Wir schreiben das Jahr 1873. Die ganze Welt blickt in die Hauptstadt der Donaumonarchie. Erstmals findet eine Weltausstellung im deutschsprachigen Raum statt. Die Wahl fiel auf Wien, mit gut 900.000 Einwohnern damals immerhin viertgrößte Stadt rund um den Globus – einzig übertroffen von London, Paris und New York City.
“Ihr Wohlgeschmack, (…) die nie versagende Fruchtbarkeit, ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber Frostgraden und Trockenheit(…)”
Während Menschen aus vieler Herren Länder die neuesten technischen Errungenschaften der Menschheit bestaunen, haben es einem Professor der gerade erst gegründeten Hochschule für Bodenkultur besonders der japanische und chinesische Pavillon angetan. In diesen wird die Sojabohne einer breiten Masse vorgestellt. Der Professor heißt Friedrich Haberlandt, lehrt und forscht in Wien im Bereich Pflanzenbau und lernt auf der Ausstellung erstmals die Sojakultur kennen. Von diesem Tag an wird sie seine wissenschaftliche Arbeit bestimmen.
Für Haberlandt liegen die Vorteile der Eiweißpflanze auf der Hand. Wenige Jahre später schreibt er: „Die sicher constatirte Thatsache, dass sie mit ihrer nördlichen Verbreitungsgrenze über jene des Maises noch hinauszugehen vermag, der hohe Nährwerth (…) ihrer Samen, welcher den aller übrigen Samen und Früchte, die wir zu erbauen vermögen, weit übertrifft – ihr Wohlgeschmack, (…) die erstaunliche (…) nie versagende Fruchtbarkeit, ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber geringen Frostgraden, grosser und anhaltender Trockenheit, ihre völlige Immunität gegenüber den Schmarotzerpilzen und ihr ausserordentliches Anpassungsvermögen an die Boden- und klimatischen Verhältnisse.“
Ein Pionier in Wien
Ursprünglich stammt die Sojabohne von der Wildform „Glycine soja“ ab. Namentlich erstmals erwähnt wird sie vom chinesischen Kaiser Sheng-Nung (2.838 v. Chr.). Das genaue Herkunftsgebiet ist unbekannt und lässt sich lediglich auf die chinesische Mandschurei, Japan und Korea eingrenzen. Der Name Soja dürfte vom chinesischen Wort „sou“ (oder „soe“) zurückgehen und bedeutet nichts anderes als „große Bohne“. In der westlichen Welt war die Kultur bis ins 17. Jahrhundert gänzlich unbekannt, erste Berichte stammen von Geistlichen und Gelehrten, welche die oben genannten Gebiete bereisten.
Agrarwissenschaftliche Untersuchungen und Anbauversuche fanden jedoch erst nach der Wiener Weltausstellung 1873 statt, auf der Professor Haberlandt Samen 19 verschiedener Herkunftssorten erwarb. Zwischen 1875 und 1877 führte er damit erste Versuche in weiten Teilen Österreich-Ungarns, aber auch in Deutschland, der Schweiz und Holland durch. Der findige Wissenschafter befasste sich auch früh mit der Verwertung der eiweiß- und fetthältigen Bohnen (und führte Selbstversuche in seiner Küche durch).
Bereits 1878 veröffentlichte Haberlandt sein erstes Buch dazu, in dem er der Pflanze „eine grosse Zukunft in Mitteleuropa“ beschied und ihr eine Schlüsselrolle in der Verpflegung von Armeen, auf Schiffen und der armen Bevölkerung vorhersagte. Noch im selben Jahr verstarb Friedrich Haberlandt, in Wien kam seine Forschungsarbeit weitgehend zum Erliegen.
1879 nahm, basierend auf den Erfahrungen Haberlandts, der Versuchsanbau in den USA Fahrt auf. Nicht einmal 20 Jahre später förderte das US-Landwirtschaftsministerium den Sojaanbau auch finanziell. So gelang es den Vereinigten Staaten bis 1920, die Anbaufläche auf 384.000 Hektar auszuweiten.
Eiweißkultur gegen den Hunger
In Europa begann noch vor dem Ersten Weltkrieg die industrielle Verarbeitung der Bohnen zu Mehl, Kaffeeersatz, Margarine oder Substituten für Milch oder Rahm. Der bei der Ölgewinnung anfallende Extraktionsschrot wurde zunächst – mangels Verwendung – nach Dänemark exportiert. Als dort damit als Milchviehfutter gute Erfolge erzielt wurden, trat die Sojabohne auch ihren Siegeszug als Eiweißfuttermittel an, der bis heute ungebrochen ist.
Înteressantes Detail aus bäuerlicher Sicht: Um der industriellen Verarbeitung geschlossen die Stirn zu bieten, formierte sich hierzulande 1937 die erste Erzeugergemeinschaft. Der „Sojaring“ brach jedoch in den Wirren des Zweiten Weltkrieges wieder auseinander.
Nicht so der Sojaanbau. Dieser wurde im Dritten Reich, nicht zuletzt aufgrund des chronischen Nahrungsmangels, forciert, vor allem in der „Ostmark“. Sogar eine Umbenennung in „Deutsche Ölbohne“ wurde damals erwogen. Indes erweiterten auch die USA ihre Anbauflächen. In Übersee galt Soja bereits als das Futtermittel schlechthin. In den 1950er- und 60er-Jahren verlor der Sojaanbau in Österreich vorübergehend an Bedeutung. Erst steigende Preise für Sojaschrot und ein kurzzeitiges Exportverbot der USA machten den Versuchsanbau ab 1973 in Europa wieder populär. 1988 betrug der Sojaanbau hierzulande wieder gut 6.000 Hektar.
Soja ist nicht mehr wegzudenken
Heute, 25 Jahre später, ist die Sojabohne mit einer Anbaufläche von gut 92.500 Hektar nicht mehr aus den Fruchtfolgen auf Österreichs Feldern wegzudenken. Die 14.763 Sojabauern im Land befinden sich auf dem besten Weg, ein enormes Problem der EU-Landwirtschaft – die Eiweißlücke – zu schließen. „In Österreich ist die Sojabohne 2022 bereits zur viertwichtigsten Feldfrucht geworden. Das war vor zehn Jahren noch unvorstellbar“, weiß auch Boku-Professor Johann Vollmann, einer der Initiatoren und Organisatoren des kommenden Welt-Soja-Kongresses (anlässlich des Jubiläums 150 Jahre Weltausstellung) in Wien. Von 18. bis 23. Juni werden Hunderte Wissenschafter, Produzenten und Verarbeiter aus aller Welt in der Donaumetropole die kommenden Herausforderungen für den Sojabohnenanbau diskutieren.
„Die weltbesten Sojaexperten werden in Wien sein, um die allerneuesten Forschungsergebnisse auszutauschen.”
Auch den wissenschaftlichen Vorsitz der Veranstaltung hat Vollmann inne. Als Sojabohnenexperte auch in die historischen Fußstapfen von Friedrich Haberlandt zu treten stimmt den Wissenschafter nachdenklich: „Noch heute haben wir an der Boku Originalsamen aus seiner Sammlung. Auch wenn sich Methoden und Forschungsfragen geändert haben, knüpfen wir doch an dessen Werk an, das auch nach 150 Jahren noch von größter Relevanz ist.“ Entsprechend hoch sind auch die Erwartungen an das Event: „Die weltbesten Sojaexperten werden in Wien sein, um die allerneuesten Forschungsergebnisse auszutauschen.“ Die Teilnahme am Kongress ist für Interessenten nach Anmeldung möglich.
Details: www.wsrc11vienna.com
Auch das Museum für Volkskunde in Wien widmet sich anlässlich 150 Jahre Weltausstellung der Sojaforschung von Haberlandt: volkskundemuseum.at
- Bildquellen -
- F. Haberlandt: volkskundemuseum.at
- Japans Pavillon: wikimedia commons
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