“Ich habe meinen Vater nur einmal in meinem Leben weinen gesehen: Als ihm bewusst wurde, dass er durch die Scheidung von meiner Mutter die Hälfte seines Besitzes verlieren würde.” Diesen Satz stellt Sigmund Steiner an den Beginn seines Debütfilms “Holz Erde Fleisch” und fragt sich, warum Familienbesitz wichtiger zu sein scheint als die eigene Familie.
Auf der Suche nach Antworten trifft er drei Bauern: den Waldviertler Forstwirt Martin Gerstorfer, den Weinviertler Gemüsebauer Matthias Hertl und den Schafzüchter Herbert Lang aus der Steiermark. Steiner begleitet sie bei ihrer Arbeit im Wald, auf dem Feld und beim Schlachten eines Schafes. Mit einer geruhsamen Inszenierung schafft er drei Portraits, die sich zu einem wunderbaren Bild des bäuerlichen Lebens zusammenfügen. Der Film interessiert sich nicht wie viele andere Dokumentationen über die Landwirtschaft für Regelungen oder fachliche Details und verliert sich auch nicht in Agrarromantik. In beeindruckender Schlichtheit zeichnet er vielmehr die Denkweise der Bauern nach. “Der Boden gehört mir nur für eine Weile”, bringt das etwa Gemüsebauer Matthias Hertl zum Ausdruck. Oder auch Martin Gerstorfer, wenn er sich nicht als Besitzer, sondern als “momentan Zuständigen” für seine Forstwirtschaft sieht.
In sehr persönlichen Gesprächen mit den Bauern wird auch der Generationenfrage viel Platz eingeräumt. Man spürt den Stolz der Väter, wenn ihre Söhne in ihre Fußstapfen treten, aber genauso auch die Sorge, dass sie sich vielleicht anders entscheiden. “Einer sollt‘s schon machen, sonst ist alles aus. Wenn jeder Betrieb stirbt, wer deckt dann den Tisch?”, fragt sich der Gemüsebauer, dessen Sohn im Film ebenso mit seiner Sicht auf die Landwirtschaft zu Wort kommt. Die ausschließlich in Außenaufnahmen festgehaltenen Schauplätze verstärken den Eindruck der Verwurzelung der Bauern mit ihrem Arbeitsalltag. Genau in diesen vertrauten Situationen gewähren die Protagonisten aber auch emotionale Einblicke in ihr Inneres. Erinnerungen an seinen Vater, der mit Zuwendung sparsam umgegangen ist, werden etwa bei Schafzüchter Herbert Lang geweckt. So ist die Dokumentation auch eine sensible Auseinandersetzung mit der Vater-Sohn-Beziehung, die das Menschliche in den Vordergrund rückt.
Filmtermine in OÖ: Premiere-Termine mit Regisseur
24. 8. 2016: Filmfestival Freistadt (mit Regisseur)
25. 8. 2016: Programmkino Wels (mit Regisseur)
28. 8. 2016: Lichtspiele Katsdorf (mit Regisseur)
29. 8. 2016: Sommerkino Linz
ab 1. 9. 2016: Programmkino Wels
ab 2. 9. 2016: Moviemento Linz, Local-Bühne Freistadt, Lichtspiele Katsdorf
Interview mit Sigmund Steiner
Sigmund Steiner ist 1978 in Judenburg in der Steiermark geboren und dort auf einem Bauernhof aufgewachsen. Er hat bei Wolfgang Glück und Michael Haneke an der Filmakademie Wien studiert und arbeitet als freier Filmemacher in Wien.
Herr Steiner, Sie haben an den Beginn des Films die Frage gestellt, warum Ihr Vater den Familienbesitz über seine eigene Familie stellt. Haben Sie eine Antwort gefunden?
STEINER: Eine Antwort nicht, vielleicht eine Annäherung. Ich kann jetzt besser verstehen, warum er sich so mit dem “Eigenen” verbunden fühlt. Aber warum er den Besitz über die Familie stellt, ist mir immer noch nicht so klar.
Haben Ihnen bei Ihrer Annäherung die drei Protagonisten Ihres Films geholfen?
STEINER: Diese drei Menschen haben mir gezeigt, dass es auch anders geht. Dass man nicht “entweder oder” sagen muss, sondern dass beides vereinbar ist.
Im Film geht es auch um die Auseinandersetzung mit der Generationen-Frage. Warum glauben Sie, finden viele Höfe keinen Nachfolger mehr?
STEINER: Ich denke, dass es erstens wirtschaftlich schwieriger geworden ist. Der andere Grund ist sicher auch, dass die Menschen vermehrt in die Städte gehen. Und dort zu bleiben, wo Freunde weggehen, ist halt schwierig.
Was müsste man dagegen machen oder ist das einfach der Wandel der Zeit?
STEINER: Ich weiß es nicht. Initiativen, wo der Übernehmer eine Förderung bekommt finde ich gut. Die Bauern, bei denen wir waren, haben auch gesagt: Man muss die Kinder selber entscheiden lassen. Wenn sie zum Bleiben gezwungen werden, bleiben sie nicht lange. Wenn sie weggehen können und dann wieder zurückkommen, dann machen sie es mit Herz. Ich glaube, dass die, die dann wirklich bleiben, überzeugtere Bauern sind und die, die gehen, unzufriedene Bauern geworden wären.
Die Vater-Sohn-Beziehung spielt im Film eine große Rolle. Es liegt oft viel Unausgesprochenes zwischen Vater und Sohn und für Zuwendungen bleibt wenig Zeit. Ist das etwas spezifisch bäuerliches oder männliches?
STEINER: Hm, das kann ich schwer sagen, weil ich selbst auch nur die eine Erfahrung gemacht habe. Vom Klischee her sind Bauern vielleicht ein bisschen sturer oder härter. Ich denke aber, dass sich das ändert und alte Klischees aufgebrochen werden. Es wächst eine neue Generation von Bauern und eine neue Generation von Männern heran, die das lockerer sehen und nicht mehr den harten Typen herauskehren müssen.
Wie ist es Ihnen mit den Protagonisten im Film ergangen, die ja doch sehr viel Persönliches preisgeben?
STEINER: Wir hatten kein Drehbuch. Wir sind nur hingefahren und haben die Menschen gefragt, ob wir ihnen bei der Arbeit zuschauen dürfen. Alles weitere hat sich aus der Situation ergeben. Dass der Schafbauer Herbert uns die Geschichte mit seinem Vater so intim erzählt hat, war für den Film natürlich sehr glücklich und auch für mich eine positive Überraschung.
Soll der Film den Menschen einen Spiegel vor Augen halten?
STEINER: Es ist anscheinend ein Film geworden, der einmal ein anderes Bild der Landwirtschaft zeigt. Es geht um die Arbeit am Hof, aber vor allem um die Menschen dahinter. Es geht um den Zusammenhalt, aber auch darum, dass jeder seine eigenen Grenzen haben darf. Ich würde mich sehr freuen, wenn sich die Zuschauer persönlich angesprochen fühlen und durch den Film vielleicht über die eigene Situation oder die Beziehung zu ihren Kindern nachdenken.