihnen anzurufen?

HINTERREITHER: Oft ist da leider schon vieles passiert. Wenn der Leidensdruck so hoch ist, dass man keinen Ausweg mehr fin­det, dann holt man sich Hilfe. Es gibt aber auch die anderen Fälle, wenn also Menschen schon, bevor es Konflikte gibt, anrufen, um zum Beispiel eine Hofübergabe gut vorzubereiten.

Was kommt öfters vor?

HINTERREITHER: Leider ersteres.

Wie geht es den Anrufern?

HINTERREITHER: Sie sind sehr emotional, oft auch nicht handlungsfähig und in einem Ohnmachtsgefühl gefangen.

Was passiert dann?

HINTERREITHER: Dann erzählen sie einmal und wir hören zu. Im Gespräch versuchen wir andere Blickwinkel zu geben oder einfach einmal alles zu sortieren. Da ist oft ein Durcheinander in den Menschen. Durch das Reden kommt Klarheit in die Konflikte.

Wann fangen denn Konflikte an?

HINTERREITHER: Meistens wenn irgendwelche Sachen unausgesprochen bleiben. Und das setzt sich dann in gegenseitigen Vorwürfen fort, obwohl eigentlich gar keine böse Absicht dahinter steht.

Was ist das spezifische bei Konflikten auf bäuerlichen Höfen?

HINTERREITHER: Die Höfe sind meist Familienbetriebe, wo man eng zusammenar­beitet und zusammenlebt. Familie und Beruf vermischen sich. Die Menschen auf den Höfen haben mehrere Rollen, z. B. Betriebsführer und Sohn. Durch diese Nähe von Fa­milie und Beruf ergeben sich Rollenkonflikte.

MÜHLBÖCK: Das Landleben spielt hier auch eine Rolle. Da gibt es die Angst, das im Dorf über einen geredet wird. Vielleicht ist auch das Durchhalten etwas bäuerliches. Man erträgt schon viel. Oft gibt es gar kein Bewusstsein, dass man in einer schwierigen Situation nicht verharren muss, sondern auch wieder rauskommen kann. Wenn Bäuerinnen oder Bauern zum Beispiel auf Reha sind und mit anderen Berufskollegen reden, wird ih­nen die eigene Situation erst oft richtig bewusst. Und dann rufen sie bei uns an.

Was wird am häufigsten angesprochen? HINTERREITHER: An erster Stelle stehen Ge­nerationenkonflikte, gefolgt von Konflikten in der Partnerschaft oder bei der Hofübergabe. Begleitet werden diese Probleme leider auch von Überforderung, Gewalt oder Alkohol.

Bleiben wir bei den Generationenkonflikten. Was sind die Ursachen dafür?

HINTERREITHER: Unterschiedliche Meinungen treffen aufeinander…

MÜHLBÖCK: …und Werte, ganz unterschiedliche Wertvorstellungen gibt es da.

Inwiefern?

MÜHLBÖCK: Zum Beispiel bei der Einstellung zur Arbeit. Ganz klassisch ist
etwa, dass die Altbauern nur die Arbeit kennen und sich wahnsinnig ärgern können, wenn die Schwiegertochter einmal im Liegestuhl liegt. Die Schwiegertochter wiederum hat andere Wertvorstellungen und ihr sind Freizeit und soziale Beziehungen auch wichtig.

Wie könnte man solche Konflikte vermeiden?

HINTERREITHER: Man könnte zum Beispiel unterschiedliche Werte einfach nebeneinander stehen lassen dass der eine es so macht und der andere eben anders.

Oder versuchen, in Lösungen und nicht in Problemen zu denken. Dass man sich einmal überlegt, was gut läuft. Da gibt es ganz viel, aber das wird oft in den Hintergrund gedrängt. Leichter ist auch neues anzufangen statt altes aufzuhören. Das heißt zu sagen, wie man es gerne hätte und nicht wie man es nicht haben will.

Wenn man die Menschen fragt, was ihr Ziel ist, dann sagen viele „Ich will einfach nur meine Ruhe“. Und da kommt dann raus, dass eigentlich alle das gleiche wollen. Und das ist auch schön. Es will ja keiner dem anderen etwas Böses.

MÜHLBÖCK: Dafür ist natürlich die Kommunikation ganz wichtig. Zum Beispiel einen Wunsch zu formulieren anstatt einen Vorwurf zu machen. Also nicht zu sagen „du hast da nicht ausgemistet“, sondern „mir ist wichtig, dass es sauber ist“. Wenn man mehr über sich redet als nur Du-Botschaften zu senden, kann man schon ein bisschen Wind aus den Segeln nehmen.

Auch die Wertschätzung ist ein großes Thema. Die ältere Generation sagt ganz oft, dass sie sich und ihre Arbeit nicht wertgeschätzt fühlt und vergisst dabei aber die junge Generation zu fragen, wie sie es haben möchte. Oft wird von der älteren Generation etwas gemacht und die Jungen bedanken sich nicht, weil sie gar nicht wollten, dass es gemacht wird. So entstehen dann die Konflikte.

Was kann man da konkret tun?

HINTERREITHER: Miteinander reden und abstimmen. Aber nicht beim Essen, son­dern bewusst bei einer Arbeitsbesprechung.

Lassen sich auf einem Hof berufliche und private Angelegenheiten überhaupt trennen?

HINTERREITHER: Ja, indem man jedem Bereich seinen Raum gibt. Dazu gehört auch arbeitsfreie Zeiten zu schaffen oder sich eine „Paarzeit“ zu nehmen.

Und wenn die Fronten zum Beispiel zwischen Ehepartnern verhärtet sind, also nichts mehr geht?

MÜHLBÖCK: Wir hatten im vorigen November öfters das Thema Scheidung. Der Leidensdruck ist da schon sehr hoch.

HINTERREITHER: Das lange Leiden
und Ertragen ist aber auch nicht gut und richtig. Je früher man ansetzt, desto leichter lassen sich Konflikte lösen. Das gilt generell. Es gibt kein Problem, das zu klein
ist, um sich Unterstützung und Hilfe zu holen.

Rufen mehr Männer oder mehr Frauen bei Ihnen an?

MÜHLBÖCK: Zwei Drittel sind Frauen, ein Drittel Männer.

Gibt es Unterschiede bei den Konflikten?

HINTERREITHER: Nein, eigentlich nicht.

MÜHLBÖCK: Wo es Unterschiede gibt, ist in der Art der Kommunikation. Männer tun sich schwerer, über Gefühle zu reden. Sie haben dafür weniger Worte.

HINTERREITHER: Nach unseren Gesprächen sagen die Männer dann aber immer, dass das Reden eigentlich ganz gut war.

Sie sind schon lange in der psychosozialen Beratung tätig. Was hat sich verändert?

MÜHLBÖCK: Psychosoziale Konflikte sind nicht mehr so ein Tabuthema. Die Menschen sind früher bereit, über Konflikte zu reden. Und diese Bereitschaft ist die Grundlage, dass sich etwas verändern kann.

Was können Sie bäuerlichen Familien für das neue Jahr mitgeben, um Konflikte zu vermeiden oder zumindest zu verringern?

HINTERREITHER: Auf jeden Fall viel miteinander reden. Die eigenen Bedürfnisse und Befindlichkeiten äußern und geduldig sein mit den anderen und mit sich selbst.

MÜHLBÖCK: Kleine Schritte gehen. Der große Brocken scheint oft unbezwingbar. Wenn man zu weit in die Zukunft denkt, kommt automatisch die Zukunftsangst. In kleinen Schritten zu planen ist eine gute Möglichkeit, den Überblick zu behalten und trotzdem eine Veränderung zu bewirken.

HINTERREITHER: … und sich selbst loben darf auch mal sein.

Die Telefonhotline der beratungsstelle „Lebensqualität Bauernhof“

Gelingt der Schritt, den Telefonhörer in die Hand zu nehmen, ist das eine erste spürbare Erleichterung in einer schwierigen Situation. Jemandem zu erzählen, wie es ist, ohne dafür verurteilt zu werden, ohne eine bessere Meinung zu bekommen, einfach gehört und verstanden zu werden. Die Beraterinnen bei Lebensqualität Bauernhof helfen zu strukturieren und schaffen Klarheit und Verständnis. Sehr viel lässt sich schon in ein oder zwei Gesprächen klären.

Das Beratungsangebot ist kostenfrei, auf Wunsch anonym und unterliegt der Verschwiegenheitspflicht. Telefonhotline: 050/69 02 18 00, Montag bis Freitag, jeweils 8.30 bis 12 Uhr.

Wenn es weiteren oder intensiveren Bedarf gibt, wird von den Beraterinnen auf Vernetzungspartner hingewiesen: Für eine Mediation zu „hofkonflikt.at“, die auch direkt auf die Höfe kommen, für längerfristigere Begleitung bei psychischer Belastung an die Beratungsstelle „BeziehungLeben“ oder bei Ausfall einer Arbeitskraft an die soziale Betriebshilfe des Maschinenrings. Bei fehlenden Hofnachfolgern bietet die „Perspektive Landwirtschaft“ die Möglichkeit, sich mit außerfamiliären Hofübernehmern zu vernetzen. Das österreichweite „bäuerliche Sorgentelefon“ steht ebenso anonym für telefonische Entlastungsgespräche zur Verfügung.

- Bildquellen -

  • LQB Hinterreither Und Mühlböck (4): BauernZeitung
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AUTORAnni Pichler
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