Wenn Verwandte krank oder gar dement werden

In Österreich übernehmen ca. 300.000 Menschen zu Hause und zum großen Teil ganz selbstverständlich und kostenlos die Pflege eines Angehörigen. Dabei hat sich gezeigt, dass acht von zehn pflegenden Angehörigen Frauen in unterschiedlichen Verwandtschaftsverhältnissen sind.

Abgrenzung: Ja, die Schuldgefühle sind immer da. Aber man lernt, damit zu leben, denn Schuldgefühle verschwinden nicht so einfach, die Stimme wird nur leiser, sobald man genau darauf achtet, welche Bedürfnisse man selbst in der schwierigen Situation hat. Foto: Wodicka

Dafür konnte man in Studien zwei Gründe herausfiltern: die Verfügbarkeit und eine nicht hinterfragte Selbstverständlichkeit. Das heißt, dass von Ehepartnern oder erwachsenen Töchtern erwartet wird, dass sie die Versorgung von alternden Angehörigen übernehmen. Oftmals gibt es einen gewissen Druck aus der eigenen Familie oder allgemein vonseiten der Gesellschaft.
Schleichend vollführt sich oft eine Unterstützung von betagten Menschen innerhalb der Familien, ohne dass darüber gesprochen wird. Unbehagen macht sich breit und der Stoßseufzer „Hilfe, meine Eltern, mein Ehemann oder sonstige Anverwandte werden alt oder dement! Was kommt da auf mich zu?“ hämmert in den Köpfen!
Abgrenzung ist erlaubt
Hinter den Fragen verbergen sich Gefühle wie Angst, Wut, Traurigkeit, Hilflosigkeit, Überforderung, Mitleid, Ratlosigkeit, Unwillen, sich der Aufgabe zu stellen, und dergleichen. Es gibt zahllose Ratgeber, Einrichtungen und sozial-medizinische Hilfen für den alternden, vielleicht dementen Menschen, die man bei der Gemeinde, im Sozialamt oder beim Arzt erfragen kann. Auch über Finanzierungsmöglichkeiten wird einem dort gut Auskunft gegeben werden.
Weniger Augenmerk wird aber darauf gelegt, dass Angehörige emotional enorm belastet sind, denn nichts ist mehr so, wie es einmal war. Die einen beginnen, sämtliche Bücher über Demenz und Alter zu lesen, die anderen versuchen sich in Gesprächen, vielleicht bei Selbsthilfegruppen Erleichterung zu verschaffen. Die nächsten erschaffen sich kleine Rituale oder Freiräume im Alltag, um sich selbst nicht zu verlieren. Dabei gibt es kein Falsch oder Richtig, nur ein „Sich selbst für einen Moment bis hin zu ein paar Tagen ins Zentrum zu rücken“. Gerade wenn man selbst noch im Berufsleben steht, hat es Sinn, sich zu fragen, inwieweit man sich einbringen kann oder inwieweit man das überhaupt möchte. Ein großer Lernprozess der Abgrenzung und des Loslassens beginnt. Ja, das Schuldgefühl ist auch immer da. Gerade in Familien geht das Abgrenzen und auf sich Achten nicht ohne Konflikte über die Bühne. Aber diese Dinge sind es wert, dass man sie offen anspricht.
Die Momente, in denen man trotz Alters und Demenz die Nähe und das Miteinander erleben kann, gibt es, wenn man sie wahrnimmt. Dazu braucht es aber Achtsamkeit mit sich selbst und Achtsamkeit für die Bedürfnisse des Gegenübers. Also beginnen Sie heute damit: Trinken Sie ganz bewusst und in Ruhe eine Tasse Kaffee oder besuchen Sie den schon lange ausgemachten Yoga-Kurs, auch oder besonders dann, wenn gerade nichts mehr so ist, wie es einmal war.

Mag. Sabine Sulzenbacher, psychologische Beraterin mit Schwerpunkt Veränderungsprozesse rund ums Leben.
www.beratung-als-weg.at

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