Wenn zu Allerheiligen die Menschen die Gräber besuchen, so hat dies Tradition: In den östlichen Kirchen gab es schon seit Anfang des 4. Jahrhunderts das Allerheiligenfest. Die römische Kirche übernahm den Brauch, als im Jahre 609 Papst Bonifaz IV. das berühmte Pantheon „allen Heiligen“ weihte. Und schon bald darauf wurde der Feiertag auf den 1. November gelegt.
Zu Allerheiligen und Allerseelen steht also der Tod im Mittelpunkt der Betrachtung. Haben die Menschen bis ins 19. Jahrhundert noch um einen gnädigen und sanften Tod gebetet, der ihnen Zeit zur Vorbereitung auf den Tod und zum Abschiednehmen gab, so wünscht sich heute ein Großteil einen schnellen und plötzlichen Tod, der genau das nicht mehr zulässt. Die Kunst des Sterbens ist in unserer Kultur und unter den Bedingungen einer rationalen Welt mit Hochleistungsmedizin nur schwer zu erlernen. Was macht es uns heute so schwer, mit dem Tod und dem Sterben umzugehen? Die Gründe sind vielfältig. Zu den nachvollziehbaren Stichworten gehören: die religiöse Obdachlosigkeit macht es vielen schwer, an das Ende eines irdischen Lebens zu denken. Man muss nicht an Gott glauben, um mit der Frage nach dem Ende dieses Lebens umgehen zu können.
Aber an die Stelle der einstmals tragenden, bergenden und orientierenden religiösen Sprache und Symbole ist heute weitgehend Sprachlosigkeit getreten. Ein weiterer Grund für die Verdrängung von Tod und Sterben aus dem Leben ist sicher auch die Vorstellung, Medizin, Technik und Wissenschaft könnten den Menschen so weit optimieren, dass er tendenziell unsterblich ist. Es geht darum, die Kränkung im doppelten Sinn des Wortes zu beseitigen, dass wir biologisch einem Verfallsprozess unterliegen, der irgendwann mit dem Tod des Organismus endet.
Zu unseren Gräbern zählen auch die Kriegsgräber, die ständig mahnen und zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zwingen und so in die Zukunft wirken. Kriegsgräber sind Fragezeichen, auf die es nur eine Antwort gibt: Frieden. Viele leben heute noch in einer Zeit der Angst, der Gewalt, des Machtmissbrauches und des Terrors, sie erleben leider noch unglaubwürdig den Ruf nach Frieden. Am eindringlichsten und ehrlichsten jedoch mahnen wohl überall die zum Frieden, deren Licht des Lebens durch Krieg und Gewalt brutal ausgelöscht wurde.
Deshalb erfüllen uns heute an den Gräbern der toten Krieger nicht Gefühle der Distanz, sondern des Verstehens und der Mahnung. Wir verneigen uns in Respekt vor Freund und einstigem Feind. Der Tod hat sie auf den Friedhöfen friedlich vereint und viel schneller, als wir es schafften, alle Gegensätze ausgeglichen. Kriegsgräber bleiben Stätten der Mahnung. Sie sind ein Appell an das Leben, ein Appell an die Welt und die Zukunft: Kein Krieg mehr, kein gewaltsames Sterben mehr!