Mit ihrem Abstimmverhalten beim Ratstreffen in Luxemburg sorgte Gewessler letztlich als „Zünglein an der Waage“ für die nötige „qualifizierte Mehrheit“ (55 % der EU-Länder, die mindestens 65 % der Bevölkerung repräsentieren) zur zeitnahen Umsetzung des „EU-Gesetzes zur Wiederherstellung der Natur“. Am Ende des Entscheidungsprozesses votierten 20 Länder (66,07 %) für das Renaturierungsgesetz, sechs Länder stimmten dagegen, ein Land – Belgien, das noch bis Ende Juni den EU-Ratsvorsitz bekleidet – enthielt sich seiner Stimmen.
Neben Österreich für das Gesetz stimmten Bulgarien, die Tschechische Republik, Dänemark, Deutschland, Estland, Irland, Griechenland, Spanien, Frankreich, Kroatien, Zypern, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Portugal, Rumänien, Slowenien und die Slowakei. Gegen das Gesetz sprachen sich Italien, Ungarn, die Niederlande, Polen, Finnland und Schweden aus, die für 31,32 Prozent der EU-Bürgerinnen und -Bürger stehen. Hätte sich Österreich also wie Belgien zumindest enthalten oder gemäß auch den Erkenntnissen des Verfassungsdienstes im Bundeskanzleramt folgend dagegen gestimmt, wäre keine Mehrheit für das EU-Gesetz zustande gekommen.
Kanzleramt bringt Klage gegen Ministerin ein
In Österreich gehen indes seit Montag, später Vormittag, die politischen Wogen hoch. Gewesslers Abstimmverhalten sei innerhalb der Regierung nicht abgesprochen gewesen und zudem nicht verfassungskonform, weil es gegen das Gesetz einen gültigen einheitlichen Beschluss der Länder gebe, in deren Zuständigkeitsbereich der Umwelt- und Naturschutz in Österreich fällt.
“Österreich wird Nichtigkeitsklage beim EuGH einbringen”, ließ eine Sprecherin von Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer die APA wissen. Christian Stocker, Generalsekretär der ÖVP, kündigte in einer Aussendung sogar an, sie werde Ministerin wegen Amtsmissbrauchs anzeigen, was unmittelbar darauf auch erfolgt ist.
Seit Sonntagnachmittag, als Gewessler ihr Abstimmverhalten vorab bekannt gegeben hat, ist sogar von einem möglichen Bruch der Koalition in den wenigen verbleibenden letzten Wochen dieser Legislaturperiode die Rede. Bekanntlich hat die Bundesregierung erst Anfang Juni den offiziellen Wahltermin für das nächste Parlament am 29. September verlautbart.
Bauernbund kritisiert beispiellosen Alleingang Gewesslers
Besonders erbost sind Bauernvertreter auf den beispiellosen Alleingang der Bundesministerin, die damit auch eine einheitliche Stellungnahme der Bundesländer gegen das umstrittene Renaturierungsgesetz negiert habe, erklärte ÖVP-Agrarsprecher und Bauernbund-Obmann Georg Strasser prompt nach der Abstimmung im Rat. „Das beschlossene EU-Renaturierungsgesetz wird zu massiven Einschnitten und unverhältnismäßig negativen Auswirkungen für die Landwirtschaft führen. Auch die Konsumenten werden die Folgen deutlich spüren, wenn 20 Prozent aller Flächen laut dem Gesetz allein bis 2030 wiederhergestellt werden müssen.“ Für Strasser bedeute das „im Klartext: Ein Fünftel der Gesamtfläche Österreichs darf nicht mehr wie bisher genutzt werden.“
„Wir unterstützen die bereits eingebrachte Strafanzeige
der Volkspartei. Gewesslers Vorgehensweise stellt einen eindeutigen Bruch der Verfassung dar. Derartige rechtswidrigen Alleingänge dürfen nicht ohne Konsequenzen bleiben.“
Georg Strasser, ÖVP-Agrarsprecher
Als mögliche Konsequenzen des Gesetzes nannte Strasser die Gefährdung der Lebensmittelproduktion in Natura-2000-Gebieten und damit steigende Lebensmittelpreise durch klimaschädliche Importe. Aber auch die Klimaschutzfunktion des Waldes sieht Strasser bedroht. Letztlich mache das Gesetz laut Strasser auch vor urbanen Regionen nicht halt.
So soll die Gesamtfläche der städtischen Grünflächen und der Baumüberschirmung steigen. „Das bedeutet, dass es steigende Einschränkungen im Wohnbau und in der Stadtentwicklung geben muss, bis hin zu notwendigen Rückbauten.“
Strasser hielt zudem fest: „Wir unterstützen die bereits eingebrachte Strafanzeige der Volkspartei. Gewesslers Vorgehensweise stellt einen eindeutigen Bruch der Verfassung dar. Derartige rechtswidrigen Alleingänge dürfen nicht ohne Konsequenzen bleiben.“
Auch der Präsident der LK Österreich, Josef Moosbrugger, meldete sich zu Wort: “Abgesehen davon, dass das Abstimmungsverhalten von Bundesministerin Gewessler laut Verfassungsdienst rechtswidrig ist, können wir das Gesetz auch aus fachlicher Sicht keinesfalls gutheißen.“ Laut Moosbrugger sei „der Umweltnutzen mehr als zweifelhaft, die Mehrbelastung für die Bäuerinnen und Bauern enorm und noch dazu herrscht nach wie vor vollkommen Unklarheit betreffend die Übernahme der Kosten von 154 Milliarden Euro, die laut EU-Kommissionsschätzung mindestens anfallen werden“.
Indes geht Bundeskanzler Nehammer davon aus, „dass der EuGH so rechtzeitig entscheiden wird, dass eine Vorlage von nationalen Wiederherstellungsplänen vorab nicht notwendig sein wird und damit die nicht notwendige Überregulierung unwirksam bleibt.”
- Bildquellen -
- Gras häckseln: Agrarfoto