Wie das Wolfsmanagement in der Schweiz wirkt

In der Schweiz wurde das Wolfsmanagement in den letzten 20 Jahren laufend verschärft. Einen Überblick über die heutige Situation gibt der Biologe Marcel Züger.

Ohne rigide Wolfsentnahmen macht Herdenschutz keinen Sinn, meint der Biologe Marcel Züger.

In den Jahren 1995 bis 2013 nahm der Wolfsbestand kontinuierlich mit einer Wachstumsrate von 20 Prozent pro Jahr zu. In den Jahren 2015 bis 2023 zeigte sich ein durchschnittliches Netto-Bestandswachstum von 33 Prozent pro Jahr, das Brutto-Wachstum lag bei durchschnittlich 52 Prozent.

Die Wachstumskurve ist typisch für ein sogenanntes logistisches Wachstum. Auf eine relativ langsame Anfangsphase während der Etablierung folgt eine exponentielle Phase. Das Wachstum verlangsamt sich natürlicherweise, wenn der Bestand sich der Lebensraum-Kapazitätsgrenze nähert. Der aktuelle Bestand liegt bei 37 Rudeln, bzw. etwa 330 Individuen – elf Rudel waren landesgrenzenübergreifend.

Angriff bei passender Gelegenheit

Die Wirkung der Herdenschutzmaßnahmen wird in der Schweiz nicht fundiert untersucht. Fragmentarische Auswertungen gibt es aus dem Kanton Graubünden, wo etwas über ein Drittel der Schweizer Wolfsrudel lebt. In den Jahren 2022 und 2023 waren jeweils bei ca. 70 Prozent der Nutztierrisse Herdenschutzmaßnahmen vorhanden. 

Eine detaillierte Auswertung im Jahr 2023 hat gezeigt, dass der Herdenschutz bei rund zwölf Prozent als intakt angetroffen wurde, bei 88 Prozent waren Unzulänglichkeiten vorhanden. Der Herdenschutz kann zwar durch ausbrechende Schafe beschädigt worden sein, es zeigt sich aber durchwegs eine große Anfälligkeit der Maßnahmen. Durchziehendes Wild, abgehende Steine, Sturm oder Schnee, zu unübersichtliches Gelände für Herdenschutzhunde, Nebel und rutschiger Boden in steilem Gelände beim abendlichen Zusammentreiben sowie illegitime Manipulationen Dritter führen zu Lücken in der Abwehr. 

Herdenschutz im Gebirge oder überhaupt in Grenzertragslagen ist per se fehleranfällig, und jede Schwäche kann von den Wölfen genutzt werden. Das Verhalten der Wölfe kommt einem Abklopfen gleich. Sie patrouillieren die Landschaft nach sich bietenden Möglichkeiten ab, suchen Lücken und testen Wild und Weidevieh, und bei passender Gelegenheit landen sie einen Angriff. Das führt dazu, dass Herdenschutzmaßnahmen zu jeder Zeit intakt sein müssen.

Direkte Schäden stabilisiert

Die direkten, den Wölfen zugeschriebenen Schäden haben sich seit 2023 bei etwa 1.000 Stück Nutzvieh stabilisiert. Das liegt ca. 50 Prozent unter dem Maximum des Jahres 2022. Systematische Fehler der Erfassung, wie etwa nach einem Wolfsangriff verschollene Tiere oder Nutzvieh, das von Wölfen weggetragen wird, werden nicht erfasst. Ca. zehn Prozent der Nutztierrise sind Rinder, der Rest entfällt auf Kleinvieh, vor allem Schafe. 

Eine Kotuntersuchung der Raubtierstiftung Kora3 von ca. 500 Kotproben ergab eine Präferenz für Rotwild (36 Prozent Gewichtsanteil), Gämse und Reh machten 20 bzw. 18 Prozent aus. 77 Prozent der Nahrung stammte von Wild-, 23 Prozent von Nutztieren. 

Entnahme von Schadwölfen

Bis im Jahr 2004 mussten 50 Stück Nutzvieh gerissen worden sein, um einen Einzelwolf zu entnehmen, Rudel gab es damals noch nicht. Die Schadschwelle wurde laufend reduziert und die Entnahmekriterien differenziert. Im Winter 2023/24 wurden erstmals ganze Rudel zum Abschuss freigegeben. Von Seiten der Umweltorganisationen war prognostiziert worden, dass versprengte (Jung-)Wölfe zu hohen Folgeschäden führen werden. Dies hat sich nicht bewahrheitet, vielmehr gingen in sämtlichen betroffenen Territorien die Nutztierrisse leicht bis sehr deutlich zurück.

Die durchschnittliche Anzahl der Nutztierrisse pro Wolf ist seit dem Auftreten der ersten Wölfe rückläufig. In den 2000er Jahren gab es starke Schwankungen, weil Einzelwölfe und ihr individuelles Verhalten einen großen Einfluss hatten. Die Höhe der Risse pro Wolf entspricht sehr genau der Höhe dieser Regulationsschwelle.

Herdenschutz von beschränkter Dauer

Der Rückgang der Nutztierrisse korreliert mit der Intensität der Wolfsregulation. Die Erfahrungen aus Kärnten sind deckungsgleich. Dort wird kein systematischer Herdenschutz umgesetzt. Im Zeitraum 2022 bis 2024 ging die Anzahl der Nutztierrisse von 399 auf 44 zurück (Rückgang um 89 Prozent). Entnommen wurden 16 Risikowölfe und ein Schadwolf. 

Erfahrungen mit Wolfsentnahmen in Frankreich und mit Herdenschutzmaßnahmen in Frankreich und der Schweiz machten vielfach deutlich, dass verschärfte Maßnahmen nur von beschränkter Dauer sind. Ob dies auch auf die Entnahmen von Schadwölfen in der Schweiz zutrifft, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantwortet werden. Es muss indes damit gerechnet werden, dass die Maßnahme an Wirksamkeit verlieren wird, bzw. dass das Management weiter verschärft muss.

Marcel Züger ist Biologe und Inhaber der Pro Valladas GmbH – Unternehmen Natur und Landschaft.

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AUTORRed. JS
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