Derzeit leben rund 1,2 Milliarden Menschen in Afrika, 2050 sollen es bereits 2,5 Milliarden sein. Nicht nur, wie dieses künftig knappe Viertel der Weltbevölkerung ernährt werden kann, zählt für Österreichs Regierung zu den globalen Schlüsselfragen, sondern auch die wirtschaftliche Stabilität Afrikas. Seit der Flüchtlingskrise 2015 beobachtet man die politischen und ökonomischen Entwicklungen ebendort in allen EU-Ländern wieder genauer. Denn die Flüchtlingsrouten beginnen nicht an den Mittelmeerküsten, sondern tief im Inneren des Kontinents. Außerdem ist Afrika ein enormer Hoffnungsmarkt, bringt viel Potenzial, auch wegen seiner Bodenschätze.
Spezielle Möglichkeiten hat dabei die Landwirtschaft als oft „wichtigster Wirtschaftsbereich, auch um soziale Perspektiven vor Ort zu schaffen“, erklärte Minister Norbert Totschnig vor dem Abflug zur viertägigen Arbeitsreise in drei gezielt ausgewählte Länder, um sogar strategische Partnerschaften einzugehen. Dass ihn gerade der Landwirtschaftsminister begleitet, komme nicht von ungefähr, betonte Bundeskanzler Karl Nehammer bei seinem Treffen in Luanda mit Angolas Präsident João Lourenco in dessen Amtssitz.
In Angola könnten 125 Mio. Hektar Land agrarisch genutzt werden, davon 35 Mio. Hektar Ackerland. Bewirtschaftet wird derzeit aber nur ein Bruchteil. Zwei Drittel der Bevölkerung erzeugen Agrarprodukte mehr schlecht als recht für den Eigenbedarf, mehr als die Hälfte der Lebensmittel muss importiert werden. „Die Landwirtschaft wurde in fast allen Staaten des postkolonialen Afrika sträflich vernachlässigt – und damit auch die Ernährungssicherheit. Die meisten Afrikaner sind Subsistenzbauern, die gerade so viel erzeugen, dass sie selbst über die Runden kommen“, schrieb schon vor Jahren der deutsche Journalist und Afrika-Kenner Bartolomäus Grill.
Im Fokus der Gespräche von Totschnig und seinem Amtskollegen Antonio Francisco de Assis standen praxistaugliche Kooperationen in der landwirtschaftlichen Aus- und Fortbildung, auf Ebenen der Forschung sowie in der Lebensmittellabortechnik. Totschnigs Credo dabei: „Landwirtschaftliches Know-how etwa rund um klimaresistente Anbaumethoden kann Erträge steigern und trägt zur Versorgungssicherheit bei.“ Auch die Rektorin der Universität für Bodenkultur Wien, Eva Schulev-Steindl, begleitete die Reise. Angedacht wurde eine mögliche Teilnahme angolanischer Universitäten am Afrika-Netzwerk der BOKU.
Derweil knüpften die Wirtschaftsvertreter im Schlepptau des Kanzlers beim bilateralen Wirtschaftsforum vertiefende Kontakte zum Auf- und Ausbau von Infrastruktur- und Erneuerbare- Energien-Projekten, allen voran Wasserstoff. Präsident Lourenco stellte klar, dass auch sein Land an Geschäften mit Österreich interessiert sei. Angola besitzt große Ölreserven, wichtige Exportgüter sind auch Gas und Dünger.
Mit AgriTech-Apps gegen die Landflucht
Tags darauf trafen Totschnig und Schulev-Steindl in Ghanas Hauptstadt Accra junge Vertreter von AgriTech-Start-ups. Die Förderung des Agrarsektors steht in Ghana weit oben auf der politischen Agenda. Ein weiteres Problem fast aller Länder in Afrika ist die Landflucht junger Menschen in die Großstädte. Und mit der Überalterung der Menschen in den entlegenen Dörfern der zunehmende Verlust des Wissens um die Landbewirtschaftung. Mit Programmen wie „Youth in Agriculture“ will Ghanas Regierung vermehrt Arbeitsplätze in der Landwirtschaft schaffen, die lokale Produktion von Reis oder Mais fördern und die Fleischerzeugung steigern. Die Gründerinnen und Gründer, allesamt kaum über 30 Jahre alt, informierten Totschnig über ihre innovativen Unternehmen, über Messtechnologien und solargetriebene Kühlkammern zur Lagerung von Obst und Gemüse, die Erzeugung von Biodünger bis hin zu Dienstleistungen für Kleinbauern zur Saatgut- und Düngerbeschaffung und Vermarktung. Oder auch Crowdfunding zur Geldbeschaffung in der Startphase.
Nicht nur in Ghana wird so versucht, Farming wieder attraktiv zu machen – analog und digital. Also auch mit dem Smartphone und passenden Apps. Im Gründerzentrum „MEST“ werden Start-ups aus ganz Afrika zur Marktreife geführt. Management-Tools helfen den Bauern je nach Saison zu planen, welche Arbeiten anstehen, stellen Wettervorhersagen bereit und vergleichen Marktpreise für Agrarkulturen und Betriebsmittel. Wer kein Mobiltelefon besitzt, dem helfen Multiplikatoren in den Dörfern.
Im Beisein der Vize-Landesdirektorin des Welternährungsprogramms (WFP), Anna Mukiibi-Bunnya, kündigte Totschnig an, Österreich werde für Afrika 7,5 Mio. Euro aus dem Sondertopf für humanitäre Hilfe und internationale Nahrungsmittelhilfe bereitstellen. Davon 2 Mio. Euro für den „Innovation Accelerator“ des WFP allein für Ghana. Mit dem Geld sollen also die innovativen Start-up-Ideen unterstützt werden.
Erst im Herbst vergangenen Jahres hat Österreich sein Budget für das WFP von bisher 1,6 auf 20 Mio. Euro pro Jahr bis 2025 erhöht, also insgesamt auf 60 Mio. Euro. „Wir müssen Hilfe dort leisten, wo sie benötigt wird. Das Welternährungsprogramm ist dabei ein wichtiger Partner. Weltweit sind Millionen Menschen darauf angewiesen“, so Totschnig.
Nach jeweils knapp 20 Stunden Aufenthalt in den beiden Ländern ging es Mittwoch abend im Flugzeug einer angemieteten Low-Cost-Airline aus Tschechien weiter nach Kairo. Der von Boulevard-Zeitungen in Österreich als „Luxus-Jet“ beschriebene Flieger bot ausschließlich Economy-Sitze mit kaum Beinfreiheit. Kanzler und Minister hatten Plätze beim Notausgang, mit etwas mehr Beinfreiheit, dafür ohne verstellbare Rückenlehne.
Mit 102 Mio. Einwohnern liegt Ägypten betreffend Bevölkerungszahl nach Nigeria und Äthiopien auf Platz drei in Afrika und benötigt jährlich 20 Mio. Tonnen Getreide zur Broterzeugung. Gerade mal die Hälfte davon wird im Nildelta selbst erzeugt. Der Rest wird importiert, bis vor einem Jahr überwiegend aus der Ukraine und Russland. Seit dem Angriffskrieg der Russen auf ihr Nachbarland mangelt es auch in Ägypten wieder an Brotweizen. Und ohnehin seit Jahren wegen des Klimawandels an Wasser.
In Kairo traf Totschnig wenige Wochen nach der UN-Wasserkonferenz in New York erneut Ägyptens Wasserminister Hani Sewilam, um diesem eine Zusammenarbeit in der Wasseraufbereitung oder der Nutzung der Wasserkraft anzubieten. Österreich sei dabei ein Technologieführer. Auch hier gilt: Neben Hunger und Krieg ist Wassermangel einer der Hauptgründe für Flucht. Weltweit haben mehr als 2,2 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sicherem Trinkwasser. Als Folge könnten bis 2030 nahezu 700 Millionen Menschen aufgrund von Wasserknappheit zur Migration gezwungen werden. „Jeden Beitrag, den wir zur Sicherstellung der Wasserversorgung in diesen Ländern leisten, kann Fluchtursachen verringern“, ist Totschnig überzeugt.
Zur konkreten Kooperation beider Staaten ist ein „Memorandum of Understanding“ in Ausarbeitung, um durch technische, wissenschaftliche und wirtschaftliche Zusammenarbeit Ägypten eine nachhaltige Bewirtschaftung und den Schutz seiner Wasserressourcen zu ermöglichen.
Enormes Wachstum der Bevölkerungszahl
Auch in Kairo nutzte Totschnig die Zeit für Kontakte mit dem hiesigen Direktor des WFP, Praveen Agraval. Eine 100-Prozent-Selbstversorgung mit Brotgetreide wird Ägypten wohl nie erreichen, sagen Experten. Aber eine Erhöhung der Produktion um zumindest die Hälfte sei dringend nötig, wächst Ägyptens Bevölkerung derzeit doch jedes Jahr um bis zu zwei Millionen neuer Erdenbürger und zigtausender Flüchtlinge. So drängen derzeit viele aus dem Sudan ins Land am Nil. Indes sind im vergangenen Jahr die Preise für nicht staatlich subventioniertes Brot – ein erklecklicher Teil des Staatsbudgets fließt in die Stützung von Mehl und Speiseöl – um die Hälfte gestiegen und die Fladenbrote gleichzeitig bedeutend kleiner geworden, wird berichtet. Ein Problem nicht zuletzt auch für den Staatschef und Militär Abdel Fattah El Sisi, seit 2013 an der Macht. Unter anderem ein zu hoher Brotpreis hat schon seinem Vor-Vorgänger Hosni Mubarak im Zuge des „Arabischen Frühlings“ das Amt gekostet.
Die Afrika-Strategie Österreichs, mit wirtschaftlicher und humanitärer Hilfe nicht zuletzt die Migration nach Europa einzudämmen, ist eine schwierige Gratwanderung, um nicht auch Gegenteiliges zu forcieren: etwa die Afrophobie oder Angst vor Millionen dunkelhäutiger Flüchtlinge in Europa oder ungewolltes Samaritertum bei den Afrikanern. Mehrmals betonte Kanzler Nehammer während der Reise: „Sicherheit und Stabilität am afrikanischen Kontinent sind im beiderseitigen Interesse für Afrika und Europa.“ Anders als Russland oder China habe man sich in der EU „viel zu lange nicht intensiv genug mit Afrika beschäftigt“. Umso wichtiger sei es jetzt, „unsere diplomatischen Türen dorthin zu öffnen“.
Diese Türöffner-Funktion wurde besonders von den den Kanzler-Tross begleitenden Managern gutgeheißen. Gottfried Pessl etwa vertreibt weltweit Wetterstationen samt Software und ortet für Afrika einen Bedarf von 100.000 solcher Instrumente. Markus Maierhofer lieferte mit seiner Firma Komptech bereits Müllaufbereitungsanlagen zur Komposterzeugung und will künftig in Westafrika auch in den Reisanbau investieren. Dass die Bundesregierung nun Afrika im Fokus habe, sei längst an der Zeit. Nicht genug geschätzt werden könne die Aufstockung der Gelder für das Welternährungsprogramm auch laut Günter Walkner. „Das ist ein wichtiges Signal für die Landwirtschaft und die Zusammenarbeit mit dem WFP“, so Österreichs Ständiger Vertreter bei der FAO in Rom gegenüber der BauernZeitung.
Ahnungloser Kritiker
Fast erwartungsgemäß Kritik an Totschnigs Afrika-Reise übte FPÖ-Agrarsprecher Peter Schmiedlechner. Er unterstellte dem „ahnungslosen“ Minister, er würde „in Afrika Bauerngelder verprassen“. Dotiert wird der Sondertopf für das World Food Programme allerdings aus dem Budget des Kanzleramtes, nicht aus dem Agrarbudget. Unwissenheit bewies somit nur der populistische Kritiker mit seiner üblen Presseaussendung.
Compliance-Hinweis: Die Reise wurde vom Bundeskanzleramt organisiert. Die Österreichische BauernZeitung beteiligte sich anteilsmäßig an den Reisekosten.
- Bildquellen -
- Totschnig: Paul Gruber/BML
- Ghana Palast: Bernhard Weber