Sollen wir bleiben oder gehen? Diese Frage stellen sich die Briten am 23. Juni über ihre Mitgliedschaft in der EU. An diesem Tag stimmen die Bürger Großbritanniens sowie die Bürger des Commonwealth, die in Großbritannien leben, über den sogenannten “Brexit” ab, ein Wortspiel aus “Britain” und “Exit”. Das Ergebnis könnte denkbar knapp werden: Wenige Tage vor der Abstimmung sind EU-Befürworter und “Brexit”-Befürworter in Umfragen gleichauf. Selbst der britische Bauernstand ist geteilter Meinung. Würde sich Großbritannien wirklich für einen Austritt aus der Union entscheiden, hätte das weitgehende Auswirkungen auf Wirtschaft, Handel und Politik – sowohl für Großbritannien als auch für die EU und damit ebenso für Österreich.
Großbritannien ist seit 1973 Mitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, aus der später die EU entstand, wie wir sie heute kennen. Bereits zwei Jahre nach dem Beitritt gab es ein Austrittsreferendum. Damals entschieden sich 67 Prozent der Briten für einen Verbleib. Das Referendum am 23. Juni ist somit schon das zweite für den königlichen Inselstaat.
Großbritannien verlieb also in der Staatenunion, wurde jedoch nie Mitglied der Währungsunion und auch nicht des Schengenraums. Auch der bekannte “Briten-Rabatt”, wonach Großbritannien einen Rabatt auf das in den EU-Haushalt eingezahlte Geld bekommt, gleicht einem Sonderstatus. Die Briten waren stets darauf bedacht, ihre nationale Souveränität hochzuhalten. Dennoch scheint etwa die Hälfte der Bürger raus aus der EU zu wollen, zurück zu “mehr Selbstbestimmung.”
Agrarpolitische Folgen
“Viele Bauern haben die Schnauze voll”, erklärt der nordirische Agrarjournalist Chris McCullough im Gespräch mit der BauernZeitung. Zu viel Bürokratie, zu viel Papierkram, man möchte so wirtschaften, wie man das für richtig hält und nicht, wie es die EU diktiert. So das Stimmungsbild unter unter den Befürwortern eines Austritts. Der Britische Bauernverband (NFU) hingegen spricht sich für einen Verbleib in der EU aus. Zwar werde man sich keiner aktiven Kampagne anschließen, nach reiflichen Überlegungen aber käme man zu dem Schluss, dass den Interessen der Bauern am besten mit einem Verbleib in der Union gedient wäre, so der NFU.
Sollte sich die Mehrheit doch für einen “Brexit” entscheiden, würden die Bauern klarerweise auch aus der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) ausscheiden. Wie die EU-Zahlungen aus der GAP dann ersetzt würden, ist noch unklar. Die irische Schweineindustrie warnte bereits vor einem “Brexit”. Ein EU-Austritt könnte die derzeitige Preiskrise im Schweinesektor noch weiter vertiefen. 53 Prozent des exportierten irischen Schweinefleisches gingen in den Nachbarstaat Großbritannien. Verlässt dieser die EU, muss auch Irland die Handelsbestimmungen, Einfuhrzölle neu verhandeln. Vincent ter Beek, Journalist des niederländischen Schweinemagazins “Pig Progress”, sagte, wolle man administratives Chaos vermeiden, müsse man sich einfach für den Verbleib in der EU entscheiden.
Damit hat er hat nicht unrecht. Noch nie hat ein Staat den Verbund der EU verlassen. Ein “Brexit” wäre für alle Beteiligten Neuland. Allein 58 EU-Handelsabkommen mit Drittstaaten müsste Großbritannien neu verhandeln, dazu kommen 27 Abkommen mit den verbleibenden EU-Staaten. Als fünftgrößte Wirtschaftsnation der Welt würde ein Austritt Großbritanniens auch das Gewicht der gesamten EU gegenüber dem Weltmarkt schwächen. Hinzu kommt: Bringen die Briten den “Brexit” erfolgreich durch, könnte das eine Kettenreaktion innerhalb der Union auslösen und mehr und mehr EU-kritische Mitgliedsstaaten zu einem “Exit” bewegen. Und das könnte im schlimmsten Fall eine Rückabwicklung des europäischen gemeinschaftlichen Projekts nach sich ziehen.
Eva Zitz