Wenn die Frauen im Kurs ankommen, haben sie die größte Hürde schon geschafft. Nämlich sich selbst einzugestehen, dass ihnen Hilfe von außen gut tut. “Es hat mich einige Überwindung gekostet”, sagt auch Gabriele Kreuzer. Über eine anonyme Empfehlung wurde sie von der SVB zu einem ersten Informationsgespräch eingeladen. Jetzt ist die 44-Jährige eine von 15 Teilnehmerinnen der SVB-Gesundheitsaktion “Frauen in besonderen Situationen”.
Gabriele Kreuzer “schupft” zuhause im Großarltal (Salzburg) Familie, Haus und Hof. Ihr Mann ist psychisch krank, die drei gemeinsamen Kinder sind 18, 15 und 10 Jahre alt, der Betrieb wird mit Unterstützung der Schwiegereltern im Vollerwerb mit Mutterkuhhaltung sowie Almbewirtschaftung samt Ausschank geführt. “Daheim ist man so beschäftigt, da vergisst man auf sich. Man hört nicht auf den Körper. Wie es einem innerlich geht, beachtet man nicht”, sagt Gabriele Kreuzer: “Man funktioniert.” Bis einem die Kraft ausgeht…
Auch die Seele kann leiden
“Ich kann nicht mehr: Diesen Satz hören wir hier oft”, sagt Walter Schmid. Er ist Lebens- und Erziehungsberater und begleitet seit 13 Jahren den Turnus in Pühret. Die Gesundheitsaktion “Frauen bzw. Männer in besonderen Situationen” (Info siehe untenstehend) gibt es bereits seit 1991 und wird an sechs Standorten in ganz Österreich angeboten. 1877 Bäuerinnen und Bauern, davon 826 aus Oberösterreich, haben in den bisher 111 Turnussen teilgenommen.
Die “besonderen Situationen” sind vielfältig: Die Schwiegermutter, mit der man nicht zurechtkommt, der Partner, der einen nicht versteht, die Arbeit, die einem zuviel wird oder der Tod eines Familienangehörigen, über den man nicht hinwegkommt. “Die Menschen sollen hier aus ihrem gewohnten Rhythmus herauskommen. Gemeinsam suchen wir nach Lösungen, die sie dann zuhause anwenden können”, sagt Schmid.
In Gruppen- und Einzelgesprächen werden die Teilnehmer während der zwei Wochen vom Beraterteam betreut. Wichtig sind aber auch der Erfahrungsaustausch mit den anderen Teilnehmern und die körperliche Erholung.
Mut, an der eigenen Situation etwas zu ändern
“Die größte Herausforderung für die Teilnehmerinnen ist, alles freizugeben, was sie gefühlsmäßig beschäftigt”, erzählt Walter Schmid. Wie der neue Traktor geht oder was gekocht wird, seien oft die Fragen, die am Bauernhof gestellt werden. “Die Fassade aufrechtzuerhalten” erscheine wichtiger, als zu fragen, “wie es einem wirklich geht”, so Schmid. Denn sich mit dem eigenen Leben auseinanderzusetzen, erfordert Kraft und Überwindung. “Das ist anstrengender, als wenn ich aufs Feld gehe”, drückt es Gabriele Kreuzer treffend aus. Sie ist froh, dass sie hierher gekommen ist: “In kleinen Schritten werden Lösungen erarbeitet, die ich versuche umzusetzen.”
Mit dieser Zuversicht fährt auch Margit Tax nach Hause. Die 55-jährige Bäuerin aus Piberegg (Steiermark) hat vor drei Jahren ihren Sohn bei einem Unfall verloren. Sie erzählt: “Man lernt sein Problem anzusprechen, es anzunehmen und versucht daran zu arbeiten.” Und noch etwas hat sie hier gelernt: Dass man Erholung in Anspruch nehmen kann und soll. Das Betreuerteam in Pühret will den Bäuerinnen Mut machen, an der eigenen Lebenssituation etwas zu ändern.
“Das vertraute Unglück ist uns oft lieber als das unvertraute Glück”, beschreibt Schmid dieses in vielen verankerte Verhalten. “In 14 Tagen können wir nicht ein komplettes Leben umstellen”, sagt Eva Spitzauer-Benedikt vom Betreuerteam: “Aber wir können helfen, dass die Menschen eine neue Perspektive bekommen.” Das Motivierendste an der Arbeit sei, dass “eine Lebensverbesserung für alle Beteiligten mit wenig Aufwand möglich ist”, so Schmid. Den Betreuungserfolg sieht er an den Gesichtern der Teilnehmerinnen am Anfang und am Ende des Kurses: “Sie werden frei”, sagt Schmid.
“Es zehrt wirklich wahnsinnig”
Ähnliche Erfahrungen schildern die Teilnehmerinnen der Gesundheitsaktion “Pflegende Angehörige”: Körperlich beziehungsweise seelisch erschöpft, weil sie oft bereits jahrelang jemanden pflegen. “Es zehrt. Es zehrt wirklich wahnsinnig”, erzählt eine der Kursteilnehmerinnen. Sie bewirtschaftet mit ihrem Mann einen landwirtschaftlichen Betrieb im Vollerwerb, hat drei Kinder und pflegt seit vier Jahren ihre Schwiegereltern, die an Inkontinenz und Aggressionszuständen leiden. “Man arbeitet und schläft und funktioniert einfach.”
Hilfe durch außerhäusliche Pflege kam für die Schwiegereltern lange nicht infrage, von den Geschwistern ihres Mannes kam keine Unterstützung, die Beziehung zu ihrem Mann stand aufgrund der belastenden Situation an der Kippe. Nur wenn Besuch kam, wurde der “Schein nach außen” gewahrt. “Irgendwann bin ich gekippt”, erzählt die Mitt-Vierzigerin von der Extremsituation und kann sich nur schwer ihrer Tränen verwehren. Erst beim Kurs hier wird ihr bewusst, “wie weit unten” sie schon ist. Und auch eine andere Teilnehmerin erzählt: “Diese Erholung hätte ich schon viel früher gebraucht.”
Körperliche und seelische Erholung
Mit der SVB-Gesundheitsaktion “Pflegende Angehörige” (Info siehe untenstehend) will man den Betroffenen vor allem eines sagen: Es ist erlaubt und wichtig, rechtzeitig auch an sich selbst zu denken. In keinem anderen Versichertenkreis werden so viele Menschen zu Hause gepflegt wie im bäuerlichen Bereich. Das zweiwöchige Präventionsangebot gibt es seit 1998 und wird an zehn Standorten in ganz Österreich (drei in Oberösterreich) angeboten. An den seitdem stattgefundenen Turnussen haben 3095 Bäuerinnen und Bauern teilgenommen, 1151 aus Oberösterreich.
Während des 14-tägigen Aufenthaltes steht die körperliche und seelische Gesundheit und Erholung im Mittelpunkt. Die Teilnehmer erhalten von Fachleuten außerdem Tipps und Hilfen für die Pflege. “Hier ist es wie im Paradies”, sagt eine Teilnehmerin und schon daran merkt man, auf wie vieles sie im Alltag verzichten muss. Nach ihrer Abreise wollen die Bäuerinnen zuhause einige Dinge ändern: Etwa den Partner mehr in die Pflege einbinden, auch dessen Geschwister in die Verantwortung nehmen oder über eine Unterstützung von Hilfsorganisationen nachdenken.
Und hoffentlich auch neuen Lebensmut mitnehmen, denn – so erzählt die Bäuerin, die ihre Schwiegereltern pflegt: “Ich habe schon lange nicht mehr so gelacht wie hier.”
Gesundheitsaktion: Besondere Situationen
Die SVB-Gesundheitsaktion spricht Frauen und Männer in belastenden Situationen an. Dies kann bei Generations- und Partnerkonflikten, bei Arbeitsüberlastung oder einem Todesfall in der Familie sein. Teilnehmen können Frauen (bis 60) und Männer (bis 65), die einen landwirtschaftlichen Betrieb führen oder dort hauptberuflich beschäftigt sind und bei der SVB kranken- und/oder pensionsversichert sind. Bei einem Infogespräch wird über die Teilnahme entschieden. Der Aufenhalt dauert zwei Wochen und schließt zwei dreitägige Nachfolgetreffen ein. Die Kostenbeteiligung beträgt 96,67 Euro (ermäßigt) oder 208,25 Euro. Der Kurs beinhaltet Beratung in Gruppen- und Einzelgesprächen, ein Aktivprogramm für körperliche und seelische Erholung und ein vielfältiges Rahmenprogramm.
Orte und Termine: www.svb.at/termine Information und Anmeldung: www.svb.at, 0 732/76 33-43 72, gesundheitsaktionen@svb.at
Gesundheitsaktion: Pflegende Angehörige
Die SVB-Gesundheitsaktion ist gedacht für Personen mit körperlicher und/oder seelischer Belastungs-situation durch die Pflege eines Angehörigen sowie Personen mit chronischem Erschöpfungs- und Ermüdungszustand. Teilnehmen können Frauen und Männer, die bei der SVB kranken- und/oder pensionsversichert sind oder in der Krankenversicherung anspruchsberechtigt sind oder Pensions-bezieher sind. Weiters müssen diese Personen die Hauptlast der Pflege einer Person tragen, die Pflegegeld bezieht. Der Aufenthalt dauert zwei Wochen, die Kostenbeteiligung beträgt 96,67 Euro (ermäßigt) oder 208,25 Euro. Der Kurs beinhaltet Fachvorträge und Beratung zur Pflege, ein Aktivprogramm für körperliche und seelische Erholung und ein vielfältiges Rahmenprogramm.
Orte und Termine: www.svb.at/termine Information und Anmeldung: www.svb.at, 0 732/76 33-43 70, gesundheitsaktionen@svb.at