“Pfarrer von Tirol” nennt man den am 28. Mai 1867 auf dem Eggerhof in der Gemeinde St. Veit in Defereggen zur Welt gekommenen Sebastian Rieger, bekannt als „Reimmichl“, der “Tag- und Nachtschreiber Gottes“, der mit 200 Geschichten und 60 Büchern zum bis heute unerreichten Tiroler Volksschriftsteller wurde. Er war der Heimatschriftsteller im Talar, der Kalendermann, der mit seinen Geschichten den Menschen aus der Seele sprach.
Das Elternhaus hat ihn geprägt. Der Vater war ein frommer, weltgewandter Mann, der den Sommer über als Kaufmann in der Fremde weilte und bis Prag, Budapest und Lemberg kam, wintersüber aber zu Hause war, die Mutter eine herzensgute humorvolle und erzählfreudige Frau, die zu ihren fünf eigenen Kindern noch zehn andere großzog. Der Rosenkranz war am Eggerhof eine Selbstverständlichkeit.
Der kleine Wastl war ein vorzüglicher Schüler. Er ging immer über das Gsieser Törl zur Zughaltestelle nach Welsberg zu Fuß, um schließlich ins Bischöfliche Knabenseminar nach Brixen zu gelangen, wo er das Gymnasium mit ausgezeichnetem Erfolg abschloss und dann “übers Brüggele” in das Seminar wechselte. Auch hier studierte er mit großem Fleiß, war aber, wie zuvor schon im Gymnasium, zu allerlei lustigen Streichen aufgelegt. Am Peter und Paulstag des Jahres 1891 empfing er in Brixen aus der Hand von Fürstbischof Simon Aichner die Priesterweihe, die festliche Primiz feierte er in seinem Heimatort St. Veit. Die folgenden Kooperatorenjahre führten ihn nach Stilfes bei Sterzing, Sexten, Dölsach und Taufers. In Sexten erfolgte gewissermaßen der Start zu seinem öffentlichen Wirken. Dort lebte ein Schuster namens Michl, der eine Fülle von lustigen Geschichten zu erzählen wusste. Der Kooperator schrieb sie nieder und schickte sie an den 1892 gegründeten “Tiroler Volksboten”, der sich am 22. Dezember 1892 als “Blatt zur Belehrung und Unterhaltung des katholischen Volkes” unter der Schriftleitung von Dr. Sigismund Waitz, dem späteren Weihbischof von Brixen und Fürsterzbischof von Salzburg, vorstellen konnte. Dort veröffentlichte der junge, damals noch ganz unbekannte Kooperator von Sexten, Sebastian Rieger, Beiträge und volkstümliche Erzählungen, die aber nicht mit vollem Namen, sondern nur mit R. oder mit S.R. zeichnete. Schon die ersten Geschichten fanden Anklang und ließen die einfachen Leute aufhorchen. Seit 1894 erschienen die lustigen Geschichten dort unter dem Titel “Was der Reimmichl erzählt”, ein Name, der Sebastian Rieger bleiben sollte.
Sebastian Riegers Mutter, die dem jungen Seelsorger die Wirtschaft führte, fragte eines schönen Tages ihren Sohn: “Ich les’ da immer diese netten Geschichten, die ein ganz neuer Erzähler unter dem Namen “Reimmichl” schreibt. Kennst du den?” Reimmichl ließ seine Mutter vorläufig noch im Ungewissen …! In Sexten entstand das “Tiroler Hirtenspiel” und das Buch “Weihnacht in Tirol”. In eine seiner ersten größeren Erzählungen, in den “Fahnlbua”, hat Reimmichl sein zur zweiten Tiroler Volkshymne gewordenes “Tirol isch lei oans” eingefügt. Auf der Plose oberhalb von Brixen soll Vinzenz Goller Reimmichls Verse vertont haben.
Kein Wunder, dass ihn Prälat Dr. Aemilian Schöpfer im Jahre 1897 in die Redaktion des „Tiroler Volksboten“ holte. 1898 wurde er Expositus in Gries am Brenner, von wo aus er zusammen mit seinem Mitschüler und Freund Josef Grinner den “Volksboten” redigierte. Als er die Zeitung übernahm, hatte sie 3000 Stück Auflage, nach drei Jahrzehnten 45.000. 1914 übersiedelte er nach Heiligkreuz bei Hall. Mit seinen Erzählungen im “Bötl” traf er die Herzen des Volkes. Sein politisches und journalistisches Engagement in der christlich-sozialen Bewegung darf nicht übersehen werden: Er zählte 1904 zu den Gründern des Tiroler Bauernbundes, er führte im selben Jahr eine Dienstbotenehrung durch, bei der 402 Knechte und Mägde als Dank für ihre Treue im “Bötl” genannt wurden.
Ab 1920 widmete er sich besonders seiner originellen Erfindung eines “Tiroler Kalenders”, der ab 1925 “Reimmichls Volkskalender” hießt. Besonderen Wert legte er auf das Kalendarium, um so den Lesern das Kirchenjahr nahezubringen. Er selbst sorgte aber auch für Anekdoten. Als Kooperator von Dölsach wollte Reimmichl seinen Priesterkollegen Anton Müller in Nikolsdorf, später genannt Bruder Willram, schocken, indem er ihm eine von ihm gefälschte, mit dem Stempel des fürstbischöflichen Ordinariates zu Brixen versehene Urkunde mit der Versetzung nach Kals übermitteln ließ. Einen Tag lang ärgerte sich Bruder Willram darüber, der immer gerne nach Innsbruck gehen wollte, bis ihm der Übeltäter einfiel …!
Reimmichl wurde so zum “Pfarrer von Tirol” – wie man ihn nannte – über seinen Tod am 2. Dezember 1953 hinaus.
Dr. Heinz Wieser