Im Juli dieses Jahres ließ die EU-Kommission mit gleich zwei Verordnungsentwürfen zu heiklen Themen aufhorchen. Seither gehen medial die Wogen bezüglich EU-Saatgutverordnung und Novellierung der Rechtsvorschriften für genetisch veränderte Organismen (GVO) hoch. Eine dieser Tage in der Austria Presse Agentur (APA) abgehaltene Expertendiskussion zeigt jedoch, der Diskurs rund um die künftige Zulassung von mittels neuen genomischen Techniken, kurz NGT, gezüchteten Pflanzen ändert sich. Auch in der traditionellen „Anti-Gentechnik- Hochburg“ Österreich.

Wissenschaftlicher Konsens

Pflanzenzüchter erwarten sich vom CRISPR/Cas-Verfahren bekanntermaßen Nutzpflanzen, die durch höhere Trockenheits- oder Krankheitsresistenz sowie höhere Flächenerträge bestechen. Während die heimische Politik einer Aufweichung der bestehenden gesetzlichen Vorgaben äußerst skeptisch begegnet, schilderte Ortrun Mittelsten Scheid vom Gregor-Mendel-Institut für molekulare Pflanzenbiologie der Akademie der Wissenschaften im APA-Gespräch, dass sich die Technologie längst bewährt habe.

Mittelsten Scheid: „Ein weiteres Werkzeug, das den züchterischen Werkzeugkasten erweitert.“

Das „Risiko für unerwartete Effekte“ sei bei herkömmlichen Züchtungsmethoden „viel größer“ als beim gezielten Einsatz der Genschere. Gewünschte Mutationen treten nicht durch Zufall auf, wie bei der als konventionell deklarierten Mutagenese- Züchtung, sondern passieren durch gezielte Induktion. Rund 700 Anwendungsbeispiele in der Pflanzentechnologie gebe es bereits, darunter etwa eine Weizensorte mit Mehltauresistenz, berichtete Mittelsten Scheid. Für sie handelt es sich um „ein weiteres Werkzeug, das den züchterischen Werkzeugkasten erweitert“. Dessen Sicherheit bezeichnete sie als „wissenschaftlichen Konsens“.

Die Gen-Editierung mittels CRISPR/ Cas-Verfahren wurde 2011 vorgestellt. 2020 erhielten deren Entwickler dafür den Nobelpreis für Chemie. Mittels „Genschere“ können Züchter gezielt das Erbgut einer Pflanze verändern. Artfremde Gene werden jedoch, ganz im Gegensatz zur klassischen Gentechnik, nicht eingebracht.

„Arge Sachen sind vom Tisch“

Der ebenfalls aufs Podium gebetene Molekularbiologe und Kabarettist Martin Moder meinte, es sei gegenüber der Anfangsphase der NGT bereits ein Wandel in der Diskussion zu erkennen. „Horrorszenarien“ wie jene, dass sich Mutationen aus GVO in der Umwelt ausbreiten oder Produkte daraus krebserregend seien, würden in Gesprächen rund um CRISPR/Cas mehr und mehr durch Fragen zu Patenten auf GVO und Werten wie Wahlfreiheit verdrängt. „Die argen Sachen sind vom Tisch“, zeigte sich Moder in der Debatte mit seinem Kontrahenten Jens Karg von der ARGE Gentechnik-frei erfreut.

Moder: „Patente sind bei allen Züchtungsmethoden Thema.“

Karg wollte seine Kritik am Kommissionsvorschlag auch keinesfalls als „technikfeindlich“ verstanden wissen. Ihm gehe es um Schutz „für die innovativste Form der Landwirtschaft, die Biolandwirtschaft“. Den Biobauern werfe die Kommission nämlich „Knüppel zwischen die Beine“, obwohl diese den „boomenden“ gentechnikfreien Markt bedienen, so Karg. Die ARGE Gentechnik-frei setze sich deshalb für ein Festhalten an einer Kennzeichnung als GVO sowie „wirksame Koexistenzregeln“ ein.
Auch Patente auf Saatgut lehne man kategorisch ab. „Diese sind aber bei allen Züchtungsmethoden Thema“, wie Molekularbiologie Moder einwarf.

Wertediskussion gefordert

Wünschenswert wäre laut Karg auch eine intensivere Risikoforschung zu möglichen Auswirkungen auf die Ökologie, allerdings „aus staatlichen Mitteln“. Ulrike Felt vom Institut für Wissenschafts- und Technikforschung der Universität Wien lieferte zu dieser Skepsis folgende Einschätzung. Viele Menschen hätten derzeit das Gefühl, dass ihnen durch Pläne zur Aufweichung von Kennzeichnungspflichten die Wahlfreiheit genommen werde. Und dass auch bei den neuen Überlegungen Marktinteressen im Vordergrund stünden. Laut Felt gehe es in der aktuellen Diskussion gar nicht darum, „ob Menschen Wissenschaft verstehen“. Es gehe um Werte.

Gros der Forschung passiert in China

Ortrun Mittelsten Scheid zeigte sich in Richtung ARGE Gentechnik-frei erfreut, dass „über den wissenschaftlichen Standpunkt nicht mehr diskutiert werden muss“ und ersuchte trotz aller Skepsis um keine kategorische Ablehnung. Denn während der derzeit geltende Rechtsrahmen in Österreich faktisch keine Beforschung des Verfahrens im Freiland zulasse, sehe es global ganz anders aus. So stammen von 815 bisher zur CRISPR-Technologie veröffentlichten Forschungsarbeiten 430 aus China. Sollte sich Österreich oder gar die EU gegen eine Anwendung von NGT entscheiden, werde man „über kurz oder lang wohl auf verbesserte Sorten und Know-how aus China angewiesen sein“, mahnte Mittelsten Scheid.

Tatsächlich haben sich etwa die USA, Brasilien, Australien und Russland bereits dazu durchgerungen, die Züchtung mittels neuen genomischen Techniken als konventionell zu bewerten und sie auch anzuwenden. Nichtsdestotrotz weiß auch die Molekularbiologin, dass es Regelungen für Patente braucht. „Dazu müssen wir zuerst damit arbeiten dürfen und entsprechende Sorten für die Landwirtschaft anbieten“, so Mittelsten Scheid.   

Die gesamte Diskussion steht als Aufzeichnung hier zur Verfügung.

- Bildquellen -

  • Getreide im Labor: NEW AFRICA - STOCK.ADOBE.COM
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AUTORClemens Wieltsch
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