Keine Klarheit über die künftige Agrarpolitik Deutschlands sieht Hubertus Paetow, der Präsident der hiesigen Landwirtschafts-Gesellschaft, im Agrarteil des Koalitionsvertrages der neuen Ampelregierung in Berlin. Vieles sei unkonkret, widersprüchlich, nicht verständlich formuliert.

Üblicherweise hätten sich Mitte Jänner in Berlin Agrarminister, Landwirtschaftsvertreter, Lobbyisten und Bauern aus der halben Welt, mit Sicherheit aus dem gesamten deutschen Sprachraum, auf der „Grünen Woche“ in Berlin eingestellt, um sich dort wie vor 21 Jahren wieder über die Vorhaben eines deutschen Landwirtschaftsministers von den Grünen zu informieren und debattieren. Damals hatte kurz vor der Agrarmesse, traditionell ein agrarpolitischer Treffpunkt, Renate Künast das Agrarressort übernommen. Seit Anfang Dezember hat erneut ein Grüner, Cem Özdemir, dieses Amt inne.
Pandemiebedingt fällt die Grüne Woche 2020 total aus, nachdem man 2021 zumindest virtuelle Konferenzen organisiert hatte. Über den Agrarteil im Koalitionsvertrag der Berliner Ampelparteien SPD, FDP und Grüne wird seit Wochen und wohl auch noch Mitte Jänner dennoch heftig diskutiert. Auch Hubertus Paetow, der Präsident der mächtigen Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), hat sich dazu zu Wort gemeldet. Zwar sei auf den die Landwirtschaft betreffenden Seiten des Vertrages manches nicht enthalten, was im Vorfeld befürchtet worden sei, räumt Paetow ein. Vieles sei jedoch „unkonkret, widersprüchlich, nicht verständlich formuliert“. Oder blieb überhaupt unbeantwortet. Für den seit langem diskutierten Wandel der Branche gebe die Koalitionsvereinbarung weder eindeutige Signale noch enthalte sie einen Fahrplan, ,,auf den ein Landwirt eine unternehmerische Strategie aufbauen könnte“.

Dem Vertrag fehlt Klarheit

Besonders kritisch sieht er die fehlende Klarheit, wie der drängende Umbau der Tierhaltung finanziert werden könne. Auch hätten die Ampelparteien jegliche Hinweise auf die Empfehlungen sowohl der Borchert-Kommission als auch der Zukunftskommission Landwirtschaft vermieden. Er könne nachvollziehen, dass drei Parteien eigene politische Akzente setzen wollen, „ich kann aber nicht verstehen, dass die in einem intensiven Ringen erzielten Ergebnisse beiseitegelassen werden“, so Paetow in einem Interview mit Agra-Europe

Kein Einvernehmen zu  Züchtungsverfahren

Nicht überrascht ist er angesichts der unterschiedlichen Positionen der Ampelparteien von den unklaren Aussagen zu Innovationen in der Landwirtschaft. Die Formulierungen im Koalitionsvertrag etwa zu den neuen Züchtungstechniken dienten dazu, eine Festlegung zu umschiffen, weil es kein Einvernehmen innerhalb der Koalition gebe. Das proklamierte Ziel, den Ökolandbau bis 2030 auf 30 Prozent auszudehnen, hält Paetow „weder für sinnvoll noch für realistisch“.
Zurückhaltend positiv beurteilt er, dass Landwirtschafts- und Umweltministerium nun in grüner Hand sind. Damit bestehe zumindest nicht mehr die Notwendigkeit, ,,dass sich beide Ministerien parteipolitisch profilieren müssen“. Konflikte werde es aber weiter geben, ,,allein der unterschiedlichen Verortung der beiden Spitzenleute innerhalb der Grünen“.
Hier die wichtigsten Fragen und Antworten aus dem Interview:

Sie haben gesagt, die Abschlussbericht der Zukunftskommission Landwirtschaft gebe Leitlinien vor. Es liege an der Politik, etwas daraus zu machen. Wenn Sie sich den Koalitionsvertrag anschauen, macht die Politik etwas daraus?
Paetow: Für eine Antwort ist es noch zu früh. Klar ist, dass die doch sehr abstrakten Übereinkünfte im Koalitionsvertrag in der künftigen Regierungsarbeit mit Leben gefüllt werden müssen.
Landwirte brauchen ein Signal, dass die Politik es ernst meint mit der Transformation der Landwirtschaft und sie nicht allein gelassen werden, ist eine weitere Aussage von Ihnen. Finden Sie ein solches Signal im Koalitionsvertrag?
Ehrlich gesagt nein. Ein Paradigmenwechsel, um den es hier geht, muss benannt werden, indem aufgezeigt wird, was nicht mehr funktioniert und anders gemacht werden soll.

Erkennen Sie einen Fahrplan?
Nur punktuell. Im Ausbau des Ökolandbaus und der weitergehenden Reform der EU-Agrarpolitik. Da werden konkrete Schritte angesprochen, aber keine, auf die ein Landwirt eine unternehmerische Strategie aufbauen könnte. Der Koalitionsvertrag ist im Agrarteil lediglich eine Zielvereinbarung. Ein Ziel ohne Plan ist nicht mehr als ein Wunsch.

Es gibt ja solche Pläne, in Form vorliegender Empfehlungen der genannten Kommissionen. Jeglicher Hinweis darauf fehlt? Ist das für Sie nachvollziehbar?
Schon, aber nicht verständlich.
Für den Umbau der Tierhaltung wolle man „ein durch Marktteilnehmer getragenes System entwickeln und mit dessen Einnahmen zweckgebunden die laufenden Kosten der Betriebe ausgleichen und Investitionen fördern, ohne den Handel bürokratisch zu belasten“.

Verstehen Sie das?
Nicht wirklich. Es klingt ein bisschen nach „Wasch mich, aber mach mich nicht nass.“ Unstrittig ist, wir brauchen ein System, um die Forderung der Gesellschaft nach einer anderen Tierhaltung unternehmerisch umzusetzen. Unter den gegenwärtigen Bedingungen geht das nicht. Die Aussage im Koalitionsvertrag verstehe ich eher als Aufzählung von denjenigen, die nicht belastet werden sollen. Mir erschließt sich nicht, wie daraus ein Konzept erwachsen soll.

Kann die Wirtschaft den Umbau der Tierhaltung allein stemmen oder bedarf es dafür zusätzlicher öffentlicher Mittel?
Es gibt nur zwei Wege: Entweder sagt die Politik, dass für die Tierhaltung künftig die gesellschaftlich geforderten höheren Standards gelten. Dann müssen sich die Landwirte dem internationalen Wettbewerb stellen. Oder die Politik will das nicht, weil dies zur Abwanderung der Produktion führen wird. Dann muss sie dafür sorgen, dass der Wettbewerbsnachteil den Erzeugern staatlich organisiert ausgeglichen wird.

Glauben Sie, dass man den ersten Weg beschreiten will?
Das scheint zumindest bei einer der drei Koalitionsparteien der Hintergrund zu sein. Ich bezweifle aber, dass die Tierhaltung am Standort Deutschland so ausgerichtet werden kann, dass sie wieder international wettbewerbsfähig wird. Die Folge wäre eine Abwanderung der Tierhaltung.

Übergeordnetes Thema der Regierungsvereinbarung ist der Klimaschutz. Dazu heißt es, „die Landwirte sollen auf dem Weg zur Klimaneutralität unterstützt werden“. Reicht dafür diese allgemeine Aussage im Koalitionsvertrag aus?
Dass wir die Treibhausgasemissionen reduzieren und dem Klimaschutz Priorität einräumen müssen, wird von kaum jemandem mehr in Frage gestellt. Auch nicht von Landwirten, siehe die vielen Initiativen zum „Carbon Farming“. Offen bleibt, was die Ampel will.

Was bevorzugen Sie?
Es wäre am effizientesten, die auch von der Landwirtschaft geforderte Treibhausgasreduktion über den Emissionshandel hinzubekommen. Das geht aber nicht von heute auf morgen.

Die Koalition will künftig Tierbestände in Einklang mit der Fläche und Umweltschutzzielen bringen. Reicht das für junge Landwirte als Entscheidungsgrundlage für die Betriebsentwicklung?
Ich war erstaunt und erfreut zugleich, dass die allgemein gängige Forderung nach geringeren Tierbeständen keinen Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden hat. Es bleibt zu hoffen, dass die unternehmerischen Spielräume auch in der Tierhaltung gewahrt bleiben.

Planungssicherheit ist eine Kernforderung der Landwirte.
Angekündigt wird ein „Planungsbeschleunigungsgesetz“. Wenn dieses nicht nur für Windkraftanlagen und Ladesäulen, sondern auch für Tierwohl-Ställe gelten würde, kämen wir tatsächlich einen Schritt weiter.

Der Ökolandbau soll bis 2030 auf 30 Prozent der Flächen ausgeweitet werden. Sinnvoll und realistisch?
Weder noch! Der Ökolandbau hat keine Planwirtschaft verdient. Dieses Ziel ist nicht zu schaffen. Allein die Umstellung von Betrieben dauert drei Jahre. Die gesamte Wertschöpfungskette wird nicht hinterherkommen.

Sollte der Staat das mit höheren Förderprämien unterstützen?
Das wäre nur der zweitbeste Weg. Es war noch nie sinnvoll, staatlich zu forcieren, dass ein (noch) nicht nachgefragtes Gut produziert wird.

Wie steht Deutschland künftig zu den neuen Züchtungstechniken?
Die gefundenen Formulierungen dienen dazu, gerade diese zu umschiffen, weil es eben kein Einvernehmen gibt. Dabei wird Europa bei Innovationen, Züchtungstechnologien und Regulierung unter Berücksichtigung des Vorsorgeprinzip noch eine große Rolle spielen.

In Berlin sind nun das Agrar- und das Umweltministerium in grüner Hand. Zufrieden?
Ist die gleiche politische Farbe gleichbedeutend mit einer Politik aus einem Guss? Zumindest besteht künftig keine Notwendigkeit mehr, dass sich die beiden Ministerien parteipolitisch profilieren müssen. Konflikte wird es aber weiter geben, allein aufgrund der unterschied­lichen Verortung der beiden Spitzenleute innerhalb der Grünen. Wenn der zu erwartende Diskurs produktiv und zielorientiert ist, muss er nicht schädlich sein. Ich war allerdings etwas erstaunt über die Aussage von Cem Özdemir noch als designierter Landwirtschaftsminister, dass in der Vergangenheit aus dem Umweltministerium stets vernünftige Vorschläge kamen, die im Agrarministerium regelmäßig abgebügelt wurden. Ich hoffe, das ist kein Vorgriff auf den künftigen Umgang der Ministerien miteinander.

Zur Person

DI Hubertus Paetow (54), Landwirt nahe Rostock in Mecklenburg-Vorpommern, ist seit Februar 2018 Präsident der Deutschen Landwirtschafts-gesellschaft in Frankfurt/Main.
Der fünffache Vater führt einen 1.250 Hektar großen Ackerbaubetrieb mit Saatguterzeugung und ist zudem Mitglied der Zukunftskommission Landwirtschaft.
Die DLG zählt rund 30.000 Mitglieder. Finanziert wird sie über Einnahmen etwa aus Qualitätsprüfungen, dem Messewesen, einem Verlag, Mitgliedsbeiträgen und öffentlichen Zuschüssen.
www.dlg.org

- Bildquellen -

  • Hubertus Paetow: DLG
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AUTORBernhard Weber
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