Laut Christiane Lambert, der Präsidentin der COPA, also des EU-Ausschusses der Bauernverbände, war die Gemeinsame Agrarpolitik der EU-27 noch nie so grün wie die 2023 in Kraft tretende Reform.

Wir haben die neue Grüne Architektur mit dem Instrument der Öko-Regelungen und wir haben die Konditionalität für alle Direktzahlungen, sagte die gebürtige Französin im Gespräch mit Agra-Europe. Das bedeute aber auch „große Veränderungen“ gegenüber dem bisherigen Fördersystem.

Wie bewerten Sie die neue GAP als Präsidentin von COPA?
Lambert: Diese Reform ist natürlich nicht perfekt, aber man muss auch sehen, wie weit wir gekommen sind. Was etwa den Haushalt betrifft, so hat dieser sich im Vergleich zum ursprünglichen Vorschlag, der im Jahr 2018 noch Kürzungen von bis zu 15 Prozent vorsah, deutlich verbessert. Dank der Covid-Krise und der Hilfe von Politikern wie Angela Merkel oder Emmanuel Macron wurde erreicht, dass der Agrarhaushalt nahezu stabil geblieben ist. Wichtig war auch, dass mit dem GAP­-Vorschlag des ehemaligen Agrarkommissars Phil Hogan aus dem Jahr 2018 Klarheit geschaffen und dieser durch die Green-Deal­ Ziele der neuen Kommission auch nicht zu sehr verkompliziert wurde.

Einige haben die neue GAP-Reform als den größten Systemwechsel seit der MacSharry-Reform im Jahr 1992 bezeichnet. Stimmen Sie dem zu?
Die GAP war noch nie so grün wie die jetzt anstehende Reform. Wir haben die neue Grüne Architektur mit dem Instrument der Öko-Regelungen und wir haben die Konditionalität für alle Direktzahlungen. Das sind mit Sicherheit große Veränderungen im Fördersystem. Auch wenn vor allem EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans versucht hat, noch viel mehr zu ändern, und das auf Kosten von uns Landwirten.

Hat Timmermans angesichts des fortschreitenden Klimawandels und der Biodiversitätsverluste nicht Recht, wenn er die Politik mit den im Green Deal vorgeschlagenen Maßnahmen verbessern will?
Ich möchte betonen, dass wir nicht gegen Maßnahmen zur Verbesserung der Umweltleistung der EU-Agrarpolitik sind. Die Landwirte haben ein großes, unmittelbares Interesse daran, die Auswirkungen des Klimawandels zu begrenzen und Lebensmittel auf noch nachhaltigere Weise zu produzieren. Wir waren zuletzt sehr oft die ersten Opfer von Dürren oder Überschwemmungen in Europa. Wir können uns aber nicht damit zufrieden geben, dass der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln oder Mineraldüngern durch politische Ziele, wie sie in der Farm-to­-Fork-Strategie vorgeschlagen werden, reduziert werden.

Was fehlt Ihnen?
Ich habe leider den Eindruck, dass sich immer weniger hochrangige Beamte in der Kommission um das Wohlergehen der Landwirte oder die Ernährungssicherheit im Besonderen kümmern. Dabei haben die Bauern in den vergangenen Jahrzehnten viele Schritte unternommen, um den Einsatz von Düngemitteln, Pestiziden oder Antibiotika zu reduzieren und gleichzeitig die Nahrungsmittelproduktion zu steigern. Jüngste Studien, welche die Auswirkungen der Farm-to-Fork-Strategie bewerten, wie jene der Gemeinsamen Forschungsstelle der EU oder der Universität Kiel, kamen zu dem Schluss, dass die Erzeugung von Lebensmitteln in Europa deutlich sinken würde, während gleichzeitig die Importe drastisch steigen könnten. Es ergibt aus unserer Sicht allerdings keinen Sinn, die Treibhausgasemissionen in Europa zu reduzieren, während diese in Drittländern aufgrund der Erzeugung der Produkte, die wir dann importieren, zunehmen.

Was sagen Sie zu der Befürchtung, dass unterschiedliche Ansätze in Bezug auf die Agrarumweltleistung in den nationalen GAP-Strategieplänen zu Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der Union führen könnten?
Das ist in der Tat ein potentielles Risiko, das sorgfältig geprüft werden sollte, da die Agrarverwaltung und die Ziele in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich sind. Was mich jedoch viel mehr beunruhigt sind die Unterschiede bei den gesellschaftlichen Erwartungen. In West- und Nordeuropa gibt es zahlreiche NGOs, die deutlich mehr Druck auf die Agrarpolitik ausüben als in Osteuropa. Auf der anderen Seite müssen die nationalen Strategiepläne in gewisser Weise unterschiedlich sein. Wir haben 27 Mitgliedsländer. Da bestehen natürlich große Unterschiede in der Geografie, im lokalen Klima, aber auch in den sozialen Strukturen. Dies gilt etwa für die Landwirtschaft in Irland und der in Griechenland. Hier können über die nationalen Strategiepläne viele individuelle Probleme sehr spezifisch angegangen werden.

Was erwarten Sie diesbezüglich von der EU-Kommission?
Dass sie die nationalen strategischen Pläne mit Bedacht prüft und neben den soeben besagten Unterschieden, sicherstellt, dass es Mindestanforderungen gibt, die von jedem Land erfüllt werden müssen.

Unterschiedliche Aufassungen gibt es zwischen den Mitgliedstaaten auch bezüglich der Rechtsstaatlichkeit. Der Vorwurf des Interessenkonflikts im Zusammenhang mit EU-Agrargeldern wird seit einiger Zeit gegen den inzwischen abgewählten tschechischen Ministerpräsidenten Andrej Babis und gegen die ungarische Regierung unter Viktor Orban erhoben. Größere Probleme gibt es auch in der Slowakei. Sehr oft leiden die Landwirte dieser Länder unter der Bevorzugung von Begünstigten, die den politischen Eliten nahestehen. Wie sehen Sie als COPA-Präsidentin diese Problematik?
Babis gilt als Musterbeispiel für einen offensichtlichen Interessenkonflikt. Ich gehe aber davon aus, dass die neue Regierung in Prag in der Lage sein wird, hieran etwas zu ändern. Es hat historische Gründe, warum gerade in den ehemals sozialistischen Ländern diese Proble­me auftauchen. Leider sind die genannten Fälle dem Image der GAP sehr abträglich. Das Gute an der neuen Reform ist, dass mit der verbindlichen Definition des aktiven Landwirts oder auch der Umverteilung von 10 Prozent der Direktzahlungen an kleinere Betriebe einige Schritte in die richtige Richtung gesetzt wurden.

Sie sind auch Präsidentin des französischen Bauernverbandes. Was sind Ihre Erwartungen an die französische EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2022?
Ich weiß, dass Landwirtschaftsminister Julien Denormandie hart daran arbeitet, dass die Agrarratspräsidentschaft gut funktioniert. Leider ist aber davon auszugehen, dass aufgrund der französischen Präsidentschaftswahlen im April und der Parlamentswahl im Juni die effektive Zeit dafür sehr begrenzt ist. Mein Land wird sich vor allem in den ersten drei Monaten des neuen Jahres auf Themen der EU-Präsidentschaft konzentrieren.

Was erwarten Sie vom Ratsvorsitzenden Denormandie? Welche sind für Sie die wichtigsten Themen, die es anzupacken gilt?
Er hat betont, dass eine seiner Prioritäten als Agrarratspräsident der Handel mit Drittstaaten sein wird. Deshalb will er spiegelbildliche Maßnahmen für Produkte, die in den EU-Binnenmarkt importiert werden. Agrarprodukte wie Rindfleisch aus Drittländern sollen unter den gleichen hohen Standards produziert werden müssen wie die Erzeugnisse in der EU. Jetzt, im Lichte des Mercosur-Abkommens, unterstützen auch die Niederlande oder Deutschland diese Idee. Wir als COPA sind zuversichtlich, dass Minister Denormandie in dieser Hinsicht auch etwas erreichen wird. Hierbei geht es um Fragen des fairen Handels, aber auch des ökologischen Fortschritts in der ganzen Welt und nicht nur in Europa.

Die Kommission hat kürzlich vorgeschlagen, den „Carbon Border Adjustment Mechanism“, kurz CBA M, etwa für Produkte wie Mineraldünger oder Beton einzuführen. Importeure sollen ab dem Jahr 2026 C02-Zertifikate kaufen müssen. Könnte das ein lnstrument sein, um einen fairen Handel zu gewährleisten?
Ja! Was Frankreich erreichen möchte ist die Ausweitung des CBA M auf Agrarprodukte. Wir unterstützen unseren Minister in diesem Punkt. Diesen nur für Düngemittelimporte einzuführen, würde doch nur wieder die Kosten für unsere Landwirte enorm in die Höhe treiben.

Was erwarten Sie noch vom Ratsvorsitz Ihrer Regierung?
Es wird eine Initiative zur Eiweißpflanzenproduktion in der EU geben. Derzeit ist die europäische Viehwirtschaft auf Eiweißimporte angewiesen. Es wäre ein großer Schritt, dies anzugehen und viel unabhängiger zu werden. Im Kontext des Mercosur wird es auch sehr wichtig sein, dass wir die strategische Unabhängigkeit der Ernährungssouveränität verteidigen, ja verbessern müssen. Dies ist gerade vor dem Hintergrund der Corona-Krise für uns von großer Bedeutung. Ich freue mich, dass die französische Regierung unsere Forderungen aufgegriffen hat und uns hierbei unterstützt.

Würden Sie als Französin die Wiederwahl von Präsident Macron bevorzugen?
Bitte um Verständnis, dass ich diese Frage nicht beantworte. Der FNSEA ist politisch neutral. Ich nehme diese Vorgabe sehr ernst und möchte, dass dies so bleibt.

Zur Person

Christiane Lambert (60) ist Präsidentin des EU-Ausschusses der Bauernverbände (COPA) und seit 2017 die erste Präsidentin des französischen Bauernverbandes (FNSEA). Mit ihrem Mann und ihren drei Kindern führt sie einen Betrieb mit mehr als 200 Zuchtsauen und gut 100 Hektar Ackerbau in der Region Maine-et-Loire im Westen Frankreichs. In der Copa sind 60 Bauernverbände sowie 36 weitere Organisationen auch aus anderen Staaten Europas vertreten. Die Organisation ist die größte Interessensvertretung der Landwirtschaft in den EU-27.

- Bildquellen -

  • Lambert: FNSEA
- Werbung -
Vorheriger ArtikelAm Rindfleischmarkt wird weiter eine positive Preisentwicklung erwartet
Nächster ArtikelWolf beschäftigt Brüssel: Antrag zum Schutz der Viehwirtschaft diskutiert