Christine Lintner, Sie sehen sich in Ihrer Funktion als Bezirksbäuerin Kufstein auch als Botschafterin für regionale bäuerliche Produkte. Welchen Stellenwert nehmen dabei Almprodukte ein?
LINTNER: Unsere bäuerlichen Produkte werden generell unter hohen Standards in bester Qualität produziert. Almprodukte, die ja nur saisonal und begrenzt verfügbar sind, haben für mich etwas Besonderes, sie sind Premiumprodukte. Man schmeckt einfach einen Unterschied. Wir halten selbst keine Schweine und kaufen das Fleisch direkt von Berufskollegen zu. Wenn es möglich ist, gerne auch vom Almschwein. Frische Almbutter auf selbstgebackenem Brot, gut gereiften Käse dazu, womöglich noch direkt auf der Alm mit einem Glas Buttermilch – ein Genuss!
Sie betreiben mit Ihrer Familie einen Bauernhof in Kirchbichl, Biobetrieb im Zuerwerb und haben noch bis vor ein paar Jahren Jungvieh auf eine Gemeinschaftsalm getrieben, wie das ihr Bruder noch immer macht, aber eine eigene Alm war nie bei den Familienhöfen dabei. Bedauern Sie das manchmal?
Wir haben seit einigen Jahren die Jungviehaufzucht ausgelagert. Zuvor brachten wir unser Jungvieh auf die „Ellmauer Wirtsalm“ in Jochberg. Mittlerweile wechseln unsere Kälber im Alter von drei Monaten auf den Betrieb meines Bruders. Kurz vor der Abkalbung kommen die Tiere dann wieder auf unseren Betrieb zurück. Wir hatten nie eine eigene Alm. Wenn mir Bäuerinnen und Bauern von ihren Almsommern erzählen oder wir einen Sonntag bei Freunden auf der Alm verbringen, hätte man schon gerne selbst manchmal eine Alm. Im Bewusstsein, wie viel Verantwortung und Arbeit damit verbunden ist, bewundere ich all jene, die Familie, Heimbetrieb und Alm mit Freude unter einen Hut bringen.
Ihr eigenes Milchvieh treiben Sie nicht auf. Warum nicht?
Wir führen unseren Hof in Erwerbskombination. Milchwirtschaft ist eines unserer Hauptstandbeine. Im Sommer weiden unsere Tiere Tag und Nacht, ein Großteil unserer Flächen ist arrondiert. Wir haben hier gute Voraussetzungen, Bio-Milch mit wenig Aufwand zu erzeugen. Es wird wohl auch mit Tradition zu tun haben. So wie es für viele Betriebe dazugehört, im Sommer alle Tiere auf der Alm zu haben, könnten wir uns einen leeren Stall nicht vorstellen.
Sie sind auch auf Almen unterwegs, um sich über die Situation zu informieren und Erfahrungen auszutauschen. Welche Sorgen tragen speziell Almbäuerinnen an Sie heran?
Die Bewirtschaftung der Heimbetriebe und Almen im Sommer, die familiären Aufgaben wie Kinderbetreuung oder die Pflege von Angehörigen stellen vor allem Bäuerinnen vor Herausforderungen. Oft braucht es mehrere Generationen, die Familie muss zusammenhelfen, um die anfallenden Arbeiten zu bewältigen. Geeignetes Personal zur Unterstützung zu finden ist nicht immer einfach. Generationenkonflikte sind ein Thema, wobei hier der räumliche Abstand im Sommer durch Heim- und Almbetrieb oft auch positiv erwähnt wird. Neben der Problematik rund um Großraubtiere ist eines der Themen, die immer wieder angesprochen werden, Nutzungskonflikte. Wanderer, Mountainbiker und immer mehr E-Biker nutzen Almen und vor allem die für deren Bewirtschaftung angelegten Wege in ihrer Freizeit. Vielen ist nicht mehr bewusst, dass der Weg auf die Alm in erster Linie für die Bewirtschafter angelegt wurde und auch erhalten werden muss. Hinweistafeln, Schranken und ähnliche Maßnahmen werden oft nicht ernst genommen oder ignoriert. So kommt es immer wieder zu teils gefährlichen Situationen auf Almwegen.
Oft wird die Almbewirtschaftung als Liebhaberei betrachtet. Wieviel Wirtschaftlichkeit ist noch damit verbunden?
Zur Almbewirtschaftung gehört sicher Tradition, eine gewisse Liebe und Leidenschaft. Meiner Meinung nach gibt es kein Patentrezept für die Wirtschaftlichkeit. Wie jede Familie, jeder Betrieb ist auch jede Alm verschieden. Einige profitieren von einem Ausschank als zusätzliches Einkommen, andere vermieten an Urlaubsgäste; nicht jeder hat diese Möglichkeiten und auch die Voraussetzungen.
Idyllische Bilder von der gepflegten Kulturlandschaft in den Bergen zieren viele Lebensmittelverpackungen, die Bergkulisse mit den schönen Wanderwegen ist ein gefragtes Motiv, Freizeit und Urlaub hier zu verbringen. Es braucht aber nicht nur Wertschätzung der bäuerlichen Arbeit, sondern auch finanzielle Abgeltung.
Haben Sie eine starke emotionale Bindung zum Thema Alm?
Mit Fahrten auf die Alm, etwa um nachzuschauen, wie es unseren Tieren geht, Bergmessen oder Besuchen bei befreundeten Almbesitzern verbinde ich viele schöne Erinnerungen. Alm bedeutet für mich Entschleunigung. Eintauchen in einen anderen Alltag, der sich nicht nach Terminen richtet, sondern nach den Bedürfnissen der Tiere, den gerade notwendigen Arbeiten und der Witterung.
Zur Person
Christine Lintner, 48, verheiratet mit Hansjörg seit 1999, drei Kinder (geb. 1997, 1999 und 2005), aufgewachsen auf einem Bauernhof in Kirchbichl; Tourismusfachschule 1St. Johann, Tätigkeit in Hotels – Rezeption, Tourismusverband Kufstein und Kirchbichl bis 2005; Fachschule für Erwachsene – Hauswirtschaft, Meisterin für Betriebs- und Haushaltsmanagement; Ortsbäuerin von 2014 bis 2023; seit 2016 im Gemeinderat von Kirchbichl; seit März 2021 Bezirksbäuerin Bezirk Kufstein; seit Herbst 2021 Obfrau Ländliches Fortbildungsinstitut Tirol.
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