Am 6. April war der 26-jährige Andrea Papi in der Trentiner Gemeinde Caldes am frühen Morgen tot unweit eines Forstweges aufgefunden worden. Nachdem Papi am Vorabend nicht vom Joggen zurückgekehrt war, schlug seine Familie Alarm. Noch am selben Tag wurde seitens der italienischen Behörden eine Obduktion angeordnet, denn der Leichnam wies „schwere Verletzungen“ auf, wie es hieß. Die DNA-Analyse bestätigte schließlich, was die Beamten schon vorher mutmaßten: Der Jogger war von einem Bären attackiert und getötet worden.
Auch die Identität des Tieres ließ sich eindeutig feststellen. Dem offiziellen Bericht der Provinz Trient zufolge, handelt es sich um die schon zuvor auffällig gewordene Bärin JJ4, genannt Gaia. Bereits 2020 war die Bärin nach einem Attacke auf zwei Wanderer am Monte Peller zum Abschuss freigegeben worden. Nachdem ein Gericht die Tötung untersagte, wurde das Tier jedoch lediglich besendert. Zuletzt berichteten Einheimische gegenüber der Zeitung „L’Adige“, dass sich im vergangenen Monat Angriffe auf Schafe und andere Nutztiere gehäuft hätten. Schon Anfang März sei ein Mann unweit von Caldes von einem Bären angegriffen und verletzt worden. Laut Angaben der Trentiner Forstbehörden halten sich derzeit gut 20 Braunbären im betroffenen Gebiet auf, in der gesamten Provinz sollen es bereits 1.000 Exemplare sein.
Bruder machte Schlagzeilen
Der Bruder von JJ4, erlangte als „Problembär Bruno“ schon 2006 traurige Berühmtheit. Das Tier war aus Italien über Vorarlberg und Tirol nach Bayern gewandert und riss dort im Kreis Garmisch-Partenkirchen binnen weniger Tage in unmittelbarer Nähe zum Wohngebiet Schafe, Hühner und Kaninchen. Was dann folgte, füllte weltweit die Gazetten. Selbst die New York Times berichtete über Bruno, denn über nahezu zwei Monate gelang es nicht das Tier einzufangen. Selbst finnische Bärenjäger, die der Freistaat für mehrere 10.000 Euro anheuerte, konnten den Braunbär nicht besendern. Schlussendlich wurde Bruno unter bis heute ungeklärten Umständen in Bayrischzell erschossen.
Tierschützer versus Trentiner
Ähnlich brisant entwickelt sich nun die Lage in Norditalien. Denn die Suche nach der auffälligen Bärin gestaltet sich schwieriger als gedacht. JJ4 war zwar 2020 besendert worden, doch „das Gerät funktioniert derzeit nicht und übermittelt keine Bewegungsdaten“, wie die italienische Staatsanwaltschaft vergangene Woche mitteilte. Uneinigkeit herrscht unterdessen was mit dem Bären passieren soll. Der Präsident der Region Trentino-Südtirol, Maurizio Fugatti, hatte bereits den Abschuss des Tieres und drei weiterer „problematischer“ Exemplare angeordnet. Begründung: Es besteht eine Gefährdung für die Bevölkerung. Das zuständige Verwaltungsgericht in Trient war jedoch anderer Meinung. Es gab der von zwei namhaften Tierschutzvereinen eingebrachten Berufung statt und hob die Abschussverordnung vorerst wieder auf. Eine Anhörung zur Thematik soll Mitte Mai folgen.
Der Europäischen Tierschutzpartei ging das offenbar nicht weit genug. Sie reichte vergangenen Samstag bei der Staatsanwaltschaft kurzerhand Klage gegen Fugatti ein. Wegen „Anstiftung zu einer Straftat“, so die Begründung. Es gäbe keinen Notstand in der öffentlichen Sicherheit, beteuerten die Fürsprecher der Tierwelt, da die Tierschutzverbände vor Ort ohnehin eine Überführung von Braunbär JJ4 planen. Auch der italienische Umweltminister Gilberto Pichetto Fratin ließ aus Rom ausrichten, man möge die Bären nun nicht voreilig erlegen. Sein Ressort sei bereits mit der Evaluierung eines groß angelegten Transfers der Raubtiere aus dem Gebiet betraut.
Kritik an „Life Ursus“
In der betroffenen Region sorgt das Verhalten der Entscheidungsträger für Kopfschütteln. Zunehmend wird Kritik am 1999 gestarteten Auswilderungsprogramm von Braunbären in Norditalien, „Life Ursus“, laut. Damals waren zehn slowenische Bären in die Region verbracht worden – die meisten von ihnen blieben in der waldreichen Gegend. Auch die Mutter des getöteten Andrea Papi machte ihrem Unmut Luft. Jedem Anwohner sei die Gefahr die von der Bärenpopulation ausgeht bewusst, doch die Behörden würden „größere Eingriffe“ scheuen, stellte sie fest und forderte die Zuständigen zum Handeln auf. Der mitgliederstarke Landwirtschaftsverband Coldiretti stellte klar: „Die Spitze des Eisbergs ist erreicht“, wie der Trentiner Verbandspräsident Gialuca Barbacovi betonte. Schließlich habe man in der Region neben der überbordenden Bärendichte auch mit 26 Wolfsrudeln zu kämpfen, so der Bauernvertreter. Mittlerweile spielen, Berichten regionaler Medien zufolge, auch zahlreiche Bürgermeister in Trient und Südtirol mit dem Gedanken aus Protest gegen den Gerichtsbeschluss geschlossen zurückzutreten. Selbst Extrembergsteiger Reinhold Messner reihte sich in den Reigen der Kritiker ein: „Das Zusammenleben mit Wölfen und Bären in einem kleinen Gebiet wie dem unseren ist nicht mehr nachhaltig.“
Den zuständigen Forstbehörden bleibt indes nur das Fangen per Lebendfalle als Option. Einen Abschuss mittels Betäubungsgewehr stufte der Direktor der Trentiner Forstbehörde, Giovanni Giovannini, nämlich als zu gefährlich für seine Mitarbeiter ein. Dazu müsse man sich dem Tier auf zumindest 15 Meter nähern, so der Beamte. Giovannini geht trotzdem davon aus, das Tier zu finden. „Es braucht Geduld und Durchhaltevermögen“, so der Forstdirektor. Ob die in der Bevölkerung noch vorhanden sind, ist fraglich. Aus dem Grenzgebiet zu Südtirol wurde bereits ein Vorfall gemeldet, wonach eine Ansammlung von Menschen nach einer Bärensichtung polizeilich aufgelöst werden musste.
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