Seit einem Jahr fungiert das Fairness-Büro als Anlaufstelle für Bäuerinnen und Bauern sowie Lebensmittelverarbeiter, die von unfairen Handelspraktiken betroffen sind. Der erste Tätigkeitsbericht liegt vor und bestätigt, dass es entlang der Lebensmittelkette ein enormes Ungleichgewicht und Missbrauch der Marktmacht gebe. Bäuerliche Familienbetriebe und Lieferanten seien wegen der sich zuspitzenden Machtverhältnisse am Markt zunehmend mit Angst und Druck der drei großen Händler konfrontiert. Das haben Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig und der Leiter des Fairness-Büros, Johannes Abentung, bei der Präsentation des ersten Berichtes mitgeteilt.
Die drei größten Handelsketten vereinen 2023 fast 90 % Marktanteil auf sich, die Tendenz in den vergangenen Jahren war stark steigend. „Die Lebensmitteleinzelhändler werben mit fröhlichen Bildern und Landwirten als Partnern, doch der Schein trügt. Im Hintergrund gibt es harte Preisverhandlungen, Auslistungen und aufgezwungene Bedingungen”, so Minister Totschnig. Aus diesem Grund habe man auf Initiative des Landwirtschaftsministeriums 2019 auf EU-Ebene die Richtlinie zu unfairen Handelspraktiken beschlossen, diese EU-Richtlinie 2021 in Österreich umgesetzt und 2022 das Fairness-Büro installiert. Dort können seit einem Jahr sämtliche Akteure entlang der Lebensmittelkette anonym und kostenlos ihre Probleme mit Händlern, Verarbeitern und Handelsketten einbringen. Man habe das Fairness-Büro gegründet, um im Kampf gegen unfaire Handelspraktiken zu unterstützen und stellte nach einem Jahr Tätigkeit fest: „Das Start-up hat kräftig an Fahrt aufgenommen.”
Rabattaktionen und – 25%-Pickerl zahlen sich Lieferanten oft selbst
„Das unabhängige Fairness-Büro sorgt für mehr Gerechtigkeit und Transparenz in der Lebensmittelkette. Es fungiert wie ein Radar und spürt das Ungleichgewicht in der Verhandlungsmacht auf”, so Totschnig, der weiter auf die konkreten Fälle eingeht: „Wir alle kennen Rabattaktionen wie das ‘-25 %-Rabattpickerl’‚ ‘1+1 gratis’ oder ‘-25 %-Wochenendrabatte’. Beschwerden an das Fairness-Büro zeigen, dass die Kosten dafür oft die Lieferanten selbst tragen müssen – sonst wurde auch schon mit einer Auslistung gedroht“, so Totschnig. Was sich Kunden bei solchen Aktionen an Geld sparen, reduziere eben nicht den Gewinn der Konzerne, sondern jenen der Lieferanten und bäuerlichen Produzenten. „Wenn Rabattaktionen zu einem guten Teil der Produzent bezahlen muss, dann macht der Handel die Opfer zu Komplizen”, ergänzte Abentung. Die Margen seien im vergangenen Jahr bei den Lebensmitteleinzelhändlern nicht zurückgegangen, bei Lieferanten aber schon. Es sei teilweise unrichtig, dass Rabattaktionen von Handelsketten selbst übernommen werden, wie oft behauptet.
Jede Woche vier Beschwerden
Über 200 Beschwerden wurden in einem Jahr entgegengenommen. Davon waren 21 substanzielle Beschwerdefälle mit eindeutigem Missbrauch der Verhandlungsposition. Beschwerdeführer waren seltener Bäuerinnen und Bauern, oft aber Verarbeiter, die direkt an Genossenschaften, Erzeugergemeinschaften oder den Lebensmitteleinzelhandel liefern. „Jede Woche beschweren sich im Schnitt vier Lieferanten wegen unfairer Handelspraktiken beim Fairness-Büro. Diese Beschwerden haben bereits im ersten Arbeitsjahr das Ungleichgewicht in der Verhandlungsmacht zwischen Produzenten und größeren Käufern bestätigt“, sagt Abentung. „Der Vorteil des Fairness-Büros ist, dass Betroffene von unfairen Handelspraktiken frei und ohne Angst vor Vergeltungsmaßnahmen, wie zusätzlichen Preisdruck oder Auslistungen, Missstände aufzeigen können. Sämtliche Anliegen im Zusammenhang mit dem Verkauf von Lebensmitteln werden stets anonym und vertraulich behandelt. Ich kann nur jeden Betroffenen dazu aufrufen, sich zu melden“, so Abentung.
Abentung: „Der beherrschende Faktor ist Angst”
Konkret handle es sich um Beschwerden über aggressive Preispolitik und Aktionen auf Kosten der Produzenten, aufgezwungene Vertragsbedingungen sowie die Zunahme von Eigenmarken und vertikaler Integration. Manchmal hätten bäuerliche Lieferanten, die sich anonym melden, nicht einmal schriftliche Verträge mit den Abnehmern in der Hand. Kleine Lieferanten hätten vielfach Angst, Fehler zu machen und ihr Einkommen zu verlieren, wenn sie sich den Forderungen der großen Abnehmer nicht beugen würden. Das zeigt laut Abentung, wie viele Unsicherheiten es entlang der Wertschöpfungskette gebe. Diese gelte es vermehrt sichtbar zu machen und damit die großen Marktteilnehmer zu mehr Disziplin und Fairness in der Zusammenarbeit zu bewegen.
„Wir sehen uns als Radarstation und glauben, dass Transparenz ein wesentlicher Beitrag ist, um dem Missbrauch der Marktmacht zu begegnen”, so Abentung. Auf die Frage, was das Fairness-Büro bewirken würde, antwortete Abentung: „Wir haben teils über Umwege mitbekommen, dass Unternehmen und Händler ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen verlängert haben.” Auch zeige der Bericht der Kollegen aus Deutschland, dass es in Österreich deutlich mehr Beschwerden gibt als im großen Nachbarland, wo in einem Jahr lediglich fünf Verfahren eingeleitet wurden.
Erkenntnisse des 1. Tätigkeitsberichtes
Aggressive Preispolitik und Aktionen auf Kosten der Produzenten
- Große Käufer nutzten die wirtschaftlichen Herausforderungen im vergangenen Jahr, um mit ihrer Verhandlungsmacht Preisdruck auf schwächere Lieferanten auszuüben.
- So wurden etwa die Kosten von -25 %-Wochenend-Aktionen, -25 %-Rabattpickerln sowie zusätzliche Umsatzrabatte von Handelsketten oft auf die Lieferanten und Produzenten abgewälzt. Diese tragen zwar die Kosten, haben aber kein Mitbestimmungs- oder Widerspruchsrecht, da andernfalls Konsequenzen drohen.
Beispiel: Ein Handelskonzern legt einem Lieferanten eine Vereinbarung vor, die Jahresrabatte und die Teilnahme an -25 %-Rabattaktionen beinhaltet. Der Lieferant hat faktisch kein Widerspruchsrecht, weil der Rabatt im Vertrag „vorab vereinbart“ wurde. In Wirklichkeit hat der Lieferant aber keine Wahl, da bei Verweigerung ein Teilnahmeverbot an künftigen Aktionen oder gar die Auslistung seiner Artikel droht.
Aufgezwungene Vertragsbedingungen
- Das starke Ungleichgewicht zwischen kleinen Lieferanten und großen Käufern wird nicht nur in Beratungsgesprächen mit dem Fairness-Büro erläutert, sondern spiegelt sich auch in Verträgen und Allgemeinen Geschäftsbedingungen wider.
- Dies wird auch dann offensichtlich, wenn der Lieferant nach vertraglich vereinbarten Preisanpassungen fragt und diese regelmäßig verweigert werden.
Beispiel: Wie alle Österreicherinnen und Österreicher ist auch die heimische Landwirtschaft massiv von den steigenden Energie- und Betriebskosten betroffen. Ein Landwirt benötigt deshalb dringend die vertraglich vereinbarte Preisanpassung von seinem Käufer. Alle Anfragen zu Gesprächsterminen werden von diesem verweigert oder dieser teilt mit, dass ausschließlich zum ursprünglich vereinbarten Preis gelieferte Ware akzeptiert wird.
Zunahme an Eigenmarken und vertikaler Integration
- Der Anteil an Eigenmarken nimmt im Lebensmitteleinzelhandel immer mehr zu.
- Damit steigt nicht nur die Verhandlungsmacht der Handelskonzerne, sondern auch die
- Austauschbarkeit von heimischen Lebensmitteln und Produzenten.
Tendenzen zeigen, dass internationale Handelskonzerne ihre bisherigen Lieferanten aus der Lebensmittelproduktion übernehmen.
Beispiel: Ein Handelskonzern verlangt von einem Produktionsbetrieb einen gewissen Produktionsanteil für seine Eigenmarke in gleicher Qualität, aber mit deutlich geringerem Preis. Bei Verweigerung droht die Auslistung des Markenproduktes.
Infos unter Tätigkeitsbericht
- Bildquellen -
- Pressekonferenz zum 1. Jährigem Bestehen des Fairness Büros: BML/Hemerka
- Pressekonferenz zum 1. Jährigem Bestehen des Fairness-Büros: BML/Hemerka