Vor Entnahme von sogenannten Problem- bzw. Schadwölfen, die sich in ihrem Beuteschema auf Alm- und Weidetiere konzentrieren, muss laut derzeit geltenden gesetzlichem Rahmen zuerst versucht werden, den Wolf mit Herdenschutzmaßnahmen von Almtieren fernzuhalten. Einzige Ausnahme: Herdenschutz ist dort nicht umsetzbar. Und um genau das festzustellen, soll von nun an der Leitfaden Zumutbarkeitskriterien für einen machbaren und wirksamen Herdenschutz vorgeben. „Dieser jetzt vorliegende, von Experten ausgearbeitete Leitfaden bildet meines Erachtens eine gute Basis, um im Einzelfall rasch und unbürokratisch Entscheidungen zu treffen. Denn wie uns die Erfahrungen aus dem vergangenen Almsommer zeigen, müssen die Entscheidungsprozesse wesentlich verkürzt werden, damit man rasch Problemwölfe entnehmen und somit weiteres Tierleid auf unseren Almen verhindern kann“, so Raggl weiter. Damit dieser Leitfaden grenzüberschreitend im gesamten Alpenraum zur Anwendung gelangen kann, müssen auch unsere Nachbarstaaten entsprechende Leitlinien erlassen. Bayern ist hier bereits sehr weit und verwendet die gleichen Zumutbarkeitskriterien für Herdenschutz.
Wunschdenken vs. Realität
Erste Kritiker des Leitfadens bemängeln bereits, dass bei dessen Anwendung in den alpinen Bundesländern nur ganz wenige Almen übrig bleiben, die mit zumutbarem Aufwand vor Wölfen geschützt werden können. Dem hält Raggl entgegen: „Hier müssen sich Wolfsbefürworter vom Wunschdenken verabschieden, dass ein Miteinander von Wolf und Weidetieren so einfach machbar ist. Die Experten haben hier klar aufgezeigt, dass die Realität eben ganz anders aussieht.“
Zumutbarkeit nicht gegeben
Zum einen greift im hochalpinen Tiroler Almgebiet die Umzäunung nicht: Wenn das Gelände über 40 Grad steil ist, können Wölfe einen Zaun, der sogar über 1,70 Meter hoch ist, locker überspringen. „Die Errichtung dieser Zäune auf mehreren Kilometern ist auf unseren Almen weder zumutbar noch finanzierbar und zum anderen also absolut wirkungslos“, so Raggl.
Weiters erklärt er, dass für die Haltung sogenannter Herdenschutzhunde, also spezieller Hunderassen, die mit der Schafherde aufwachsen, zusammenleben und dementsprechend beschützen, in Österreich die rechtliche Grundlage gänzlich fehlt: „Auch hier gilt es den Tierschutz ins Auge zu fassen. Laut Tierhalteverordnung müssen Hunde, die im Freien gehalten werden, zwei Mal täglich Sozialkontakt mit Menschen bekommen und darüber hinaus brauchen sie eine gedämmte Schutzhütte. Diese Tierschutzvorgaben sind laut dem ausgearbeiteten Leitfaden für Herdenschutzhunde auf Tiroler Almen nicht erfüllbar, weil die Hunde im Verbund mit ihren Weidetieren leben müssen.“
Im Falle der Behirtung haben die Pilotprojekte im Tiroler Oberland bereits deutlich die Grenzen der Machbarkeit aufgezeigt. „Auf einer Alm musste innerhalb eines Almsommers acht Mal ein neuer Beihirte gesucht werden, weil der Arbeitsaufwand schlichtweg nicht schaffbar und zumutbar war“, so Raggl. „Gegen den Einsatz von Hirten spricht zudem auch das Arbeitsrecht. Wegen der gesetzlichen Arbeitszeitbegrenzung braucht es mindestens zwei Hirten pro Herde. Die enormen Personalkosten sind nicht durch Förderungen abdeckbar und deswegen für die Almbauern unzumutbar, gar nicht zu reden von dem Problem, dass das Hirtenpersonal praktisch nicht zur Verfügung steht.“ Dazu gibt Raggl zu bedenken, dass gerade im hochalpinen Gelände es top ausgebildete Hirten braucht, die die Herden sicher lenken, Krankheiten erkennen, das Wetter und die Futtergrundlage einschätzen können. „Da reden wir von top ausgebildeten Menschen, die noch dazu mit viel Hausverstand und Erfahrung ausgestattet sind, und die zu finden ist sicherlich nicht leicht.“
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