Wieviele Lebensmittel können Tirols Bauern produzieren?

Stefan Jenewein spricht über regionale Grenzen, gesellschaftliche Verantwortung, was zwei Frühstückseier pro Tourist über Tirols Versorgungslage verraten und weshalb in der Schweiz Kalorien gezählt werden.

Wie gut ist Tirols Selbstversorgung mit Lebensmitteln aufgestellt?

JENEWEIN: Dass sich Tirol nicht vollständig selbst versorgen kann, ist kein Geheimnis. Die geografischen und klimatischen Bedingungen sind herausfordernd. Vor diesem Hintergrund ist die Leistung der heimischen Landwirtschaft beachtlich.

Wie gut die regionale Versorgung aufgestellt ist, hängt stark davon ab, wie man „Regionalität“ definiert. Gehört ganz Österreich dazu? Zählt für das Nordtiroler Wipp- und Stubaital auch das Wipptal auf Südtiroler Seite zur Region? Oder für den Bezirk Kufstein angrenzende Teile Bayerns? Je enger man den Begriff fasst, desto schwieriger wird es. Entscheidend ist, wie sinnvoll diese Abgrenzungen wirklich sind. Wenn man Österreich als Region begreift, steht Tirol gut da.

Warum liegt der SVG bei Rindfleisch bei 61 Prozent, während er bei Schwein und Huhn unter einem Prozent liegt?

Die Entwicklung hat mehrere Ursachen. In der Schweinehaltung gab es einen drastischen Rückgang – von über 90.000 Tieren im Jahr 1980 auf unter 10.000 heute. Einerseits hat sich der Konsum verändert: Schweinefleisch ist rückläufig, während Geflügel an Beliebtheit gewonnen hat. Dementsprechend ist auch die Produktion von Hühnerfleisch gestiegen. Die Haltung von Hühnern ist auch deutlich ressourcenschonender und praktikabler.

Im Gegensatz dazu ist der Rinderbestand in Tirol relativ stabil geblieben. Das hat mit der tief verwurzelten Tradition der Almwirtschaft zu tun, die mit der Rinderhaltung verbunden ist. Die Almwirtschaft erfüllt nicht nur wirtschaftliche, sondern auch wichtige ökologische und touristische Funktionen. Rein wirtschaftlich gesehen ist sie jedoch kaum konkurrenzfähig – Fleisch aus ausländischer Massentierhaltung ist wesentlich günstiger herstellbar. Es stellt sich die gesellschaftliche Frage: Wollen wir unsere heimische Produktion erhalten? Wenn ja, braucht es ein klares Bekenntnis zum Konsum regionaler Produkte.

Quelle: Bauernzeitung
Der theoretische Selbstversorgungsgrad in Prozent (SVG) ergibt sich aus
der inländischen Erzeugung durch die Inlandsverwendung. SVGÖ gibt den theoretischen Selbstversorgungsgrad in Österreich an.

Müssen Tourismus und Landwirtschaft ihre Kooperation dafür stärken?

Es gibt immer Potenziale. Sowohl Tourismus als auch Landwirtschaft haben wichtige Funktionen in ihrer Partnerschaft und können sicher noch stärker voneinander profitieren. Die beiden Parteien gegeneinander auszuspielen bringt aber niemandem etwas.

Zwei Eier pro Nächtigungstourist verzeichnen Sie in Ihrer Studie. Bei 49,3 Millionen Nächtigungen in Tirol 2024 kommt da so einiges zusammen. Wie groß ist der Einfluss des Tourismus auf den Lebensmittelkonsum?

In unserer Studie haben wir bewusst die Auswirkungen des Tourismus miteinbezogen. Tirol ist ein absolutes Ausnahmeland. Zwischen 15 und 20 Prozent der hierzulande konsumierten Lebensmittel entfallen auf den Tourismus. Die Landwirtschaft produziert also nicht nur für Einheimische, sondern auch für Tirols Gäste.

Wo sehen Sie noch ungenutzte Potenziale?

Ziel unserer Studie war eine Bestandsaufnahme, um die Potenziale sichtbar zu machen. Wie sie genutzt werden, müssen Landwirtschaft und Tourismus gemeinsam entscheiden.

Es ist aber auch eine Frage, die die gesamte Gesellschaft betrifft. In der Schweiz etwa wird der Selbstversorgungsgrad in Kalorien gemessen, um zu sehen, ob man die Bevölkerung ernähren kann. Dieses Denken ist auch bei uns wichtig. Selbstversorgung ist gerade in Krisenzeiten essenziell – und geht weit über die wirtschaftliche Wertschöpfung hinaus.

- Bildquellen -

  • Bildschirmfoto 2025 05 14 Um 13.41.44: Bauernzeitung
  • 3 : 4 Hochformat: GAW
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AUTORHannah Pixner
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