Dynamik rund um die Blauzungenkrankheit

Österreich hat seinen Status als „seuchenfrei“ aufgrund des Auftretens der Blauzungenkrankheit (BTV = Bluetongue Disease) in Vorarlberg und der Steiermark verloren. Tirols Landesveterinärdirektor Matthias Vill informiert über die aktuellen Entwicklungen.

Herr Landesveterinärdirektor, wie ist die Lage rund um die Blauzungenkrankheit in Tirol?

VILL: Den Status „Frei von Blauzunge“ hat Österreich mit vergangener Woche verloren. Das bewirkt neue Spielregeln im Tierverkehr. Aufgrund des akuten Geschehens sind diese Maßnahmen aber sehr dynamisch und können sich ändern, um sich neuen Bedingungen anzupassen.

Welche Regeln gilt es nun im Tierverkehr einzuhalten?

Nachdem sich Österreich entschlossen hat, denselben Status über das gesamte Bundesgebiet zu verhängen, ist der innerösterreichische Lebendtierverkehr ohne Einschränkung möglich. Im Tierverkehrsschein muss lediglich vermerkt werden, dass das Tier klinisch gesund ist. Das hat zur Folge, dass die Tiroler Verbände die nationale Kälbervermarktung aufrechterhalten. Derzeit gibt es keine Einschränkungen außerhalb des Lebendtierverkehrs, Milch- und Fleischverkehr können wie gehabt fortgeführt werden. 

Und außerhalb Österreichs?

Der Tierverkehr außerhalb von Österreich, für uns sind vor allem Deutschland, Italien und die Schweiz relevant, ist abhängig von bilateralen Abkommen zwischen den jeweiligen Staaten. Das sieht die EU-Tierseuchengesetzgebung so vor. 

Diese bilateralen Abkommen sind noch nicht ganz klar, wahrscheinlich werden sie eine Behandlung mit Repellentien, also Mittel für Mückenschutz, sowie eine Blutuntersuchung vorsehen. Es ist noch offen, ob diese Bedingungen für alle drei relevanten Staaten gelten oder ob es vielleicht sogar Erleichterungen gibt. Bis wir eine definitive Vorgabe von den jeweiligen Empfängerstaaten haben, sind wir gerüstet. 

Doch um einen gewissen Mehraufwand werden wir nicht herumkommen. Fakt ist, dass wir diese Dinge schnell regeln werden, sodass der Tierverkehr und die Vermarktung bestmöglich aufrechterhalten werden können. 

Wie kann man sein Vieh am besten vor einer Infektion schützen?

Aus anderen Regionen Europas wie Holland oder Norddeutschland wissen wir, dass das Infektionsgeschehen teilweise recht heftige klinische Erscheinungen mit sich bringt. Beim Rind bewirkt es einen massiven Milchleistungsabfall, bei  kleinen Wiederkäuern wie Schafen massive Krankheitserscheinungen und Todesfälle bis hin zu einer 25-prozentigen Sterblichkeitsrate. Aus diesem Gesichtspunkt und aus dem Sinne des Tierschutzes und der Hintanhaltung eigener wirtschaftlicher Schäden wird die Impfung angeraten. 

Wir sind in enger Abstimmung mit den Verbänden und der Landwirtschaftskammer Tirol, um die Abläufe zu klären und auf jegliche Änderung schnellstmöglich reagieren und nach außen kommunizieren zu können. 

Die Überlegung, ob geimpft wird oder nicht, sollte früh genug getroffen werden. Wenn das Erkrankungsgeschehen im Betrieb ist, ist die Impfung zu spät, um ihre Wirkung zu entfalten bzw. kann es gefährlich sein, in das Infektionsgeschehen einzugreifen.

Stehen Impfstoffe bereit?

Tirol hat bereits Impfstoff in großer Menge bestellt. Es ist derzeit schwer absehbar, wann der geliefert wird – doch hier gilt: Sobald er hier ist, ist er verfügbar und bis dahin stehen auch die Logistik und die Abwicklung der Impfung. 

Die Impfung ist freiwillig, der Tierbesitzer muss selbst entscheiden, ob er seine Tiere impfen lassen möchte. Der Impfstoff wird seitens des Landes zur Verfügung gestellt, sprich finanziert, die Tierarztkosten sind nach aktuellem Stand vom Landwirt zu tragen. Wichtig ist, dass die Impfung lediglich ein Mittel ist, um das Erkrankungsgeschehen anhand der Symptome zu lindern. Die Impfung ist kein hundertprozentiger Infektionsschutz und bietet keine Erleichterungen im Tierverkehr.

Was soll man tun, wenn im eigenen Stall Symptome auftreten?

Verdachtsfälle im eigenen Betrieb sind über den Betreuungstierarzt oder direkt beim Amtstierarzt zu melden. Im Falle eines konkreten Verdachts ergeht vorgehend eine Sperre. Die Probe wird untersucht und solange das Tier erkrankt ist bzw. die Probe bei Nachuntersuchungen positiv ist, bleibt dieses Einzeltier gesperrt. Der restliche Tierverkehr aus einem betroffenen Betrieb ist grundsätzlich möglich, schlimmstenfalls mit Blutuntersuchungen.

Wenn das Tier die Symptome überstanden hat, klinisch gesund ist und die Blutuntersuchungen wieder im negativen Befund aufzeigt, sind der Betrieb und das betroffene Tier wieder freigegeben.

Wie wird Österreich wieder „seuchenfrei“?

Natürlich wird Österreich diesen Status wieder anstreben. Erreichbar ist dieser nur, wenn über einen Zeitraum von 24 Monaten, also zwei Jahren, kein Fall in Österreich auftritt und man dies mit einem entsprechenden Überwachungsprogramm – stichprobenartigen Blutuntersuchungen über das gesamte Bundesgebiet – beweisen kann. Bis uns das gelingt, sind wir im Tierverkehr aufgrund des Blauzungeninfektionsgeschehens durchaus mit gewissen Maßnahmen eingeschränkt. 

Wie sieht die Situation in den Nachbarländern Tirols aus?

Der nächstgelegene Fall wurde in Vorarlberg bestätigt, ein weiterer in Rosenheim in Bayern. 

Die Schweiz ist mittlerweile recht stark betroffen mit weit über 100 Fällen. Grob über den Daumen gebrochen sind eher die nördlichen Kantone betroffen.

Südtirol, genauer die Provinz Bozen, ist noch frei von Blauzunge. Um diese Freiheit möglichst lang aufrechtzuerhalten, akzeptieren die Südtiroler momentan keine Tierverbringungen nach Südtirol, die Durchfahrt nach Italien ist unter den Bedingungen der Repellentien-Behandlung und Blutuntersuchung möglich. Das könnte sich aber jederzeit ändern.

Kann die kalte Witterung die Eindämmung der Verbreitung durch die Gnitze bewirken? 

Aufgrund von Blauzungenaufbrüchen in der Vergangenheit und Mücken-Monitoring weiß man, dass es diesen „vektorfreien Zeitraum“, also einen Zeitraum im Winter, in dem die Mücke nicht fliegt, nicht mehr gibt – Stichwort Klimaerwärmung. Auf Erleichterungen im Tierverkehr im Winter darf man also nicht hoffen.

(Stand zu Redaktionsschluss Dienstag, 12 Uhr)

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AUTORRed. HP
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