„Nicht anbiedernde Populisten wählen, die Bauern aufhetzen“

Ein Gespräch vor der Nationalratswahl mit ÖVP-Agrarsprecher und Bauernbund-Präsident Georg Strasser.

Strasser: „Der Schuh drückt bei zu viel Bürokratie. Unsere Antwort: Politik mit Hausverstand.“

BauernZeitung: Der Wahlkampf hatte zuletzt Pause. Wie geht es jetzt weiter?

STRASSER: Der große Zusammenhalt nach der Katastrophe ist für unser Land identitätsstiftend. Landwirte waren die ersten Helfer – bei der Feuerwehr, durch die Bereitstellung ihrer Maschinen oder durch Nachbarschaftshilfe. Ihnen gebührt größter Dank. Die Tage nach der Katastrophe haben dann deren volles Ausmaß gezeigt. Jetzt gilt: Wer schnell hilft, hilft doppelt. Für den Wiederaufbau hat die Bundesregierung den nationalen Katastrophenfonds auf eine Milliarde Euro aufgestockt und es gibt zudem 500 Millionen Euro an EU-Hilfen.

Was brauchen die vom Hochwasser betroffenen Bauern jetzt am nötigsten?

Die Ernte wird sich verzögern, weil viele Felder nicht befahrbar sind. Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig hat daher rasch eine unbürokratische Anpassung der ÖPUL-Fristen veranlasst, damit die Bauern nicht um ihre Umweltleistungen umfallen. Und sein Ministerium stellt neben 10 Millionen Euro Soforthilfe eine Milliarde Euro für noch mehr Hochwasserschutz bereit.

Welche Konsequenzen sind mittel- bis langfristig aus der Katastrophe zu ziehen, bei der Bodenversiegelung, bei Renaturierung und Klimaschutz?

Investitionen in den Hochwasserschutz sind Investitionen in den Schutz von Menschenleben. In Schutzdämme oder in die Wildbachverbauung ebenso wie in Renaturierungsprojekte, die im Einvernehmen mit allen Betroffenen umgesetzt werden. So wie im Vorarlberger Rheintal, wo grenzüberschreitend auf 26 Kilometern Flusslänge die Sicherheit für 300.000 Menschen erhöht wird. Klima- und Naturschutz muss immer gemeinsam mit den Betroffenen gemacht werden. Ein „über die Köpfe hinweg regieren“ macht da wenig Sinn. Daher haben wir uns auch gegen das überschießende Renaturierungsgesetz gewehrt. Bei dessen Umsetzung müssen nun die vielen Vorleistungen der Land- und Forstwirtschaft anerkannt und abgegolten werden. Somit ist klar: Wir Bäuerinnen und Bauern müssen uns beim Umweltschutz selber einbringen, wenn wir mitbestimmen wollen. Sonst gibt es rigorose Verbote wie etwa in den Niederlanden. Wir gehen in Österreich seit 30 Jahren mit dem Agrarumweltprogramm ÖPUL einen erfolgreichen Weg. Beim Bodenschutz ist es unser Ansatz, Ortskerne zu revitalisieren, statt auf die grüne Wiese zu bauen. Unser wertvolles Grün- und Ackerland sichert die Ernährung für alle Menschen in Österreich. Daher begrüßen wir den Beschluss zur österreichischen Bodenstrategie, der im Frühjahr gefasst wurde.

Was haben Sie über den Sommer und im intensiven Wahlkampf aus Ihren vielen Gesprächen mit den Landwirten mitgenommen?

Der Schuh drückt, wenn es um zu viel Bürokratie geht. Die Bauern sollen am Traktor und nicht am Schreibtisch sitzen. Deshalb fordern wir mehr Effizienz in der Verwaltung. Vorschriften brauchen ein Ablaufdatum und für jede neue Regulierung sollen zwei alte gestrichen werden, damit wir uns statt der Zettelwirtschaft wieder auf die Landwirtschaft konzentrieren können. 

Was hat im Rückblick die türkis-grüne Regierung erwirkt, wovon die Land- und Forstwirtschaft profitiert?

Wir haben vieles umgesetzt, bei dem andere nicht übers Reden hinausgekommen sind: von der Wertanpassung für ÖPUL und Ausgleichszulage über die Erhöhung der Invest-Förderobergrenze und mehr Geld für neue Stallbauten bis hin zur Wiedereinführung des Agrardiesels. Auch die Umstellung auf das rollierende Einheitswertverfahren und die Anhebung der Pauschalierungsgrenzen. Mit der Ökosozialen Steuerreform – der größten Steuerentlastung in der Zweiten Republik – haben wir eine CO2-Steuer-Rückerstattung für die Land- und Forstwirtschaft erwirkt. Gegen den Borkenkäfer und Sturmschäden wurde der Waldfonds geschaffen. Dotiert mit 450 Millionen Euro, soll daraus eine Wald-Milliarde werden. Auch die Herkunftskennzeichnung in der Gemeinschaftsverpflegung war eine langjährige Forderung des Bauernbundes. Sie wurde umgesetzt. Bei 2,2 Millionen Mahlzeiten täglich weiß man nun woher das Fleisch, die Milch und die Eier kommen. Ein echter Mehrwert, für Konsumenten und für uns Bauern.

Wie lauten Ihre Forderungen als Agrarsprecher der ÖVP an die nächste Regierung?

Wir brauchen weiterhin Planungssicherheit und Bürokratieabbau. Mit unserem Wahlprogramm haben wir einen Maßnahmenkatalog erstellt, um die Land- und Forstwirtschaft nachhaltig nach vorne zu bringen. Unsere wesentlichen Forderungen sind: Investitionssicherheit durch Klarheit, wie es mit dem Schweine-Vollspaltenboden weitergeht; dazu eine europäische Lösung für die Bedrohung durch den Wolf. Wir drängen weiterhin auf die Umsetzung des EGG, also des Biogasgesetzes.. Notwendig sind auch der weitere Ausbau der Transparenz bei Lebensmitteln, eine nachhaltige Beschaffung in öffentlichen Einrichtungen und Konkurrenzfähigkeit beim Pflanzenschutz. Und die zielgerichtete Unterstützung unserer vielen kleinen bäuerlichen Familienbetriebe in Österreich. Im Dialog mit der Gesellschaft braucht es mehr Aufklärung. Wir müssen ein realistisches Bild unserer Arbeit zeigen. Da sind wir auf einem guten Weg. Viele Jungbauern öffnen ihre Stalltüren und sind stolz auf ihren Beruf. Und wir haben zuletzt kritisiert, dass der Landwirtschaft in Schulbüchern zu wenig Platz eingeräumt wird. Auch wird das Bildungsministerium in der Schulbuchkommission darauf reagieren.

Welche Herausforderungen international kommen auf Österreichs Agrarpolitik in den nächsten fünf Jahren zu?

Einige in der EU meinen, weiter am geplanten Mercosur-Handelsabkommen basteln zu können. Da müssen wir weiter dagegenhalten. Natürlich müssen wir auch über die Ukraine sprechen. Deren EU-Beitritt ist in naher Zukunft und solange der Krieg tobt keine Option. Er würde auch unsere Agrarpolitik vor immense Herausforderungen stellen. Das EU-Parlament muss sich außerdem Gedanken über die Gemeinsame Agrarpolitik ab 2028 machen. Wir erwarten uns Kontinuität, keinen fundamentalen Bruch und bekennen uns zum Zwei-Säulen-Modell. Mehrleistungen der Bauern für Umweltschutz müssen abgegolten werden. Und es braucht Anreize, keine Verbote.

Der Bauernbund und seine Spitzenvertreter dienen anderen gerne als Reibebaum. Hauptvorwurf: Der Bauernbund sei einflussreich, zu mächtig. Wie sehr ist diese Missbilligung nicht auch eine Anerkennung für die Durchsetzungsstärke der Bauernanliegen?

Nur wenn wir Bauern geeint auftreten, können wir unser Gewicht in Verhandlungen gut einbringen und nutzen. So haben wir die CO2-Steuer-Rückvergütung bekommen oder auch den Agrardiesel. Wer uns schwächen will, sät Zwietracht. Daher appelliere ich, am 29. September die Stimme jener Partei zu geben, die für die Landwirte immer da war – und nicht anbiedernden Populisten, die uns bloß gegeneinander aufhetzen, aber keine Lösungen anbieten oder gar gegen die Bauern agieren.

Auch die ÖVP hat Vorbehalte: gegen FPÖ-Chef Herbert Kickl oder die grüne Ministerin Leonore Gewessler. Wofür ist der Bauernbund nach der Wahl nicht zu haben? 

Wir haben uns klar gegen eine Zusammenarbeit mit der FPÖ unter Kickl ausgesprochen. Mit seiner radikalen Gesinnung ist kein Staat zu machen. Außerdem haben FPÖ-Abgeordnete wiederholt gegen Bauernanliegen gestimmt. Leonore Gewessler hat beim Renaturierungsgesetz gezeigt, dass sie für die eigene Sache Vertrauens- und sogar Rechtsbruch begeht. Wir stehen für eine Politik mit Hausverstand, mit Vernunft, für Rechtschaffenheit.

Soll Norbert Totschnig weiter Landwirtschaftsminister bleiben?

Norbert Totschnig ist unser bäuerlicher Fixstarter in der Bundesregierung. Er kennt als Bauernsohn die Agrarpolitik in all ihren Facetten. Mit seinem Erfahrungsschatz ist er ein geschickter Verhandler. Er ist die beste Wahl für uns Bäuerinnen und Bauern.

Der Begriff „Schicksalswahl“ wird mittlerweile inflationär verwendet. Trifft dieser auf den 29. September zu? Warum sollten gerade Landwirte am Sonntag ihr demokratisches Recht nutzen?

In den nächsten fünf Jahren stehen Entscheidungen von immenser Tragweite an. Dabei dürfen wir uns nicht von Blendern am rechten oder linken Rand leiten lassen. Daher lautet meine große Bitte an alle Bäuerinnen und Bauern, von ihrem Stimmrecht Gebrauch zu machen. Damit sie in der kommenden Bundesregierung weiter gut vertreten werden.

- Bildquellen -

  • Georg Strasser: Bauernbund
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AUTORRed. BW
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