BAUERNZEITUNG: Seit gut einem Jahr regiert in Deutschland die Ampel aus Rot-Gelb-Grün. Lob für diese ist von Ihnen wohl kaum zu erwarten. Was läuft in Berlin agrarpolitisch zufriedenstellend, was total falsch?
AUERNHAMMER: Es läuft sehr vieles enttäuschend, gerade in Bezug auf die Bauernfamilien. Das war für uns so zu erwarten, auch dass die FDP hier keine Rolle spielt. Alle Ämter und Häuser, die mit Landwirtschaft, Ländlicher Raum, Umwelt- und Klimaschutz befasst sind, sind in Händen der Grünen. Dementsprechend wird auch Politik gemacht. Einzig bei den Bereichen Lebensmittelverschwendung und Verbraucheraufklärung sind wir parteiübergreifend unterwegs. Aber agrarpolitisch ist die Lage sehr schwierig.
Was macht Landwirtschaftsminister Cem Özdemir von den Grünen passabel, was nicht und was würde ein von der CDU/CSU gestellter Minister wohl derzeit völlig anders angehen?
Özdemir ist sehr viel verbraucherorientiert. Wir als Union haben auch immer die Bauernfamilien im Fokus, damit sie mit ihrer Tätigkeit das notwendige Einkommen erwirtschaften. Ein Beispiel: Bei der Tierhaltungskennzeichnung fokussiert Özdemir in erster Linie Richtung Konsumenten. Wir müssen aber auch den bäuerlichen Berufsstand miteinbeziehen. Und den hat die Ampelregierung nicht so im Fokus.
Was könnte man denn da besser machen, was sind Ihre Kritikpunkte?
Wir müssen etwa den gesamten Herstellungsprozess von Lebensmitteln im eigenen Land entsprechend deklarieren, Stichwort Herkunftskennzeichnung. Um klar und nachvollziehbar sagen zu können, das ist ein im eigenen Land produziertes Produkt, mit dem deutsche Bauernfamilien ihr Einkommen erzielen.
Bei der Herkunfskennzeichnung ist der Minister ja nicht allein in der Ziehung. Die gibt es ja in viele Faktoren hinein, bis hin zum Handel oder den Verarbeitern.
Ja, aber ich erwarte mir schon vom Landwirtschaftsminister, dass er die Richtung vorgibt. Wir dürfen uns nicht vom Handel oder von der Verarbeitungsindustrie steuern lassen: Hier braucht es eine klare Ansage von einem Bundesminister, nach dem Motto: Da will ich hin, so müssen wir es machen.
Cem Özdemir verfolgt mit der Verdoppelung auf 30 Prozent Biolandbau bis 2030 ein ähnlich kühnes Ziel für Deutschland wie schon vor gut 20 Jahren seine grüne Vorgängerin Renate Künast, die damals ausgehend von drei Prozent ein 20-Prozent-Ziel binnen zehn Jahren formulierte. Braucht Deutschland den Bio-Umstieg mit der Brechstange?
Mit der Brechstange kann es nicht gelingen. Der Markt für Bio muss wachsen. Und das ist er auch. Wir spüren allerdings momentan eine Kaufzurückhaltung der Bevölkerung, wegen der hohen Energiekosten, daher weniger zur Verfügung stehendes Einkommen für Bio-Produkte. Dazu kommt, dass diese organisch gewachsene Struktur von Bio-Betrieben und auch von Regionalinitiativen kaum mehr wettbewerbsfähig ist. Was ich Özdemir vorwerfe: Er will den höheren Bio-Anteil mit der Brechstange über die Discounter. Und über diese Schiene ist die Wertschöpfung für die Bauern zu gering. Klar muss man die Umstellung auf Bio unterstützen, so wie es etwa auch in Bayern gemacht wird. Aber ein 30-Prozent-Ziel kann man nicht gesetzlich verordnen.
Die großen agrarpolitischen Vorgaben und Entscheidungen für die Landwirtschaft in Sachen Produktionsauflagen, Umwelt, Klimaschutz fallen seit Jahren auf EU-Ebene in Brüssel. Ein Stichworte dazu wäre der Green Deal. Wie beurteilen Sie die aktuelle Politik der EU-Kommission?
Europa war schon immer wichtig für die Landwirtschaft, weil hier einfach der gemeinsame Markt ist. Die aktuelle Entwicklung der EU-Agrarpolitik macht mir Sorgen. Bis zum Beginn des Ukraine-Krieges hat das Thema Ernährungssicherung für die Europäische Kommission und generell in der gesamten politischen Diskussion keine Rolle gespielt, dafür umso mehr Umwelt- und Naturschutz, was auch wichtig ist. Das hat sich nun geändert. Daher muss der Green Deal unter dem Aspekt der Ernährungssicherung neu gedacht werden. Europa muss sich selbst ernähren können. Das heißt, die europäische Agrarproduktion muss auch entsprechend reagieren. Die Zeit, als es in Europa Milchseen, Butterberge und Interventionslager für Getreide oder Rindfleisch gab, ist längst Vergangenheit. Und Europa hat auch eine Verantwortung gegenüber den Ländern auf der Welt, die aufgrund des Klimawandels nicht mehr in der Lage sind, sich selbst zu ernähren.
„Ein Ziel 30 Prozent Bio kann man nicht gesetzlich verordnen.“
Sie nehmen sich auch kein Blatt vor den Mund und haben jüngst die Kommission massiv kritisiert, deren Pflanzenschutzauflagen – Stichwort SUR – seien praxisfern.
Das ist ebenfalls so ein Beispiel. Zur Ernährungssicherung gehört neben modernen Verfahren auch der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, ich verwende bewusst nicht diesen unsäglichen Begriff Pestizide. Unsere Herausforderung ist es, durch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln natürlich hochwertige Lebensmittel zu produzieren, bei gleichzeitiger Sicherstellung von Umwelt- und Naturschutz. Wenn man das mit den gegebenen Zulassungsverfahren macht, ist das alles meiner Meinung nach okay, geprüft und wissenschaftlich fundiert. Bei der jetzt in Brüssel geplanten eiskalten Reduzierung von Pflanzenschutzmitteln sehe ich die große Gefahr, dass wir die Ernährungssicherung in Europa nicht mehr sicherstellen können.
Gibt es auch Bereiche, wo sich die Landwirtschaft selbst kritisch eingestehen muss: Hier müssen wir künftig auch einschneidende Wege gehen, von Düngermengen bis geringe Tierbestandsobergrenzen?
In manchen Produktionsbereichen wurde vereinzelt zu intensiv, ich möchte sagen fast ausufernd gewirtschaftet. Da müssen wir korrektiv einwirken, nicht immer eine vergnügungssteuerpflichtige Angelegenheit. Ich sage nur Düngeverordnung in Deutschland. Auch der Tierbestand muss immer im Einklang mit der Fläche stehen. Ich kann nur so viele Tiere halten, wie ich innerbetrieblich auch mit meinen Feldern und Wiesen versorgen kann, aber auch in Kooperation mit Nachbarbetrieben. Es muss ausgewogen sein. Da ist das beste Beispiel die bayrische Landwirtschaft.
Sie stammen ja aus Bayern. Wo drückt im Freistaat die Landwirte gerade besonders der Schuh? Was sind aus Sicht der CSU die brennendsten Agrarthemen?
Die Vorgaben der Berliner Ampelkoalition wie jene für die Anbindehaltung, die mit 2030 verboten wird. Gerade in meiner Heimat Franken, wo es keine Weidehaltung gibt, wird ein Großteil der Betriebe wohl aufhören. Wir erleben also durch dieses Verbot einen Strukturbruch. Dass diese Tierhaltungsform kein Zukunftsmodell ist, weiß jeder. Aber Betriebe, die mit 30 Kühen noch zehn bis 20 Jahre wirtschaften wollen und das auch vernünftig machen, muss man doch nicht zum Aufgeben zwingen. Auch die Vorgaben um die Düngeverordung, die gesamte Diskussion über die Landwirtschaft generell, die uns in Deutschland ereilt hat, fordern die Bauern enorm. Da ist es wichtig, dass wir als CSU, als Union mit der CDU, hinter der Landwirtschaft stehen und die Sorgen der Landwirte wahrnehmen.
Flächenstillegungen für Umwelt- und Klimaschutz, ja oder nein?
Die 4-Prozent-Stilllegungen pauschal im Rahmen der GAP sind für mich nicht nur aus Sicht unserer Verpflichtung zur Sicherung der Ernährungssouveränität und Welternährung nicht nachvollziehbar. Für Umwelt- und Klimaschutz ist es wichtig, dass wir produktionsintegrierte Maßnahmen machen. Dafür sind aber wissenschaftliche Erkenntnisse erforderlich, nicht ideologische.
Wie sieht man das EuGH-Gerichtsurteil bezüglich der Notfallzulassungen von Neonics in Deutschland? Frankreich hat das Urteil bereits akzeptiert und macht auch Druck auf alle anderen EU-Länder.
Was haben wir für Alternativen, gerade zu den Neonics? Den Zuckerrohranbau in Afrika? Das ist für mich keine Alternative. Ich will die Zuckerwirtschaft in der Region halten, unsere Zuckerwirtschaft stärken. Natürlich muss man über Alternativen zu diesen Wirkstoffen nachdenken. Auch dürfen Notfallzulassungen nicht zur Regel werden, aber möglich sein, wenn es nicht anders geht.
Welche gemeinsamen Ziele verfolgen Sie als bayrischer Landwirt und Agrarpolitiker mit ihren österreichischen Berufskollegen?
Die agrarische Struktur beider Länder ist sehr deckungsgleich, teilweise auch die Vermarktungswege. Wir sind einfach auch von der Bäuerlichkeit her gleich gestrickt. Ihr Minister Norbert Totschnig und unsere Staatsministerin Michaela Kaniber verkörpern diese Politik auch beide und sind ein Gegengewicht zur Ampelregierung in Berlin. Das geht natürlich dann auch Richtung EU. Totschnig vertritt die österreichischen Interessen in Brüssel. Bei Özdemir muss ich hinterfragen, ob er auch die bayrischen Interessen vertritt. Da setze ich mehr auf euren Minister, weil er die Strukturen besser kennt.
Sowohl Kaniber als auch Bayerns Bauernverbandschef Felßner haben vor einiger Zeit gemeint, Bayerns Landwirte würden neidvoll nach Österreich schauen, weil es mit Minister Totschnig einen betonten Pragmatiker in der Regierung und im EU-Rat stelle. Teilen Sie deren Meinung?
Das sehe ich ähnlich, weil Totschnig einfach in Brüssel mit am Tisch sitzt und unsere Ministerin leider Gottes nicht. Wir brauchen hier ein Zusammenspiel mit Österreich und anderen, wie Südtirol, das ähnlich strukturiert ist, auch im Europaparlament, um unsere Landwirtschaft zu erhalten, um den Bauern Einkommen zu geben.
Was nehmen Sie von Ihrem heutigen Besuch im Wiener Parlament mit?
Ich bin nach einem Treffen mit Minister Totschnig und vielen Mandataren des Bauernbundes sehr angetan von der fachlichen und zielorientierten Diskussion, die hier geführt wird. Wir sollten diesen Austausch weiterhin pflegen, ausbauen und dann auch gemeinsam unsere Anliegen nach Brüssel tragen.
Zur Person: Artur Auernhammer (59) ist der agrarpolitische Sprecher der CSU und Obmann des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft im Deutschen Bundestag. Der Landwirt und Landwirtschaftsmeister lebt in Weißenburg in Mittelfranken.
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- Artur Auernhammer: Bernhard Weber