BauernZeitung: Die Wintertagung findet heuer zum 70. Mal statt. Vorweg: Was kennzeichnet dieses Forum seit Jahrzehnten?
Mayrhofer: Strategische Themen werden seit 70 Jahren offen zur Debatte gestellt. In den ersten Jahren der Wintertagung galt es, Mangel zu bekämpfen. Danach haben sich die Vorzeichen massiv geändert. Es kam die Zeit der Industrialisierung und auch Überproduktion in der Landwirtschaft samt deren negativen Effekten. Als Antwort entstand daraus die ökosoziale Idee. Seit dem EU-Beitritt hat Österreichs Landwirtschaft den Weg in offene Märkte gefunden. Die Globalisierung – wie wir sie kennen – hat ihren Zenit wahrscheinlich erreicht, aber mit den Bedrohungen durch den Klimawandel und den Bedingungen von Resilienz und Sicherheit angesichts von Krieg und Rohstoffknappheiten stehen neue Herausforderungen vor der Türe. Was aber die Konstanten über die 70 Jahre betrifft: Die Themen spiegeln die jeweils aktuellen Diskussionen wider, liegen stets am Puls der Zeit und greifen künftige Entwicklungen auf. Wir argumentieren auf Basis von Fakten und das für manche vielleicht auch mit zu wenig Emotion. Aber Nachhaltigkeit kann nur auf Basis aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse und technischer Entwicklungen basieren. Harte, aber faire Debatten zwischen den unterschiedlichen Interessensgruppen, also zwischen Bauern, den Vertretern vor- und nachgelagerter Bereiche, Wissenschaftlern sowie Konsumenten, zeichnet die Wintertagung aus. Wir sind auch oft unbequem, aber dass in alle Richtungen.
„Selber produzieren statt Krisen importieren“ lautet heuer das Generalthema. Worin liegt die besondere Brisanz?
Schon 2014 haben wir in unserem Magazin „denk.stoff“ des Ökosozialen Forum auf die strategische Abhängigkeit Europas durch russisches Gas hingewiesen. Das wurde damals abgetan und man hat, als hätte die Besetzung der Krim keine weitreichenderen Folgen in Europa, weiter auf fossiles Gas gesetzt und manche auch gegen Biogas und Strom auf Biomassebasis mobil gemacht. Das heurige Tagungsthema liegt also quasi auf der Hand.
Wir haben Krieg in Europa, die Preise für Energie und Rohstoffe explodieren, das Leben und das Produzieren wird teuer. Wir sind überzeugt, dass wir bäuerliche landwirtschaftliche Produktion in Österreich und in Europa brauchen. Denn diese ist im Vergleich zu großen industriellen Betrieben resilienter aufgestellt, dank besserer Eigenkapitalausstattung, natürlichem Wachstum und mehreren Standbeinen auf gemischten Betrieben. Was kann man daraus lernen? Wir sehen jetzt bei Medikamenten, was es heißt, keine Produktion in Europa zu haben. Das können wir uns bei Lebensmitteln – wie auch bei Medikamenten – nicht leisten. Außerdem werden Lebensmittel bei uns viel ökologischer und mit höheren Standards beim Arbeitsschutz und beim Tierwohl erzeugt. Und regionale Produktion ist schon aufgrund der Transportkosten und -emissionen gescheit. Überall dort, wo wir auf Produkte angewiesen sind, die von einem einzigen Anbieter kommen, machen wir uns erpressbar oder verwundbar.
Worunter stöhnen die Bauern derzeit besonders?
Grundsätzlich war 2022 für viele Bäuerinnen und Bauern ein gutes Jahr. Jedoch ist die Unzufriedenheit mit ökologischen Restriktionen zu spüren. Auch die Sorge um die kommende Ernte ist groß, weil die Preise für landwirtschaftliche Produkte gerade wieder im Sinken sind. Die Kosten der Produktion fallen, jedoch aus Erfahrung im besten Fall langsamer. Das hängt wie ein Damoklesschwert über den Betrieben. Dazu kommen neue Auflagen für die Produktion als Herausforderung, vor allem dann, wenn in immer kürzeren Intervallen Änderungen kommen und durch den Aufwand die Kosten für das Produkt steigen, aber die Konsumenten, die Gastro oder der Handel nicht bereit sind, das abzudecken.
Wir dürfen aber bei allen Debatten um Aufzeichnungspflichten oder auch um Pflanzenschutz eines nicht vergessen: Landwirtschaft ist kein Selbstzweck. Sie wird betrieben, um Menschen zu ernähren und mit Wärme und Energie zu versorgen. Wenn wir das von bäuerlichen Betrieben erwarten, brauchen diese die Techniken, das Know-how und auch die finanzielle Sicherheit, Nachhaltigkeit in ökologischer, sozialer und ökonomischer Dimension dauerhaft zu leben.
Die Besetzung der Tagung mit Referenten ist wie immer hochkarätig. Auf welche Experten sind Sie besonders stolz, dass Sie sie als Vortragende gewinnen konnten?
Wir haben jedes Jahr mehr als hundert Expertinnen und Experten auf den Podien. Stolz bin ich auf jede und jeden, weil sie gemeinsam die Breite der Tagung abbilden – vom Praktiker bis zum strategischen Innovationsberater. An den Vorbereitungen und der Zusammenstellung der Programme sind rund zweihundert Fachexpertinnen und -experten eingebunden. Beim diesjährigen agrarpolitischen Auftakttag freue ich mich auf Martin Frick, den Direktor des Büros des UN-Welternährungsprogramms für Deutschland, Österreich und Liechtenstein, und auf Michael Obersteiner von der Universität Oxford, weil sie beide eine internationale Perspektive in die Diskussion einbringen werden. Wir haben den Generaldirektor Landwirtschaft in der EU-Kommission in Brüssel, Wolfgang Burtscher, und Christian Holzleitner von der Generaldirektion Klimapolitik an Bord, um die europäischen Entwicklungen zu beleuchten. Und natürlich haben wir wieder österreichische Minister bei der Tagung dabei, diesmal Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig und Verteidigungsministerin Klaudia Tanner. Sie diskutieren mit Vertreterinnen und Vertretern aus Industrie, Verwaltung und natürlich mit den Bäuerinnen und Bauern. Das sollte man sich nicht entgehen lassen.
Das Stichwort Kreislaufwirtschaft zieht sich quer durch das Programm. Was kann die Landwirtschaft besonders gut, wo gilt es, ihr noch auf die Sprünge zu helfen?
Die Landwirtschaft hat in einer Kreislaufwirtschaft enormes Potential. Das haben wir noch nicht annähernd gehoben. Wir fangen auch langsam erst an, die Möglichkeiten zu sehen. Seit rund zwei Jahren arbeiten wir an einem großen Projekt, um die aktuellen Forschungsergebnisse auf diesem Gebiet zusammenzutragen. Da sind enorm spannende Sachen dabei, etwa die Nutzung von Bakterien als Ressourcen, die Herstellung von Batteriegehäusen aus Holzverbundwerkstoffen oder das Potenzial von Nebenprodukten als Futter für Kühe bis hin zur Entwicklung nachhaltigerer, multifunktionaler Düngemittel für die Versorgung mit Phosphor und Eisen, die nicht auf fossil basierten Rohstoffen basieren.
Die Landwirtschaft hat die Ressourcen, wir müssen sie nur gut und nachhaltig nutzen. Es gibt schon vieles, aber um die Praxistauglichkeit abzuklären, brauchen wir mehr Forschung und wir müssen Verfahren ausprobieren, die dann vielleicht auch nicht so gut funktionieren. Da könnte durchaus mehr Geld in die Hand genommen werden, um hier schneller voranzukommen. Zudem müssen wir unsere Zusammenarbeit – sowohl zwischen den Bauern selbst als auch zwischen den unterschiedlichen Wirtschafts- und Wissenschaftsbranchen – fördern und Synergien nutzen. Mit Insellösungen oder kleineren Adaptierungen ist es längst nicht mehr getan. Wir müssen nachhaltig mit unseren begrenzt verfügbaren Rohstoffen ausreichend Lebensmittel produzieren und Nachhaltigkeit braucht ein gesundes Fundament.
Sie selbst organisieren die Wintertagung seit zehn Jahren. Was ist die besondere Herausforderung dabei?
Stimmt, das ist meine zehnte Wintertagung im Ökosozialen Forum. Die Wintertagung ist seither gewachsen. Inhaltlich, in der Vielfalt der Fachtag, aber auch in der Anzahl der TeilnehmerInnen. Zwischendurch waren wir aufgrund der Pandemie gezwungen, unser Programm online anzubieten. Das ist aber gleichzeitig eine Chance für die kommenden Jahre, die Wintertagung mehr Menschen zugänglich zu machen. Es gibt so viele interessante Fragen und Themen und wir haben aber „nur“ zehn Tage, um diese zu beantworten oder zu behandeln. Dabei müssen wir immer auch streichen und einkürzen, damit noch Zeit für die Diskussion bleibt. Das ist mir besonders wichtig. Heuer wird die Tagung übrigens hybrid stattfinden. Erstmals sind also Teilnehmer im Saal anwesend, gleichzeitig sind andere zuhause auf dem Bildschirm dabei. Das ist ein großer technischer Aufwand, der entsprechend mit Kosten verbunden ist.
Welches Resümee würden Sie am Ende der Tagung gerne ziehen?
Ich wünsche mir, dass es auch in diesem Jahr gelingt, dem hohen Anspruch der Tagung gerecht zu werden. Wir wollen, dass Menschen zusammenkommen und miteinander diskutieren – das ist in den vergangenen beiden Jahren durch die Pandemie nicht so leicht gewesen. Ich wünsche mir, dass wir Neues lernen, uns Zeit nehmen zuzuhören, auch neue Sichtweisen kennenzulernen und dass auch neue Kontakte entstehen.
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- : Ökosoziales Forum