Zur Erinnerung: Anfang Februar 2022 hatte der internationale Chemiekonzern EuroChem, an dem damals der russische Oligarch Andrei Melnitschenko eine Mehrheitsbeteiligung hielt, 455 Millionen Euro für die Stickstoff-Sparte von Borealis per Gebot hinterlegt. Drei Wochen später begann der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und der Deal war kurz darauf in letzter Sekunde vom Tisch, nachdem die EU-27 wie auch andere Staaten prompt weitere Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängt haben, um auf den Feldzug von Wladimir Putin gegen das Nachbarland zu reagieren. Gerade einmal drei Monate später legte der tschechische Agrofert-Konzern, gegründet von Andrej Babiš, Multi-Milliardär und Ex-Premierminister Tschechiens, im Juni ein Angebot für die Borealis-Stickstoffwerke in Österreich, Frankreich und Deutschland von rund 810 Millionen Euro.
Erst 455 Mio. Euro,
wenig später bereits 810 Mio. Euro-Angebot
Mit diesem fast doppelt so hohen Kaufpreisangebot stieß Agrofert nicht nur bei den Managern der Borealis AG, eine 75-Prozent-Tochter der OMV AG und diese wiederum über die Österreichische Beteiligungs-AG (ÖBAG) zu 31,5 Prozent im Besitz der Republik Österreich, anfangs auf große Freude. Kritische Proteststimmen vor allem aus dem Niederösterreichischen Bauernbund, die vor allem den Ausverkauf der Düngersparte und damit systemrelevanter Infrastruktur beklagten, wurden anfangs dem Vernehmen nach eher belächelt. Längst ist vielen beteiligten Managern am „Borealis-Deal“ aber das Lächeln im Gesicht gefroren.
„Wo bleibt hier die
Verantwortung seitens der staatlichen Eigentümervertreter?“
(Stephan Pernkopf)
Niederösterreichs Bauernbundobmann Stephan Pernkopf und Bauernbunddirektor Paul Nemecek stellten nämlich alsbald nach dem Übernahmeangebot aus Tschechien viele Fragen, allen voran diese: „Warum verkauft man ohne Not systemrelevante Infrastruktur für unsere Agrar- und Lebensmittelproduktion?“ Oder: „Wie kam der ursprüngliche Schleuderpreis an EuroChem zustande und warum hat er sich binnen weniger Monate durch das Agrofert-Interesse fast verdoppelt?“ Aber auch: „Warum hat Agrofert diesen Deal bis heute nicht bei der EU-Wettbewerbsbehörde angemeldet, obwohl man diesen nach deren eigenem Bekunden bereits im November 2022 abschließen wollte?“ Aber auch an die ÖBAG richteten die Bauernbündler einige Fragen. Etwa: „Wo bleibt bei diesem Verkauf die Verantwortung der staatlichen Eigentümervertreter in der ÖBAG rund um Vorständin Edith Hlawati?“ Letzterer nimmt man ihr Nicht-Handeln im Bauernbund besonders übel. Für Pernkopf und Nemecek, die nicht nur zu den ersten, sondern bislang auch vehementesten Kritikern des Verkaufs der im Speziellen für Österreichs Bäuerinnen und Bauern so wichtigen Düngemittelsparte zählen, sind rund um den Jahrestag des Bekanntwerdens der Verkaufsabsichten die Folgen eines Verkaufs für die Republik weiterhin massiv: „Man stelle sich vor, man hätte die Stickstoffwerke damals an EuroChem verkauft! Der finanzielle Schaden durch den damals weit niedrigeren Verkaufspreis, die entgangenen hohen Gewinne und die Abhängigkeit unserer Lebensmittelversorgung von russischen Oligarchen wäre enorm.“
Auch Frankreich ist gegen Deal
Auch über Österreichs Grenzen hinweg wurden Pernkopf und Nemecek aktiv. In Deutschland wurden vom NÖ Bauernbund Kartellrechtsexperten der renommierten Kanzlei Hausfeld Rechtsanwälte LLP eingeschalten. Deren Rechtsanwälte waren auch schon mit Beschwerden etwa gegen den US-Giganten Google erfolgreich, gegen den daraufhin ein Bußgeld in der Rekordhöhe von 2,4 Milliarden Euro verhängt wurde. Auf EU-Ebene schnürte der EU-Parlamentarier aus dem NÖ Bauernbund, Alexander Bernhuber, eine Allianz mit der französischen Abgeordneten Anne Sander und brachte mit ihr in einem Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Ausverkauf-Sorgen der beiden Länder betreffend Borealis-Deal zum Ausdruck.
In Frankreich ist Borealis mit drei Produktionsstätten der größte Düngemittelhersteller im Land. Aufgrund eines strengen Investitionsschutzgesetzes muss die Regierung in Paris dem Deal gesondert zustimmen. Einen diesbezüglichen Antrag an das französische Wirtschaftsministerium hat Agrofert im November zurückgezogen. Ein solches Investitionsschutzgesetz fordern Pernkopf und Nemecek nun auch für Österreich: „Das Beispiel Frankreich zeigt, dass strenge Gesetze im Sinne des Schutzes der Versorgungssicherheit solche Deals deutlich erschweren.“
Verfassungsjurist bestätigt die Kritiker aus dem Bauernbund
Der NÖ Bauernbund trägt den Widerstand gegen den Verkauf der Borealis-Düngemittelsparte also auf vielen Ebenen aus. Auch beim bekannten Verfassungsjuristen Heinz Mayer wurde dazu ein Rechtsgutachten eingeholt. Darin bestätigte dieser, dass der Verkauf gegen geltendes Verfassungsrecht in Österreich verstoßen würde. Auch betont Mayer die besondere Verantwortung der ÖBAG den Deal betreffend.
Im NÖ Bauernbund will man den Deal weiterhin verhindern. Dessen Botschaft ist unmissverständlich: „Düngemittel sind essenzielle Nährstoffe einer ertragreichen Landwirtschaft, um die Bevölkerung mit ausreichend Essen zu versorgen. Der Borealis-Deal ist eine Gefahr für die Bauernschaft und für die Versorgungssicherheit in unserem Land. Hier wird versucht, systemrelevante Infrastruktur aus teilstaatlicher Hand an ausländische Oligarchen abzugeben. Wir werden keine Ruhe geben und alle Scheinwerfer gezielt auf diesen Deal richten.“
„Wir werden keine Ruhe geben
und alle Scheinwerfer gezielt
auf diesen Deal richten.“
(Paul Nemecek)
* Anmerkung der Redaktion: Knapp nach Redaktionsschluss der Print-Ausgabe der Österreichischen BauernZeitung am Dienstag Nachmittag hat die EU-Wettbewerbshüter in Brüssel bekanntgegeben, dass das Verfahren zur Übernahme der Borealis-Stickstoffsparte durch Agrofert nach Erhalt aller dafür nötigen Unterlagen eröffnet wurde. Für die Bewertung habe sich die EU-Kommission eine Frist bis 13. März gesetzt
Agrofert und der Dünger-Deal
An den Verkaufsplänen der Stickstoff-Sparte der OMV-Tochter Borealis an den tschechischen Agrofert-Konzern hagelt es seit Monaten Kritik, nicht nur aus dem NÖ Bauernbund.Betroffen davon wäre nicht nur die Düngerproduktion, sondern auch die heimische Herstellung von AdBlue durch die Borealis LAT. Die Produktion des Dieselreinigers ist wie jene von Stickstoffdünger stark von der erdgasintensiven Herstellung von Ammoniak und Harnstoff abhängig. Im Hochsommer vergangenen Jahres hatte das ostdeutsche Unternehmen SKW in Piesteritz seine AdBlue-Anlagen aufgrund der explodierenden Gaspreise vorübergehend monatelang eingestellt. SKW-Eigentümer ist Agrofert, an die nun ein Teil der Borealis-Werke, allen voran in Linz, veräußert werden soll.
„Alle reden von Versorgungssicherheit, und dann verkauft ein teilstaatliches Unternehmen wie die OMV ohne jede Not einen hochprofitablen Zweig, der die Versorgungssicherheit ganz Österreichs betrifft“, lautete sofort nach Bekanntwerden des Deals die Kritik von Bauernbund-Landesobmann Stephan Pernkopf. Der potenzielle Käufer, Agrofert, bemühte sich daraufhin umgehend, bei einem Besuch der Konzernmanager in Oberösterreich samt Abgabe einer Standortgarantie für das Werk Linz der Kritik zu begegnen. Das wiederum kostete etwa dem früheren Industriemanager und Ex-Nationalbankpräsidenten Claus Raidl nur ein müdes Lächeln. Er leistete den Bauern Schützenhilfe, indem er etwa gegenüber dem Industriemagazin erklärte: „Es ist der Eigentümer natürlich seinem nationalen Land mehr verbunden als seinen ausländischen Akquisitionen.“ Um im Fall des Falles keinen Streit mit den Gewerkschaften zu riskieren, „schließt er lieber Linz“ als etwa ein Werk in Tschechien. Raidl glaubt auch nicht, dass die Ertragskraft von Borealis geschmälert würde, sollte der Verkauf abgeblasen werden. Und selbst wenn das der Fall wäre, müsste das in Abwägung des öffentlichen Interesses in Kauf genommen werden, so der erfahrene Industriemanager im Ruhestand.
Dem Vernehmen nach will OMV-Chef Alfred Stern am Verkauf dennoch festhalten: Der heimische Mineralölkonzern soll schließlich zum Chemiekonzern umgeformt werden, da passen die beiden Borealis-Töchter für Dünger und AdBlue einfach nicht in Sterns Strategie. Entscheidend könnte der Monat März werden. Bis dahin rechnet man zumindest bei Agrofert mit EU-behördlichem Flankenschutz aus Brüssel.
- Bildquellen -
- Stephan Pernkopf und Paul Nemecek: NÖ Bauernbund/Erich Marschik
- Borealis Linz: Borealis