„Wenn wir nicht selbst produzieren, importieren wir Sozialdumping.”

Aussagen wie diese von Stephan Pernkopf, dem Präsidenten des Ökosozialen Forums Österreich, beherrschten den agrarpolitischen Eröffnungstag der diesjährigen Wintertagung 2023. Die steht ganz im Zeichen der Leistungen der Land- und Forstwirtschaft in Krisenzeiten.

Totschnig und Pernkopf bei der 70. Wintertagung

Einhellig herrschte dabei die Meinung vor, dass es angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung eine steigende Agrarproduktion brauche, allerdings unter Berücksichtigung ökologischer Aspekte, um dem Klimawandel entgegenzuwirken.

Martin Frick, einer der Direktoren des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen, bezeichnete Hunger als „größtes lösbares Problem der Welt“. Allerdings steige die Zahl der Hungernden seit 2019 wieder an, auch wegen vermehrt bewaffneter Konflikte oder den steigenden Preisen von Lebensmitteln als Folge der Pandemien. Dazu käme der Faktor Klimawandel. Frick: „Alle wissenschaftlichen Vorhersagen der vergangenen Jahre sind eingetreten, oft noch schlimmer als vorhergesagt.“ Auch Mitteleuropa müsse sich „an die geänderten Begebenheiten anpassen“, mit diversifizierter und regional angepasster Landwirtschaft. Für die Arbeit der Bäuerinnen und Bauern, die damit die Erde und die Menschen am Leben erhalte, fordert er mehr Anerkennung.

Matthias Berninger, Manager der Bayer AG, erklärte, die Versorgung von acht Milliarden Menschen sei angesichts des Klimawandels „keine Selbstverständlichkeit“. Globaler Konsens sei es, die Emissionen in der Landwirtschaft zu reduzieren, auch CO2 aus der Atmosphäre zu nehmen und langfristig im Boden zu speichern. EU-Vorgaben, um das zu erreichen, seien dabei oft wenig hilfreich, so Berninger. Für ihn ist Brüssel „das Silicon Valley der Regulierungen“. Wie die Amerikaner müsse auch die EU „versuchen, Anreize und Reglementierungen besser zu kombinieren“.

Damit steigende Produktion bei höherer Nachhaltigkeit gelingen könne, brauche es laut Wolfgang Burtscher, Generaldirektor für Landwirtschaft und Ländliche Entwicklung in der EU-Kommission, die Attraktivierung landwirtschaftlicher Berufe, also „junge und gut ausgebildete Landwirtinnen und Landwirte“. Das koste nicht nur Geld, sondern erfordere auch Offenheit gegenüber Pilotprojekten, neuen Praktiken, Innovation und Forschung. Auch ist Burtscher überzeugt: „Aus geopolitischen und humanitären Gründen dürfen wir uns nicht mit der europäischen Versorgungssicherheit begnügen, sondern müssen einen Beitrag zur globalen Ernährungssicherheit leisten.“

Verteidigungsministerin Klaudia Tanner verwies bei ihrem Auftritt auf der Wintertagung auf den permanenten Austausch etwa innerhalb der Bundesregierung und auf die Erarbeitung von relevanten Krisenszenarien seitens des Bundesheeres, um im Ernstfall besser darauf reagieren zu können. So bereit man die Bevölkerung auf Szenarien wie ein Blackout vor.

Schon vor Journalisten am Morgen und später am Podium der Tagung hob Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig die Leistungen der heimischen Bäuerinnen und Bauern für eine nachhaltigere und umweltgerechtere Landwirtschaft hervor. So sei die Zahl der Landwirte, die 2023 am freiwilligen Agrarumweltprogramm “ÖPUL” in der neuen Periode der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) ab 2023, weiter gestiegen. Und zum Thema Versorgungssicherheit sagte Totschnig: “Die vergangenen Jahre haben uns gelehrt, mit Krisen umzugehen und aus ihnen zu lernen. Unser Ziel ist es, die Resilienz unserer kleinstrukturierten, bäuerlichen Landwirtschaft auch in Zukunft auszubauen.“ Die hohe Eigenversorgung bei Grundnahrungsmitteln und der Fokus auf erneuerbare Energieträger werde sich bewähren. „Seit meinem Amtsantritt ist die Versorgungssicherheit eine absolute Priorität. Das wird auch so bleiben”, so der Minister.

Der Präsident des Ökosozialen Forums, Stephan Pernkopf, sprach sich in seinen Statements vor Journalisten und im Auditorium der Tagung gegen Produktionseinschränkungen aus. “Die Landwirtinnen und Landwirte sind in der Lage die Menschen zu ernähren. Wenn wir nicht selbst produzieren, importieren wir Sozialdumping.” Zur Umwelt- und Klimaeffizienz der heimischen Landwirtschaft verwies Pernkopf auf eine gemeinsame Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO), der Universität für Bodenkultur und des Umweltbundesamtes im Auftrag des Ökosozialen Forums. Daraus geht hervor, dass der durchschnittliche Getreideertrag in Österreich pro Hektar rund eine Tonne über dem EU-Schnitt bei geringem Düngeaufwand liegt. Demnach kommt Österreich im Bereich der CO2-Äquivalente auf 1,68 Kilogramm pro Euro Wertschöpfung – in Deutschland sind es um 20 Prozent mehr. In England liegt die Zahl mit knapp drei Kilogramm CO2-Äquivalenten pro Euro Wertschöpfung noch höher. “Österreich wird ständig besser und konnte sich in den letzten 20 Jahren um 20 Prozent verbessern”, unterstrich Pernkopf. Der Trend sei vor allem in der Milchproduktion nachweisbar, bei der man den CO2-Anfall seit 1990 halbieren konnte.

Michael Obersteiner, aus Österreich stammender Institutsdirektor an der Universität Oxford und Spezialist für Umweltfragen, appellierte für mehr ambitiöse und innovative Lösungen, speziell im Umweltbereich. “Hier muss die Politik effizienter gestalten.” Obersteiner: “Den Wasserstoff nur aus der Biomasse zu holen, wird nicht ausreichen. Zudem müssen wir CO2 aus der Atmosphäre holen und in die Böden und geologischen Formationen bringen. Aber eines muss klar sein: Das macht nur Sinn, wenn man es global macht.“ Die notwendigen Technologien, um mit fossilen Energien konkurrenzfähig zu sein, fehlen aber noch oder werden aktuell entwickelt, schränkte er ein.
Nicht zuletzt sprach der Experte von einem künftig flexibleren Konsum. “Es geht nicht an, dass wir locker weiter essen, was wir wollen, wenn es eine globale Ernährungskrise gibt. Wir müssen den Überkonsum im Sinne unserer Gesundheit und Solidarität herunterfahren”, merkte Obersteiner kritisch an.

Am Nachmittag des Eröffnungstages wurden Ideen und Praxisbeispiele vorgestellt, um ganz im Sinne der Kreislaufwirtschaft den Rohstoffeinsatz zu reduzieren. Im Vordergrund steht das Ansinnen, Kohlenstoff in Böden, Wäldern oder Produkten aus Holz zu speichern, den Verbrauch von Primärrohstoffen durch geschlossene Kreisläufe zu reduzieren sowie die Leistungen der Betriebe abzugelten

70. Wintertagung
Die 70. Wintertagung des Ökosozialen Forums findet noch bis 26. Jänner statt. An insgesamt zehn Fachtagen wird von Vortragenden und Diskussionsgästen die Bedeutung der Kreislaufwirtschaft auf Basis biogener Rohstoffe behandelt, um die Versorgungssicherheit auch in Krisenzeiten künftig gewährleisten zu können. Eine Teilnahme ist sowohl vor Ort als auch online möglich. Die Videos der Vorträge und Diskussionen sind im Anschluss in der Wintertagungs-Mediathek unter www.oekosozial.at abrufbar.

 

 

- Bildquellen -

  • : Ökosoziales Forum / Holzer
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