Bekannt geworden ist das Pielachtal mit einer Rarität: die Dirndl. Gemeint sind damit aber nicht die jungen Mädchen (im Mostviertler Dialekt ebenfalls als Dirndl bezeichnet) oder die traditionelle Frauenbekleidung. Nein, in der Region denkt man sofort an die Kornellkirsche, auch als Gelber Hartriegl bekannt.
Vorzeigebeispiel in der Regionalentwicklung
Als schmales Tal entlang des namensgebenden Flusses erstreckt sich das Pielachtal südlich der niederösterreichischen Landeshauptstadt St. Pölten von Obergrafendorf bis Frankenfels. Auf den wenigen ebenen Talflächen wird etwas Ackerbau betrieben, überwiegend ist die Region jedoch von saftig grünen Wiesen und Weiden sowie ausgedehnten Wäldern bedeckt. Die Bäuerinnen und Bauern leben daher in erster Linie von der Milchproduktion, der Rinderzucht sowie der Forstwirtschaft.
“Die warm-trockenen Böden im Pielachtal mit ausreichendem Kalkgehalt sind Voraussetzung, dass die Dirndlstauden – die ansonsten eher in Südosteuropa anzutreffen sind – auch bei uns seit Jahrhunderten heimisch sind”, berichtet Bürgermeister Anton Gonaus aus Kirchberg an der Pielach, der als einer der Ersten das Potenzial der unscheinbaren roten Früchte mit herbem Geschmack erkannt hat. Er gerät bei der Aufzählung der Vorteile der Dirndl richtig ins Schwärmen: “Dirndlstauden sind bereits im zeitigen Frühjahr die ersten Blüher und damit die erste Nahrung für die Bienen. Dirndlstauden, die ein Alter von bis zu 500 Jahren erreichen können, bringen das härteste Holz – das einzige, das in Wasser nicht schwimmt – hervor. Dazu kommt, dass die Dirndlfrüchte keine Schädlinge anziehen und damit keinerlei Pflanzenschutz benötigen.”
“Seit Jahrhunderten wurden bei uns auf fast jedem landwirtschaftlichen Betrieb in haushaltsüblichen Mengen Dirndl geerntet und meist zu Schnaps gebrannt. Mit zunehmender Technisierung geriet das Obstgehölz – dessen Ernte äußerst arbeitsaufwendig ist – zunehmend in Vergessenheit”, so Gonaus weiter. Anfang der 1980er-Jahre sei es kaum mehr eine Handvoll Bauern gewesen, die sich noch damit befasst hätten.
Auf Initiative der Bezirksbauernkammer Kirchberg an der Pielach, deren Obmann Gonaus damals war und die mittlerweile mit St. Pölten fusioniert wurde, begann im Jahr 1994 mit der Gründung der Regionalplanungsgemeinschaft – eine der ersten Niederösterreichs – getragen von der ebenfalls neu gegründeten Edelbrandgemeinschaft die Positionierung der Dirndl als Leitprodukt einer ganzen Region. “Der ländliche Raum wird gegen Ballungsräume nur durch den Zusammenschluss von Gemeinden zu ,Ma-kroorganisationen‘ bestehen können”, ist Gonaus überzeugt und sieht die Entwicklung der Talgemeinschaft als Paradebeispiel dafür: “Es ist uns gelungen, ein ,Wir-Gefühl‘ im Tal zu erzeugen, aus dem viele Ideen entstanden sind, die erfolgreich umgesetzt wurden.” So wurde beispielsweise für ein Buch – das mittlerweile vergriffen ist – umfangreiches Wissen der Bevölkerung zur Geschichte, Kultivierung und Verarbeitung der Dirndl gesammelt und für die Nachwelt erhalten. Dazu sind die Pielachtaler Dirndl inzwischen als geschützte Marke registriert.
“Mindestens vier Wochen, bis Staude abgeerntet ist”
In Zusammenarbeit mit dem Tourismusverband wurde ein einheitliches Logo entwickelt und die touristische Vermarktung vorangetrieben. Seit 2004 werden alle zwei Jahre jeweils eine Dirndlkönigin und -prinzessin gewählt, die das Pielachtal – das sich mittlerweile selbstbewusst auch als “Dirndl-tal” bezeichnet – bei vielen Gelegenheiten auch nach außen hin repräsentieren. So auch beim Pielachtaler Dirndlkirtag, der seit 2010 jedes Jahr abwechselnd in einer der fünf größeren Gemeinden des Tales ausgetragen wird und der mittlerweile alljährlich Tausende Gäste in die Region lockt.
Hauptverantwortlich für die Organisation des Dirndlkirtags 2016 sind Ortsbauernratsobmann Severin Zöchbauer und Gemeindebäuerin Josefa Grubner, die von der Arbeit der Bäuerinnen und Bauern erzählen: “Die Ernte beginnt Mitte August bei den frühreifen Sorten und dauert bis Mitte Oktober bei den späteren Sorten.” Die Früchte sind reich an Vitamin C und schmecken säuerlich bis herb, da sie einen hohen Gerbstoffgehalt aufweisen. Zu Beginn der Ernte werden Netze ausgebracht, von denen jeden zweiten Tag die reifen Früchte aufgelesen werden. Mindestens vier Wochen dauert es, bis eine Dirndlstaude alles abgeworfen hat. “Durch die Verwendung der Netze wurde eine wesentliche Erleichterung der Ernte sowie ein deutlicher Qualitätssprung erreicht”, sind Zöchbauer und Grubner überzeugt, denn zuvor waren die Früchte meist gepflückt worden, wobei auch immer wieder unreifes Obst dabei war, was entsprechende Qualitätsminderungen zur Folge hatte. Eine deutliche Steigerung der Qualität bei Dirndlbränden konnte auch durch Verarbeitungs- und Sensorikschulungen im Rahmen der Edelbrandgemeinschaft in den vergangenen Jahren erreicht werden.
Da gerade im Bereich der Destillate kaum noch Zuwächse zu erreichen sind, werden die Dirndl auch zu Marmeladen und Säften verarbeitet. Dazu kommen noch innovative Nischenprodukte wie Dirndlpasteten, Dirndl-chutney, Dirndl-Senf, Dirndleis oder Dirndlschokolade. Aus den Kernen werden erlesener Trachtenschmuck und liebevolle Geschenkartikel gefertigt, und das Holz ist begehrter Rohstoff bei Kunsthandwerkern.
“Die Erntemenge kann stark variieren und liegt zwischen zehn Kilogramm und 130 Kilogramm pro Staude. Dazwischen gibt es immer wieder Jahre, in denen so wenige Dirndl stehen, dass sich eine Ernte nicht lohnt”, wissen Zöchbauer und Grubner aus eigener Erfahrung. Und, dass die Wertschöpfung mit dem Verarbeitungsgrad steigt: “Für die meisten Bäuerinnen und Bauern ist der Verkauf der Dirndlfrüchte ein kleiner Zuverdienst. Einige wenige Betriebe haben sich soweit spezialisiert, dass sie die Verarbeitung und Vermarktung der Dirndl inzwischen hauptberuflich betreiben.”
“Vor wenigen Jahren gab es in der Region kein Gasthaus, in dem Dirndlsaft angeboten wurde. Heute gibt es kein Gasthaus mehr, das keinen Dirndlsaft auf seiner Getränkekarte führt”, zieht Anton Gonaus zufrieden Bilanz und fügt hinzu: “Es gibt wahrscheinlich im ganzen Tal keine Dirndlstaude mehr, deren Früchte nicht geerntet und genutzt werden.”
Dirndlkirtag 2016: 24. und 25. September, Kirchberg/Pielach
Am Samstag ab 11 Uhr und am Sonntag ab 8.30 Uhr steht Kirchberg an der Pielach ganz im Zeichen des Pielachtaler Dirndlkirtags.
• Veranstalter: Gemeinde Kirchberg/Pielach gemeinsam mit dem örtlichen Bauernbund, den Bäuerinnen und der Landjugend – unterstützt von der Regionalplanungsgemeinschaft und dem Mostviertel Tourismus
• 50 Aussteller präsentieren am Standlmarkt kulinarische und handwerkliche Dirndlprodukte
• Dirndlmodeschau
• jeweils um 11 und 14 Uhr geführte Wanderungen
• Krönung der neuen Dirndlkönigin und -prinzessin
• diverse Prämierungen
• Kinderprogramm
• Kunsthandwerksvorführungen
• Anreise mit der “Himmelstreppe” (Mariazellerbahn)
• 110-Jahr-Feier des Bauernbunds
Eva Riegler