Pekka Pesonen erläutert die Positionen der EU-Bauern- und Genossenschaftsverbände betreffend Green Deal, SUR, aber auch die Folgen vereinbarter Freihandelsabkommen der EU nicht nur mit den Mercosur-Staaten.

COPA und COGECA hatten sich vor dem Sommer für eine Zurückweisung des Naturwiederherstellungsgesetzes (NRL) im Europaparlament eingesetzt.Wie sehr bedauern Sie, dass eine knappe Mehrheit der Abgeordneten anders entschieden hat?

Pesonen: Wir hätten uns gewünscht, dass die Kommission einen Neustart unternommen hätte. Zudem können wir ganz nüchtern feststellen, dass der Entwurf schlicht nicht gut genug war, um unsere Unterstützung zu bekommen. Ich halte allerdings dem Parlament zugute, dass von vielen Irrtümern des Kommissionsentwurfs nicht mehr viele Elemente in seiner Verhandlungsposition enthalten sind. Viele Punkte, wie die geforderten zehn Prozent an Strukturelementen in den Agrarflächen, finden sich nicht mehr im Verhandlungsmandat der Abgeordneten. Von den Ansinnen der Kommission ist bestenfalls „das Gerippe“ übrig geblieben. 

Aber warum hat gerade die Landwirtschaft so große Probleme mit
speziell diesem Gesetz?

So wie wir den Kommissionsentwurf verstanden haben, war es erneut ein Versuch, den Green Deal über die Gemeinsame Agrarpolitik zu implementieren. Die gegenwärtige Kommission hatte dies bereits im Trilog zur aktuellen GAP-Periode versucht, ohne Erfolg. Wie wir wissen, wollte der vormalige EU-Vizepräsident Frans Timmermans schon damals 10 Prozent Stilllegung durchsetzen. Am Ende sind es 4 Prozent geworden. Über das NRL hat er dann erneut versucht, der Landwirtschaft die 10 Prozent Stilllegung aufzudrücken. Das lässt sich auch an den Reaktionen der Umweltorganisationen ablesen. Diese waren bitter enttäuscht, dass sich die besagten 10 Prozent nicht mehr im Verhandlungstext des Parlaments finden. Ein weiteres großes Problem besteht aus unserer Sicht auch mit dem „Nichtverschlechterungsverbot der Natur“.

Sehen Sie nicht die Gefahr, dass die Landwirtschaft durch ihr Beharren gegen das Naturwiederherstellungsgesetz in der öffentlichen Meinung eher als Verhinderer denn als Mitgestalter von mehr Natur- und Biodiversitätsschutz dasteht?

Das Gegenteil ist der Fall. Wir von COPA und COGECA stimmen sogar zu, dass wir einen stärkeren Schutz der Natur, der Biodiversität und des Klimas benötigen. Die alles entscheidende Frage ist allerdings, ob Vorschläge wie das NRL oder aber auch die nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln im SUR-Entwurf einen praxistauglichen Ansatz liefern, um die gesetzten Ziele zu erreichen. Es gibt ja bereits unzählige Gesetze hierzu. Oft fehlt aber schlichtweg die Praxistauglichkeit.

Konzerne wie Nestlé, Unilever und Ikea haben das Gesetz mit Nachdruck unterstützt… 

Es hätte diesen ja auch nichts gekostet. Sie hätten keine direkten Kosten des Pakets tragen müssen. Das Naturwiederherstellungsgesetz, so wie es die Kommission wollte, sah keinerlei Finanzhilfen zur Umsetzung der geforderten Maßnahmen vor. Am Ende wäre alles auf dem Rücken der Land- und Forstwirte und der Fischer ausgetragen worden. Eine Entschädigung vom Markt hätten wir genauso wenig bekommen.

Ist die in Brüssel zunehmende politische Konfrontation ein Vor- oder ein Nachteil?

Die Polarisierung ist für alle ein enormes Risiko. Am Ende des Tages würden alle verlieren. Wenn die konfrontative Stimmung sich so fortsetzt, wird die Landwirtschaft einer der ersten Verlierer sein. Wir fordern also alle Seiten auf, wieder konstruktiv miteinander zusammenzuarbeiten. Auch wir sehen die zunehmende Spannung zwischen den demokratischen Parteien mit Sorge. Das ist ganz klar nicht in unserem Interesse.

Pesonen: „Die entscheidende Frage ist, ob das NLR oder auch SUR einen praxistauglichen Anlass liefern, um die gesetzlichen Ziele zu erreichen .“

Was können COPA und COGECA dagegen unternehmen?

Wir gehen etwa Kompromisse bei der Unterstützung der Ukraine ein, obwohl viele Landwirte in den Mitgliedstaaten nahe der Ukraine unter den Folgen, wie den erhöhten Agrareinfuhren, leiden. Wir unterstützen zudem die EU-Solidaritätsrouten, um ukrainisches Getreide auf den Weltmarkt zu bekommen. Das ist für uns nicht immer leicht. Was wir unter keinen Umständen akzeptieren werden, ist, dass der Green Deal – so sehr wir diese Ziele in Teilen begrüßen – zulasten der Landwirte geht.

Vizepräsident Frans Timmermans ist mittlerweile bekanntlich in die niederländische Politik gewechselt. Sein Nachfolger ist der Slowake Maroš Šefcˇovicˇ. Was halten Sie von ihm?

Wir haben durchaus zur Kenntnis genommen, dass sich die Tonlage der Kommission uns gegenüber verbessert hat. Jetzt bleibt aber abzuwarten, was das konkret für die Praxis bedeutet.

Wie bewerten Sie die Rolle von EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski?

Er ist für die Landwirtschaft zuständig und wir versuchen, ihn in diesen wichtigen Fragen zu unterstützen. Politisch steht er als PiS-Politiker im Kollegium der Kommissare ziemlich allein da und hat nicht viele Verbündete, um dem Sektor zu helfen.

Ein anderes schwieriges agrarpolitisches Thema ist die SUR-Richtlinie.

Auch hier haben wir die EU-Kommission mehrfach gebeten, klar darzulegen, was die Auswirkungen auf die Nahrungsmittelerzeugung wären. Viel ist dabei nicht herausgekommen. Gerade in Spanien und Italien ist man mehr als besorgt, was aus der Gemüse- und Obstproduktion wird. Womit sollen die Bauern dort künftig ihr Geld verdienen? Finnland oder Schweden sind bei der Reduzierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes schon weit vorangegangen und haben nun wiederum Angst, dass sie noch weiter und über Gebühr die Anwendungen reduzieren müssen, während andere Länder weniger in Vorleistung gegangen sind.

Die Kommission und Teile des Europaparlaments scheinen von der geforderten Halbierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes bis 2030 nicht abrücken zu wollen. Sollten diese Vorschläge Gesetzeskraft erlangen, was braucht es dann, um einen zu starken Produktionseinbruch zu vermeiden?

Alternativen! Wir benötigen den gesamten Werkzeugkasten, der uns in der EU leider nicht in allen Bereichen zur Verfügung steht. Darauf haben wir die Kommission schon vor mehreren Jahren hingewiesen. Eine wichtige Alternative wären etwa die neuen Züchtungstechniken. Ich will keine übertriebenen Hoffnungen wecken, aber bei einigen Kulturen könnten wir zeitnah deutliche Fortschritte sehen. Immerhin geht der jetzt präsentierte Vorschlag der Kommission in die richtige Richtung, wenn auch reichlich spät.

Und wie stehen Sie zu den Handelsabkommen, speziell mit Blick auf die Mercosur-Übereinkunft?

Die Probleme bestehen hier weiter. Das Abkommen ist im Agrarsektor nicht ausbalanciert, und zwar zu Ungunsten der EU-Landwirtschaft. Nun sollen noch weitere Auflagen für sie dazukommen, wie eben das NRL oder die SUR. Das würde den Graben bei den Produktionsstandards noch weiter vergrößern.

Aktuell versucht die Kommission, den Südamerikanern über ein neues Nachhaltigkeitskapitel als Ergänzung zum ausgehandelten Vertrag höhere Produktionsstandards aufzuerlegen. Was halten Sie davon?

Leider werden die Regierungen des Mercosur dies kaum akzeptieren. Brasiliens Präsident Lula da Silva hat dies ja erst kürzlich in Brüssel unmissverständlich klargestellt. Er kann es politisch nicht und er will es auch nicht. Das Nachhaltigkeitskapitel würde voraussetzen, dass viele Gesetze gegen die Entwaldung oder zu mehr Tierwohl dort beschlossen und umgesetzt werden müssten. Die Staaten des Mercosur haben aber bereits klargestellt, dass das nicht passieren wird.

Wie bewerten Sie die laufenden Gespräche mit Australien?

Hier sind wir uns immerhin kulturell etwas näher. Allerdings müssen mit Australien unbedingt noch Lösungen für die sensiblen Produkte gefunden werden, allen voran für Rind- und Schaffleisch sowie Zucker. Dazu kommt der kumulative Effekt verschiedener Handelsverträge, etwa auf die gesamten Rindfleischeinfuhren der EU. Aus dem Mercosur hätten wir mit 99.000 Tonnen im Jahr zu rechnen. Das allein wäre eigentlich schon zu viel. Hinzu kommen noch rund 60.000 Tonnen aus dem CETA-Abkommen mit Kanada, 10.000 Tonnen aus dem Vertrag mit Mexiko und einige Tausend Tonnen aus dem Vertrag mit Neuseeland.

Also zu viel?

Dies sind in Summe fast 200.000 Tonnen Rindfleisch, vorwiegend hochwertige Teilstücke. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass es bereits einen Zugang auf den EU-Binnenmarkt für rund 300.000 Tonnen Rindfleisch gibt. All das könnte unsere Rinderhalter schnell in die Bredouille bringen. Gleichzeitig fährt die EU-Generaldirektion für Gesundheit Kampagnen gegen rotes Fleisch und gegen Zucker.

Zur Person

Pekka Pesonen aus Finnland ist Generalsekretär des EU-Ausschusses der Bauernverbände (COPA) und der ländlichen Genossenschaften (COGECA). Das Gespräch mit ihm führte Agra-Europe.

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  • Pekka Pesonen: COPA/COGECA
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AUTORBernhard Weber
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