BauernZeitung: Das Thema Sozialversicherung wirkt auf viele sehr komplex. Was hat Sie dazu bewogen, in der SVS tätig zu werden?

MICKEL-GÖTTFERT: Weil ich einfach gerne für Menschen da bin. Ich empfinde es als Privileg, daran zu arbeiten, die Lebensqualität und Gesundheit der Menschen zu verbessern und diese auch in Krisen zu begleiten. Und das alles leistet unsere Sozialversicherung von Anbeginn an: von der ersten Mutter-Kind-Pass-Untersuchung bis hin ins hohe Alter.

Wie hat sich seit 2020 die Fusion der früher fünf Sozialversicherungs-träger zur SVS auf die bäuerlichen Versicherten ausgewirkt?

Es ist klar, dass die Fusion von so großen, wichtigen Trägern einen Einschnitt darstellt. Vieles ist gelungen, aber wir haben noch ein Stück des Weges zu gehen. Damit wir unser Leistungsniveau für die Versicherten halten und auch ausbauen können. Die SVS ist dafür da, die Leistungen und das Service für die Versicherten effizient und gut zu organisieren.

Wie entwickelt sich denn der bäuerliche Sektor in Zahlen?

Wir tragen Verantwortung für insgesamt 1,3 Millionen Versicherte und ein Budget von rund elf Milliarden Euro. 370.000 Versicherte sind der bäuerlichen Krankenversicherung zuzuordnen, also das sind Landwirte plus ihre Angehörigen. Ihr Anteil ist sehr stabil. Der Bereich bäuerliche Versicherte hat damit nach wie vor eine große Bedeutung in der SVS.

Was sind die ersten Berührungspunkte junger Hofübernehmerinnen und Hofübernehmer mit der SVS?

Da ist einmal die Beitragsvorschreibung. Im Gegensatz zu den Unselbstständigen zahlt ein Selbstständiger seinen Beitrag selbst. Dieser wird vorgeschrieben und man muss diesen selbst entrichten. Er wird nicht automatisch abgezogen. Das Wichtige ist das Bewusstsein, dass ich mit diesem Beitrag eine Zukunftsvorsorge für meine soziale Sicherheit schaffe. Ein junger Mensch möchte natürlich jetzt gerne hohes Einkommen haben und sieht vielleicht noch nicht, was in 40 Jahren ist. Tatsache ist: Jeder Euro, den man bereits in jungen Jahren einbezahlt, bedeutet eine Vervielfachung an Pensionsleistungen. Und schon mit geringen Krankenversicherungsbeiträgen hat man Zugang zu 60.000 Gesundheitsleistungen, vom Wundverband bis zum Heilverfahren in unseren Gesundheitseinrichtungen.

Die Jungen zahlen für jene, die bald in Pension gehen. Aber man weiß nicht, wer die eigenen Pensionen irgendwann mal einzahlt?

Im bäuerlichen Bereich gibt es mehr Pensionisten als aktive Bäuerinnen und Bauern. Das ist die demographische Entwicklung. Hier geben eine große Versichertengemeinschaft und der Staat Sicherheit. Beiträge, die fehlen, um Pensionen zu zahlen, werden mittels Ausfallshaftung ausgeglichen. Ich vertraue darauf, dass dieses solidarische System auch in Zukunft da ist. 

Mickel-Göttfert: „Wir sind bei der Abwicklung enorm effizient. Das schafft kein anderer Träger.“

Eine Frau war außerlandwirtschaftlich tätig und möchte am Betrieb mitarbeiten. Ist es ratsam, sie mitzuversichern?

Es gibt hier mehrere Themen: Wenn sie keine eigene gesetzliche Krankenversicherung hat, kann sie bei ihrem Partner, ihrem Mann in der Krankenversicherung mitversichert sein. Sind Kinder da, denen sie sich widmet, ist diese Versicherung auch beitragsfrei. Bei der Unfallversicherung gibt es ein bäuerliches Spezifikum. Unfallversichert sind auch die am Hof Mittätigen, somit auch die Frau. Die Frage ist aber, ob die Frau in Zukunft einmal eine eigenständige Pension haben möchte. Voraussetzung, um eine eigenständige Pension zu erwerben, ist, dass man entweder hauptberuflich beschäftigt ist oder den Betrieb gemeinsam führt. „Nur mitarbeiten“ ist nicht ausreichend. Die Frau muss also auch im Sinne der eigenen Vorsorge und der eigenen Unabhängigkeit eine bewusste Entscheidung treffen.

Frauen sind oft da, wenn Angehörige zu Pflegebedürftigen werden. Gibt es für diese Leistungen spezielle Gesundheitsangebote? 

Eine wichtige Frage, denn Pflege nimmt am Bauernhof nach wie vor eine wichtige Rolle ein, ist Teil des bäuerlichen Selbstverständnisses. Trotzdem müssen wir sehen, dass sich Dinge verändern, etwa die Dauer der Pflege. Sie lag früher bei wenigen Monaten, jetzt bei durchschnittlich sieben Jahren. Pflegegeldbezieher können kostenlose Hausbesuche von diplomierten Pflegepersonen bekommen und sich beraten lassen. Auch Angehörigengespräche mit einem Psychologen werden vermittelt. Die SVS bietet Gesundheitswochen an, es gibt weitere Angebote wie kostenlose Selbstversicherung, Weiterversicherung, den Angehörigenbonus, also ein ganzes Bündel an Maßnahmen.

Was gibt es für Hilfestellungen bei Unfall oder längerer Erkrankung?

Die soziale Betriebshilfe, wo wir pro Jahr rund sieben Millionen Euro für 650.000 Arbeitsstunden leisten. Wenn etwa der Betriebsführer ausfällt, muss ja der Betrieb fortgeführt werden. Sollte es länger andauern, dann gibt es die Rehabilitationsbetriebshilfe. Dann kommen Care-Berater auf den Hof und versuchen zu helfen.

Wie hat sich das Ausmaß der Unfälle in der Landwirtschaft entwickelt?

Durch Bewusstseinsbildung und die konkrete Beratungsarbeit unserer Sicherheitsberater vor Ort hat sich die Zahl der Arbeitsunfälle massiv verringert. 2011 verzeichneten wir noch mehr als 5.000 Arbeitsunfälle, 2022 waren es etwas mehr als 2.000. Ein schöner Erfolg, der viel Leid erspart. Mit dem „Sicherheitshunderter“ finanzieren wir etwa Erste-Hilfe-Kurse und Fahrzeugtechnik-Kurse.

Und was versteht man unter dem „Gesundheitshunderter“?

Wenn man sich um seine Bewegung, um mentale Gesundheit und Ernährung kümmert und dazu bei qualifizierten Anbietern Kurse belegt, bekommt man von der SVS 100 Euro überwiesen. Das soll Ansporn sein, ein gesundes Leben zu führen. Voraussetzung ist, dass man eine Vorsorgeuntersuchung macht. Das ist absolut sinnvoll. Es ist gut für die Gesundheit und reduziert die Kosten für uns alle. Deshalb darf ich auch die Werbetrommel dafür rühren: Unsere Versicherten und ihre Kinder, die eine Vorsorgeuntersuchung machen, erhalten dafür antragslos 100 Euro überwiesen. Mehr als 160.000 haben das in diesem Jahr schon gemacht.

Im Juli ist auf den Konten der bäuerlichen Versicherten eine SVS-Gutschrift eingetrudelt. Viele haben sich da nicht ausgekannt…

Aufgrund der Teuerungswelle sind viele Leistungen ausbezahlt worden und können deshalb manchmal nicht eingeordnet werden. Im konkreten Fall handelt es sich um eine Maßnahme aus der ökosozialen Steuerreform: Eine Rückerstattung bei den Krankenversicherungsbeiträgen im Ausmaß von 60 bis 315 Euro bis zu einer Beitragsgrundlage von bis zu 2.900 Euro. Das gibt es jetzt auch jährlich. Ich darf in Erinnerung rufen, dass wir bereits im Herbst 2022 eine einmalige Entlastung in der Krankenversicherung hatten. Da wurde ein Bonus zwischen 100 und 500 Euro ausgeschüttet, in Summe 28 Millionen Euro. Der Juli hat eine weitere Entlastung von immerhin 16 Millionen Euro für gut 90.000 bäuerliche Versicherte gebracht. Wir wirtschaften gut und sind der einzige Krankenversicherungsträger, der ausgeglichen bilanziert.

Wo findet man nach der großen Fusion noch die persönlichen Ansprechpartner in der SVS?

Vor Ort auf unseren Beratungstagen. Dort und in unseren Kundencentern verzeichnen wir jedes Jahr 170.000 Beratungsgespräche, das ist gewaltig. Wer also die Möglichkeit sucht, mit uns persönlich in Kontakt zu treten, kann das in seiner Region perfekt machen. Unsere Kundencenter und die Beratungstage bei der Bauernkammer oder an bestimmten Örtlichkeiten findet man auf unserer Homepage. Zudem haben wir jährlich 1,6 Millionen Anrufe. Und dann gibt es noch unsere digitalen Services svsGo, eine App und ein Online-Portal, wo man das Beitragskonto einsehen und Bewilligungen genehmigen lassen kann. So können künftig auch die Bewirtschaftungsverhältnisse abgerufen werden. Ein breites Angebot also für alle, weil wir wissen, dass unsere Versicherten unterschiedlich technologieaffin sind. Manche wollen die Dinge einfach noch in Papierform erledigen, andere via Computer oder Handy. Wir sind unglaublich effizient, was Abwicklung betrifft. Das schafft kein anderer Träger. Natürlich sind auch unsere Funktionärinnen und Funktionäre unglaublich engagierte Versichertenvertreter, die für die Sache brennen und sich um unsere Versicherten persönlich kümmern. Danke daher an dieser Stelle allen unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die hochkompetent beraten.

Immer wieder wird die Forderung laut, die SVS-Beiträge zu kürzen.
Was halten Sie von diesem Vorschlag?

Ein Beitrag darf unsere Versicherten nicht überfordern. Das ist ein ganz wichtiger Anspruch, den wir stellen müssen. Es hat auch schon viele richtige Schritte gegeben wie die KV-Beitragsrückerstattungen. Derzeit im Gange ist die Hauptfeststellung 2023. Die Einheitswerte werden aktualisiert, klimatische Verhältnisse berücksichtigt und die Betriebsgröße neu bewertet. Auf dieser Basis der neuen, immerhin 600.000 Einheitswertbescheide berechnen wir die Beiträge.

Die ab 1. Jänner kommenden Jahres wirksam sind.

Ja. Wir gehen davon aus, dass es hier für eine Vielzahl an Betrieben Erleichterungen geben wird. Ich bitte aber um Verständnis, wenn ich hier noch nicht konkreter werden kann, weil wir noch intensiv in der Einarbeitung sind. Aber aus meiner Sicht geht es in eine gute Richtung.

Was streben Sie persönlich für die SVS für das nächste Jahr an?

Ich möchte jetzt gerne den Austausch mit den Landwirtschaftskammern weiter intensivieren, die Bundesländer besuchen und auch das Gespräch mit unseren Versicherten weiter vertiefen.

Zur Person

Mag. Veronika Mickel-Göttfert ist seit Jänner 2023 Generaldirektor-Stellvertreterin bei der Sozialversicherung der Selbständigen (SVS). Die ausgebildete Juristin folgte in dieser Funktion auf Franz Ledermüller.

 

 

 

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  • Veronika Mickel-Göttfert: Kiefer
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AUTORMartina Kiefer
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